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       # taz.de -- Berliner Zoochef über Fische und Pläne: „Ich bin im Herzen Aquarianer“
       
       > Andreas Knieriem, Direktor des Berliner Zoos, über Besuche beim Hammerhai
       > und den Blick eines Orang-Utan-Babys.
       
   IMG Bild: „Im Herzen bin ich Aquarianer“.
       
       taz: Herr Knieriem, wenn Sie ein Tier wären, welches wären Sie? 
       
       Andreas Knieriem: Ach nein, das ist eine schwierige Frage. Dafür bin ich zu
       sehr Naturwissenschaftler, zu spröde.
       
       Dann formulieren wir es spröder: Können Sie sich mit den Eigenschaften
       bestimmter Tiere identifizieren? 
       
       Mit einzelnen Aspekten, ja. Bei Ameisen schätze ich den Teamgeist. Bei
       denen ersetzt das Kollektiv das fehlende Gehirn. Blattschneideameisen zum
       Beispiel steuern Temperatur und Luftfeuchtigkeit im Nest so, dass sie einen
       Pilz züchten können. Einzelne Ameisen würden das nicht schaffen. Großen
       Respekt habe ich aber auch vor Orang-Utans.
       
       Wieso? 
       
       Wegen ihrer Stringenz und ihrer kühlen Art. Sie arbeiten strukturiert auf
       ein Ziel hin. Orang-Utans sind Ausbrecherkünstler, sie können ihren
       Daumennagel so feilen, dass er zum Schraubenzieher wird, und werkeln damit
       am Dach herum. Sie foppen uns und wissen genau, dass das verboten ist.
       
       Seit April 2014 sind Sie Chef von Zoo und Tierpark. Welche dieser gerade
       angesprochenen Eigenschaften haben Sie bislang am meisten gebraucht? 
       
       Eher den Orang-Utan. Bei der Vielzahl der Probleme muss man strukturiert
       bleiben. Vieles machen wir gut, manches sogar sehr gut, anderes muss
       verbessert und effizienter werden. Ein dickes Fell benötigt man auch.
       
       Wen sehen Sie öfter, die Tiere oder Ihre Familie? 
       
       Beide viel zu wenig. Was meine Frau angeht, stand ja schon auf dem
       Trauschein „wenig Zeit“. Aber seit dem Umzug nach Berlin ist sie glücklich,
       weil ihre Familie hier lebt. Die fängt es ein bisschen auf, wenn ich zu
       viel arbeite. Bei den Tieren war ich früher als Tierarzt natürlich viel
       mehr, das vermisse ich heute wirklich.
       
       Sie kommen als Direktor selten in die Gehege? 
       
       Derzeit kann ich mir diesen Luxus nicht leisten. Ich hoffe aber inständig,
       dass sich das in ein paar Jahren ändert. Ich habe nicht vor, mich bis zur
       Pensionierung um Verwaltungsprozesse und dreckige Toiletten zu kümmern.
       Derzeit geht es aber um klassische kaufmännische Tätigkeiten: Wir
       etablieren Strukturen, um als Großbetriebe effizient funktionieren zu
       können. Da gibt es so viele Pferdefüße, das kann man sich als normaler
       Mensch gar nicht vorstellen. Arbeitsrechtliche Fragen, technische Fragen,
       energetische Fragen, Fragen der Tierhaltung – alles wichtige Dinge. Die
       treiben mir schon ein paar Sorgenfalten auf die Stirn. Aber deswegen
       gehören Zoo und Tierpark für mich immer auch zum Wochenend-Programm. Und
       ins Aquarium gehe ich jeden Morgen.
       
       Wirklich? 
       
       Ich bin im Herzen Aquarianer. Wir wohnen ja auf dem Zoogelände, und wenn
       ich die Brötchen hole, schaue ich eben kurz, was unser Hammerhai macht und
       wie es den Barracudas geht.
       
       Wenn Gehege modernisiert werden – geht es da eigentlich um die Bedürfnisse
       der Tiere oder um die der Besucher, die beim Anblick von Gittern ein
       schlechtes Gewissen kriegen? 
       
       In einem Zoo haben Sie immer eine Schnittmenge aus den Ansprüchen der
       Tiere, der Mitarbeiter und der Besucher. Aber das Wohl der Tiere ist
       oberstes Gebot. Punkt. Da können sich die Interessen der Besucher immer nur
       unterordnen.
       
       Und was sind die Ansprüche der Tiere? 
       
       Unsere Tiere sind ja keine wilden Tiere, auch wenn wir sie als „Wildtiere“
       bezeichnen. Sie werden bei uns geboren und wachsen hier auf, sie sind auf
       diesen Lebensraum konditioniert. Natürlich müssen wir ihre Bedürfnisse
       berücksichtigen, und die sind manchmal komplexer, als Besucher sich das
       vorstellen. Ein Tier muss sich wohl fühlen, aber auch nicht zu wohl: Zur
       Würze des Lebens gehört ja auch, dass mal etwas nicht rund läuft. Dass das
       Frühstück nicht immer um Viertel vor acht serviert wird. Dass man sich
       etwas erarbeiten muss oder auch mal Pech hat.
       
       Sie bauen bewusst Hürden ein. 
       
       Na klar. Wir wollen, dass sich die Tiere auch etwas erarbeiten. Und soweit
       sie die soziale Kompetenz besitzen, sollen sie das auch gemeinschaftlich
       tun.
       
       Wie sieht das konkret aus? 
       
       Man kann das Futter ab und zu verstecken, und zwar so, dass die Tiere es
       nicht sofort erreichen können. Bei den Elefanten haben wir eine große Kugel
       aufgehängt, aus der das Futter nicht ganz einfach herauszuholen ist.
       
       Aber lebende Beutetiere setzen Sie nicht in Gehegen aus? 
       
       Das dürfen wir nicht. Als Tierarzt hätte ich da auch ein Problem, weil ich
       mit dem Beutetier mitfühlen würde. Natürlich könnte man sagen, das ist eine
       natürliche Verhaltensweise. Aber bis die meisten Beutetiere zu Tode kommen,
       vergeht eine Zeit. Was wir in unseren Schlachthäusern machen, ist für das
       Tier deutlich angenehmer, als wenn es in der Wildbahn gerissen wird. Von
       einer Krähe zerpickt zu werden und langsam an einer Hirnblutung zu sterben,
       ist nicht schön. Was die Fütterung mit lebenden Tieren angeht, gibt es nur
       wenige Ausnahmen.
       
       Welche denn? 
       
       Zum Beispiel können Forellen im Eisbärgehege leben. Der fängt vielleicht
       alle Jubeljahre mal eine. Die Fische haben eine Chance zu fliehen, ohne im
       Dauerstress zu sein. Auch bei Schlangen macht man Ausnahmen. Das sind
       Tötungsprozesse, die schnell und ohne wirkliches Leid fürs Beutetier
       stattfinden. Eine Antilope ins Löwengehege zu setzen, ist aber völlig
       illusorisch.
       
       In Leipzig oder Frankfurt gibt es heute große, naturnah gestaltete Gehege,
       in denen vergleichsweise wenige Exemplare leben. Kommt das auch hier? 
       
       Also der Trend geht schon dahin. Einigen raumbedürftigen Tieren werden wir
       deutlich mehr Platz bieten müssen. Dabei sind die Bedürfnisse sehr
       individuell. Für ältere Tiere kann ein sehr großer Raum sogar schädlich
       sein. In großen Gruppen braucht man dagegen Platz, weil es sonst Probleme
       in der Hierarchie geben kann – nur Fläche reicht nicht, die Tiere müssen
       sich aus dem Weg gehen können.
       
       Der Zoo hatte in den vergangenen Jahren auch wegen populärer Jungtiere gute
       Karten. Knut ist Legende, Anfang dieses Jahres kam das Orang-Utan-Mädchen
       Rieke zur Welt. Inzwischen wurde Rieke nach England gebracht. War das
       schwierig durchzusetzen? 
       
       Nein. Wir sind alle Profis und können das trennen. Selbst die Pfleger, die
       die Kleine immer bei sich hatten, waren sehr sachlich und haben gesehen,
       dass es für Rieke besser ist. Aber wenn sie noch vier oder fünf Wochen
       länger bei uns geblieben wäre, dann wäre es sehr schwer geworden.
       
       Warum? 
       
       Die gegenseitige Konditionierung wird dann immer stärker, irgendwann können
       Sie nicht mehr anders. Wenn ein Orang-Utan-Baby sie ganz intensiv ansieht,
       mit diesen Wimpern, diesem Augenaufschlag – dann sind ihre Hormone
       gefesselt. Ich versuche da eine Distanz zu halten und im Tier nicht den
       Menschen zu sehen.
       
       Sie wollen die Gefühle bei sich nicht zulassen? 
       
       Es ist mein Los, das professionell zu sehen. Mein Job ist, oben auf der
       Leiter zu stehen und den Überblick zu behalten. Wenn ich anfange, den
       kleinen Orang-Utan mit nach Hause zu nehmen, verliere ich den Überblick und
       kann mich nicht mehr um das große Ganze kümmern.
       
       Aber Sie kennen diese Nähe zu Tieren. 
       
       Ja, sicher. Wir hatten vor Jahren ein Erdmännchen-Junges in Pflege
       genommen. Suri hieß es, abgeleitet vom lateinischen Namen Suricata
       Suricatta. Wir haben versucht, es mit der Flasche aufzuziehen, aber es ist
       dann doch gestorben. Das lässt sie nicht so schnell los. Ich hatte früher
       auch mal einen Doktorfisch, mit dem war ich richtig befreundet. Der hat
       schon an der Schrittfrequenz erkannt, ob es Futter gibt. Als er nach 26
       Jahren gestorben ist, musste ich kurz heulen. Ich wollte ihn begraben, aber
       meine Frau fand das übertrieben. Also legten wir ihn nach draußen, und nach
       einer Woche hatten ihn die Insekten erledigt.
       
       Sie sprechen von Tieren auch als „Mitgeschöpfen“. Sind Sie religiös? 
       
       Ich fühle mich schon christlich in meiner Weltanschauung, aber ich bin
       nicht so philosophisch, das sage ich ganz offen. Ich bin
       Naturwissenschaftler.
       
       Schon als Kind haben Sie davon geträumt, Zoodirektor zu werden. 
       
       Ach, so was steht immer in der Zeitung … das stimmt aber gar nicht. Als
       kleines Kind wusste ich gar nicht, was ich werden wollte. Dann hatte ich
       ein großes Interesse an Sternen und wollte Astronom werden. Erst mit 13
       Jahren fing das mit den Tieren an, es wurde dann aber bald sehr intensiv.
       Mit 16, 17 riet mir der Zoodirektor in Duisburg, ein Freund meiner Eltern,
       Tiermedizin zu studieren. Das habe ich dann brav gemacht.
       
       Wenn Sie heute durch die Anlagen von Zoo und Tierpark spazieren, empfinden
       Sie da eine gewisse Genugtuung, das alles zu leiten? 
       
       (Überlegt) Nein. Da bin ich raus. Ich brauche das nicht mehr für mein Ego,
       ich habe schon in so vielen Zoos gearbeitet. Ich empfinde es aber als
       Bereicherung, diese Vielfalt begleiten zu können. Und ich freue mich, in
       Berlin zu sein. Ich finde die Stadt faszinierend, und schon das Wetter ist
       viel besser als in München
       
       31 May 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Antje Lang-Lendorff
   DIR Claudius Prößer
       
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