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       # taz.de -- WDR-Mockumentary von Olli Dittrich: Der Weltkleinbürger Beckenbauer
       
       > Dittrich lässt wirklich nichts aus: Die wahrsten Wahrheiten über die ARD,
       > ihre investigativen Formate – und über Franz Beckenbauer.
       
   IMG Bild: Die Diktion: perfekt
       
       Entwarnung für alle Fußballfreunde. Sepp Blatter ist nun doch noch
       zurückgetreten und Franz Beckenbauer hat den von einer überkritischen
       Medienöffentlichkeit auf die Goldwaage des Zynismus gelegten Satz erstens
       gar nicht gesagt und zweitens auch nicht so gemeint: „Ich habe noch nicht
       einen einzigen Sklaven in Katar gesehen.“ Alles nur ein Missverständnis. Es
       sollte heißen: „Ich habe in Katar noch nie einen schlafen gesehen.“ Im
       Sinne von: „Dass die fleißig sind. Der Afrikaner, der baut gerne.“
       
       Die viel größere Enthüllung aber ist die, dass der, der sich versprochen
       hat, gar nicht Franz Beckenbauer war. Sondern ein seit fünf Jahrzehnten zu
       seiner Entlastung eingesetztes Double. Jetzt packt er aus: „ 'Schorsch‘
       Aigner – der Mann, der Franz Beckenbauer war“. Ein Mann, der auf den Namen
       Oliver Michael Dittrich getauft wurde.
       
       Ja, is denn heut scho Weihnachten?! Denn die ARD macht ein Geschenk von der
       Sorte, wie sie es nur einmal im Jahr macht. Im nunmehr dritten Jahr
       beschert sie im Spätprogramm eine knappe halbe Stunde, in der Olli Dittrich
       sich ein Stück (öffentlich-rechtliches) Formatfernsehen zur Brust nehmen
       darf.
       
       2013 persiflierte er das „Frühstücksfernsehen“ im Allgemeinen und das
       „Morgenmagazin“ von ARD/ZDF im Besonderen. 2014 ging es in „Das
       TalkGespräch“ um jenes Genre und sein notorisches Personal, mit dem die ARD
       ihre Zuschauer im vergangenen Jahr noch an fünf von sieben Wochentagen
       versorgen zu müssen meinte. Daran wurde seinerzeit auch Kritik geübt.
       
       ## Total selbstironisch und reflektiert
       
       Nun sind Geschenke niemals selbstlos und die etwas weniger als 30 Minuten
       für Dittrich im Jahr schon gar nicht. Die ARD hat hier vielmehr ein
       Instrument geschaffen, um zu demonstrieren, dass die Kritik an ihr nicht
       einfach nur abperlt, sondern dass sie in Wahrheit total selbstironisch und
       reflektiert ist, sich auch mal locker machen kann. Alle übrigen komischen
       Programme des Senders ("Kabarett“) – was immer ihr Sinn und Zweck sein mag
       – können das nicht leisten.
       
       Beim dritten Mal nun geht Dittrich es etwas anders an. Cordula Stratmann
       ist nicht mehr an seiner Seite und er beschränkt sich – nach vormals
       immerhin neun ("Frühstücksfernsehen“) und fünf Rollen (“Das TalkGespräch“)
       – auf die Verkörperung einer einzigen Figur.
       
       Kenner seines Werks werden wissen, dass er sich bereits nach der WM 2006
       schon einmal als Franz Beckenbauer interviewen ließ, im Hotel Atlantic, von
       Harald Schmidt. Nun gibt er nicht Franz Beckenbauer, sondern den Mann, der
       nicht Franz Beckenbauer ist, es aber lange war, zumindest als Doppelgänger.
       Es ist also alles schön verzwickt und verdreht und zur Wahrheit entstellt.
       Wie in jener Katar-Episode. Denn die sklavenbefreite Alternativversion
       liegt gewissermaßen in einer graduell nur einen Tick weniger
       chauvinistischen Parallelspur – gut vorstellbar, dass der Weltkleinbürger
       Beckenbauer tatsächlich so formuliert hätte. Schwadroniert hätte.
       
       ## Scheinbar sachlich, dabei reißerisch
       
       Dittrichs Maske ist gut, die Haltung, die Diktion perfekt – Original und
       Spiegelbild werden von Minute zu Minute immer weniger unterscheidbar. So
       wie ‚Schorsch‘ Aigner irgendwann wirklich Beckenbauer war, ihn nicht mehr
       nur spielte. Seit 32 Jahren sind er und Elfriede verheiratet: „Diese
       Beziehung hat vieles ausgehalten. Auch ‚Schorschs‘ permanente Reisen. Mal
       mit, mal ohne Damenbegleitung. Aber immer ohne Elfriede.“
       
       Aber nicht nur Beckenbauer kriegt sein Fett weg. Es soll ein omnipräsentes
       TV-Format vorgeführt, ja entlarvt werden: die investigativen
       Dokumentationen, auf die sich die Öffentlich-Rechtlichen, die ARD noch ein
       bisschen mehr als das ZDF, in Sachen Programmauftrag viel einbilden. Der
       altgediente ARD-Zuschauer wird die Vorbilder der Sendung „Historystory
       Spezial“ unschwer ausmachen. Dittrich und Ko-Autor/-Regisseur Tom
       Theunissen haben sie sich genau angeguckt und gut zugehört.
       
       Dass Sprecher Mark Bremer den Ton so präzise trifft, kommt nicht von
       ungefähr – er ist regelmäßig als Sprecher für die journalistischen Formate
       von ARD und ZDF im Einsatz. Er beherrscht diesen spezifischen, scheinbar
       sachlich daherkommenden und dabei doch immer auch reißerischen Sound, wenn
       er zu den Luftbildern aus dem Alpenidyll tönt: „Am Ende dieser langen
       Recherche steht ein Szenario wie aus einem Heimatfilm. Hier lebt er.
       Hans-Georg, genannt ‚Schorsch‘ Aigner. Wir treffen ihn mit einem seiner
       letzten Stapel Autogrammkarten an.“ Oder: „Wir recherchieren. Unabhängig
       vom Rechercheverbund WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung. Mit Hilfe der
       Fußball-Online-Plattform Kickileaks finden wir interessantes Material …“ Da
       legst di nieder.
       
       4 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Müller
       
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