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       # taz.de -- Naturschutz-Nachhilfe für Biohöfe: Was dem Feldhasen gut tut
       
       > Nichts gefährdet die Artenvielfalt so stark wie Agrarbetriebe. Selbst
       > Biohöfe können in Sachen Tier- und Pflanzenschutz dazulernen.
       
   IMG Bild: Wegen Monokulturen und fehlendem Brachland vom Aussterben bedroht: der Feldhase.
       
       BERLIN taz | Eine neue Initiative „Landwirtschaft für die Artenvielfalt“
       soll Biobetriebe in Mecklenburg-Vorpommern zu vorbildlichem Naturschutz auf
       dem Acker erziehen. Getragen wird die Aktion vom Umweltverband WWF, dem
       Verein Biopark, dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf),
       dem Händlerzusammenschluss Edeka und dem Landwirtschaftsministerium
       Mecklenburg-Vorpommern. Bisher machen rund 40 Höfe auf einer Fläche von
       25.000 Hektar mit, auch Großbetriebe. Wird daraus mehr als eine
       Schaufensteraktion?
       
       Tatsächlich kommt nun der Realitätscheck für das Vorhaben, das 2011
       ausgedacht und 2012 auf den Weg gebracht wurde: Vergangene Woche
       demonstrierten die Stakeholder in Walkendorf, Kreis Rostock, an zwei
       Biomusterbetrieben, wie die neuen Naturschutzstandards angewandt werden
       können.
       
       Die Höfe sollen naturverträglich arbeiten und damit seltenen Wildpflanzen
       und Tieren wieder Lebensraum bieten, dazu gehören unter anderem gezielt
       angelegte Blüh- und Amphibienstreifen, Hecken und Brachen, rücksichtsvolles
       Mähen mit Ruhepausen für die Natur, kleinteiligere Anbaustrukturen und die
       eingeschränkte Nutzung von Grünland.
       
       Die Wissenschaftler des Zalf haben ein ganzes Handbuch mit sinnvollen
       Maßnahmen bis hin zum teilweisen Verzicht auf Unkrautjäten und Düngen
       geschrieben. Ein Monitoring ausgewählter Vogel-, Amphibien- und
       Pflanzenarten soll später zeigen, ob die biologische Vielfalt wirklich
       profitiert.
       
       ## Buchführung des Niedergangs
       
       Dass die Landwirtschaft die Schlüsselrolle für den Erhalt oder Niedergang
       des biologischen Reichtums einnimmt, wird kaum noch ernsthaft bestritten.
       Auch in deutschen Regionen ist die Intensivlandwirtschaft mit Monokulturen
       und Stickstofforgien, Brutalo-Mähtechnik, Pestizideinsatz und reduzierten
       Fruchtfolgen für die Artenverluste hauptverantwortlich. Rückzugsräume für
       die Natur werden immer knapper. Für Grün- und Ackerland typische Pflanzen
       haben „in den letzten 50 bis 60 Jahren Häufigkeitsabnahmen in der
       Größenordnung von 95 bis 100 Prozent erlitten“, heißt es in einer Studie
       des Geobotanikers Christoph Leuschner.
       
       Für Mecklenburg-Vorpommern legte Agrarminister Till Backhaus (SPD) nun
       Zahlen vor. Obwohl er das eigene Bundesland als vorbildlich lobt (“bei
       Natur und Landwirtschaft sind wir spitze“), muss er gleichzeitig einen
       dramatischen Verlust von Tieren und Pflanzen konstatieren: Nur 33 Prozent
       der Pflanzen- und 50 Prozent der Tierarten gelten als ungefährdet, alle
       anderen sind gefährdet, stark gefährdet, extrem selten, vom Aussterben
       bedroht, stehen auf Vorwarnlisten oder sind verschollen. Immerhin: Die
       Buchführung des Niedergangs ist mustergültig.
       
       Jetzt wird auf 40 Biohöfen gegengesteuert, damit Feldlerche und
       Wiesenpieper wieder jubilieren, die Rotbauchunke häufiger unkt und das
       Hügelfingerkraut freudig wächst. 40 Naturschutzexperten sind in die
       Initiative eingebunden, vier Berater stehen den Höfen zur Verfügung. Die
       Landesregierung fördert das Projekt, über den Verkauf der mit einem
       Speziallogo ausgestatteten Hoferzeugnisse bei Edeka sollen die Mehrkosten
       wieder eingespielt werden.
       
       ## „Nicht immer amüsiert“
       
       WWF-Umweltschutzexpertin Tanja Dräger de Teran, die die Initiative von
       Anfang an mit angeschoben hat, sieht erste Erfolge: Die Betriebe entdeckten
       jetzt erst, welche Tiere und Pflanzen auf ihren Feldern überhaupt
       vorkommen. Über die Schutzmaßnahmen seien sie zwar „nicht immer amüsiert“,
       aber insgesamt sei die Akzeptanz gut.
       
       Dass nur Biohöfe für die Initiative ausgewählt wurden, ist für Dräger de
       Teran logisch, weil die Ökolandwirtschaft naturverträglicher sei. Der
       Umkehrschluss: Die naturverschlingende konventionelle Landwirtschaft hätte
       Nachhilfe im Artenschutz eigentlich nötiger. Die Initiative zeigt
       jedenfalls, dass auch Biohöfe beim Artenschutz großen Nachholbedarf haben.
       
       Uli Jasper, einer der Köpfe der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche
       Landwirtschaft, findet das Vorhaben „aller Ehren wert“, er würde sich aber
       mehr Kleinbetriebe wünschen und nicht nur die großen. Überhaupt: Die Größe
       der Betriebe, so Jasper, sei ein zentraler, oft sträflich vernachlässigter
       Punkt. Die Kleinen hätten „strukturelle Vielfalt“ und interessante
       Feldgrößen. Jasper ist gespannt, ob am Ende mehr rauskommt als eine
       symbolische Aktion.
       
       4 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manfred Kriener
       
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