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       # taz.de -- Einbürgerung von Asylbewerbern: Ohne Namen keine Zukunft
       
       > Der Afghane Martin Qassemi gilt als extrem gut integriert. Doch ohne
       > Geburtsurkunde mit Nachnamen bleibt ihm die Einbürgerung verwehrt.
       
   IMG Bild: Hat eine neue Familie in Oldenburg gefunden: Martin Qassemi (Mitte hinten).
       
       Hamburg taz | Er gilt als Musterbeispiel der Integration. Es gibt
       niemanden, der meint, er solle nicht eingebürgert werden. Trotzdem wartet
       auf den 22-jährigen Martin Qassemi eine ungewisse Zukunft. Aus formalen
       Gründen lehnt die Oldenburger Ausländerbehörde seine Einbürgerung ab - dem
       gebürtigen Afghanen fehlt eine vollständige Geburtsurkunde.
       
       „Ohne Einbürgerung ist Martin jede geordnete berufliche und private Zukunft
       verbaut“, klagt seine Anwältin Maike Chandra. Er könne nicht studieren,
       kein Haus kaufen, nicht heiraten.
       
       Sechs Jahre ist der junge Afghane alt, als er seine Eltern, die zur
       verfolgten Minderheit der Hazara gehören, bei einem Massaker in seinem Dorf
       verliert. Dort kann er auf Dauer nicht bleiben. Mit elf Jahren flieht
       Qassemi - eine Odyssee durch zahlreiche europäische Länder folgt.
       
       Nach vierjähriger Flucht wird der 15-Jährige in Deutschland aufgegriffen
       und vier Monate in Hannover-Langenhagen inhaftiert. Die Behörden versuchen,
       ihn zwei Mal abzuschieben, doch in beiden Fällen weigern sich die Piloten,
       den panisch wirkenden Jugendlichen zu befördern.
       
       Der Minderjährige landet im ehemaligen Oldenburger Asylbewerberheim
       Blankenburg, wo er Ruth Bensmail begegnet, die sich in einer
       Kirchengemeinde für Flüchtlinge engagiert. Die dreifache Mutter nimmt den
       Afghanen bei sich auf - zur Freude auch ihrer leiblichen Kinder. Heute
       nennt Martin sie ganz selbstverständlich „Mama“.
       
       Seit fast sieben Jahren lebt Martin nun in seiner neuen Familie. Deutsch
       spricht er fast fließend und derzeit befindet er sich mitten in den
       Abiturprüfungen. Danach will er zur Polizei gehen oder studieren - doch
       beide Wege sind ihm derzeit versperrt.
       
       Im April 2014 hat Qassemi bei der Stadt Oldenburg einen
       Einbürgerungs-Antrag gestellt. Das einzige offizielle Identitäts-Dokument,
       das er besitzt, ist eine Abstammungsurkunde, in der nur sein früherer
       Vorname und die Vornamen seiner Eltern auftauchen.
       
       Damit sei Qassemis Identität „nicht zweifelsfrei belegbar“, befindet die
       Behörde, doch das sei „für das Einbürgerungsverfahren unabdingbar“.
       
       Maike Chandra sieht das anders. Zwar schreibe das Gesetz zwingend vor, dass
       ihr Mandant Unterlagen „zum Nachweis seines Nachnamens“ beibringen müsse,
       um eingebürgert zu werden.
       
       „Da hat das Ausländeramt null Spielraum“, räumt die Anwältin ein.
       Spielräume habe das Amt aber bei der Frage, welche Unterlagen es als
       ausreichenden Nachweis anerkenne.
       
       „Da es auch in Afghanistan keine entsprechenden Nachweise gäbe“ und ihr
       Mandant mangels Personaldokumenten gar nicht in seine alte Heimat einreisen
       könne, bestehe „die objektive Unmöglichkeit der Beibringung dieser
       Unterlagen“.
       
       In einem solchen Fall aber könnte eine eidesstattliche Erklärung ihres
       Mandanten über seinen Namen ausreichen. „Hier nutzt die Behörde ihre
       Ermessensspielräume nicht aus“, klagt die Anwältin. Doch die Behörde teilt
       diese Auffassung nicht.
       
       „Eine eidesstattliche Versicherung stellt grundsätzlich nur eine Ergänzung
       vorliegender Unterlagen dar“, verkündet das zuständige Ausländerbüro.
       
       Doch das muss nicht das letzte Wort sein. Oldenburgs Oberbürgermeister
       Jürgen Krogmann (SPD) hat sich inzwischen an den niedersächsischen
       Innenminister Boris Pistorius (SPD) gewandt, um eine gesetzeskonforme
       Lösung zu erreichen.
       
       Und Ruth Bensmail hat eine [1][Online-Petition] für die Einbürgerung ihres
       „Sohnes“ gestartet, die binnen einer Woche von über 9.800 Internet-Usern
       unterzeichnet wurde.
       
       27 May 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.change.org/Martin
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Carini
       
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