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       # taz.de -- Kommentar Ehe für alle: Zum Nachbarn schielen
       
       > Das Referendum zur Ehe für alle in Irland hat eine Debatte in Europa
       > ausgelöst – nun ist auch Deutschland im Zugzwang.
       
   IMG Bild: Hier jubelt die europäische Öffentlichkeit über das gewonnene Referendum. Irland, 23. Mai.
       
       Im hippen Berlin reibt man sich die Augen und nicht nur da: Ausgerechnet
       das urkatholische Irland zeigt, wie es geht mit der Gleichberechtigung.
       Unbehagen macht sich breit. Immerhin hält man sich hier nicht nur für den
       Nabel Europas, sondern auch für mordsmäßig aufgeklärt. Und jetzt dieses
       Debakel: CSU/CDU lassen uns Sparweltmeister ordentlich alt aussehen – und
       auch reaktionär.
       
       Die Union nämlich will keine Ehe für alle und konnte sich mit dem Beharren
       auf dem Sonderstatus für Heteropaare bislang ohne wesentliche Probleme
       durchsetzen. Doch just das, was bis zum Referendum am Wochenende
       hierzulande ganz normal wirkte, erscheint nun peinlich aus der Welt
       gefallen. Selbst die konservative Welt jubelte: „Kulturrevolution“!
       
       Die neue Debatte über die Ehe für alle, also dafür, dass
       gleichgeschlechtliche Paare keine Einschränkungen ihrer partnerschaftlichen
       Rechte hinnehmen müssen, ist ein schönes Beispiel für eine echte
       europäische Öffentlichkeit. Wo sonst sämtliche Gesellschaftsthemen stur im
       nationalstaatlichen Rahmen diskutiert werden, wird auf einmal zum Nachbarn
       geschielt und darüber Emanzipation zur realpolitischen Option.
       
       Wobei: Die Realpolitik will noch nicht. Aber nach der Sommerpause können
       alle AktivistInnen noch einmal in die Hände spucken.
       
       ## Bei der Pisa-Studie war es genauso
       
       Das letzte Mal, dass die deutsche Seele sich narzisstisch kränken lassen
       musste und ihre Hausaufgaben dann eben doch machte, das war im Zusammenhang
       mit einer anderen heiligen Kuh: der Bildung. Die Pisa-Studie zeigte, dass
       die Kinder im Land der Dichter und Denker vergleichsweise schlecht lesen
       können. Auch das hatte man sich bis dahin nicht vorstellen können. Und also
       wurde nachjustiert.
       
       Und genau so muss es weiterlaufen. In einer gelebten (und nicht nur
       behaupteten) europäischen Öffentlichkeit werden nicht mehr nur Nachrichten
       über die Erfolge der Rechtspopulisten ausgetauscht, sondern auch
       Etappensiege von emanzipativen Bewegungen. Das wiederum treibt den
       symbolischen Preis für retardierte Gesetzgebungen und Haltungen in die
       Höhe.
       
       Seit Irland nämlich lässt sich nicht mehr behaupten: Wo die katholische
       Kirche stark ist, gibt es keine Gleichberechtigung für Homosexuelle. Wenn
       Italien und Polen nicht beidrehen, geht das auf ihr nationales Konto.
       
       Ja klar, nur weil ein winziges Land wie Irland überraschend abgestimmt hat,
       wird sich nicht das ganze große alte Europa zeitgemäßen Lebensformen
       zuwenden. Die Rechten werden nicht einfach ihre Aktentasche zuklappen und
       das Feld räumen. Im Gegenteil, die Polarisierung bei lebensweltliche Themen
       wie Sexualität, Migration und dem Umgang mit Kindern dürfte sich weiter
       verschärfen.
       
       ## Neue Möglichkeitsfenster
       
       Aber sei’s drum. Jedes Beispiel, das in Richtung emanzipiertes Europa
       weist, öffnet ein Möglichkeitsfenster. Bislang wissen die jeweiligen
       Öffentlichkeiten viel zu wenig von sinnvollen (Gesetzes-)Initiativen und
       Referenden, die zu kopieren im eigenen Land vielversprechend wäre. Hier
       gilt es dazuzulernen. Nicht zuletzt seitens vieler Medien, die in erster
       Linie nationalstaatlich arbeiten und europäische Vergleiche scheuen.
       
       Die nächste Gelegenheit für etwas mehr europäische Öffentlichkeit dürfte
       Spanien bieten. Dort finden Ende des Jahres (der Termin steht noch nicht
       fest) Wahlen statt. Es besteht die Chance, dass sich die
       Anti-Austeritäts-Bewegung Podemos durchsetzt. Auch das könnte sich
       wohltuend auf die visionslosen Besserwisser in Berlin auswirken.
       
       27 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ines Kappert
       
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