URI: 
       # taz.de -- Merkel empfängt Ägyptens Präsident: Geschrei und Gerangel
       
       > Bundeskanzlerin Merkel empfängt den ägyptischen Präsidenten Al-Sisi. Die
       > gemeinsame Pressekonferenz endet in einem Tumult.
       
   IMG Bild: Protest in der Bundespressekonferenz: Eine Frau schreit den ägyptischen Präsidenten an.
       
       BERLIN taz | Angela Merkel hätte einen ruhigen Arbeitstag erleben können.
       Sie hätte vielleicht eine Kabinettsitzung geleitet, ein Museum eröffnet
       oder Akten für den G-7-Gipfel durchgearbeitet. Dazu hätte sie nur ihre
       Ankündigung aus dem vergangenen Jahr wahrmachen müssen: Sie werde den
       ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi hier erst empfangen, wenn
       dieser in seinem Land Parlamentswahlen zulässt.
       
       Die sind noch immer nicht in Sicht. Auf einer Wirtschaftskonferenz vor
       einigen Wochen in Scharm al-Scheich (der Siemens-Konzern erhaschte dort
       einen Milliardenauftrag) überreichte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel
       (SPD) trotzdem eine Einladung nach Berlin – im Auftrag der Kanzlerin, die
       sich damit einen denkwürdigen Staatsbesuch einhandelte.
       
       Von Opposition und Menschenrechtlern hagelte es Kritik; Bundestagspräsident
       Norbert Lammert (CDU) weigerte sich sogar, den Gast zu begrüßen. Und Merkel
       selbst? Erlebte eine Pressekonferenz, die in Geschrei und Gerangel endete.
       
       Um kurz nach zwei steht sie im Kanzleramt mit dem ägyptischen Präsidenten
       vor der Presse. Der halbe Saal ist mit ägyptischen Journalisten belegt, die
       meisten von ihnen reisen in der Delegation ihres Präsidenten. Sie sind
       leicht zu erkennen: An ihren Sakkos tragen sie runde Buttons mit dem
       Konterfei al-Sisis.
       
       Claqueure, könnte man sagen, und es wäre noch nicht mal eine Beleidigung:
       Al-Sisi erhebt das Wort, sagt einen halben Satz, und bevor er zur zweiten
       Hälfte ansetzen kann, brechen zwei Dutzend Journalisten in Applaus aus. Der
       ägyptische Pressetross hält offenbar viel von seinem Präsidenten.
       
       ## Was ist mit der Todesstrafe?
       
       Zuvor hatte Merkel gesprochen, ohne Szenenapplaus. „Ich freue mich, dass
       uns der ägyptische Präsident in Deutschland besucht“, sagt sie und fasst
       dann zusammen, worüber sie mit al-Sisi gesprochen habe: über die
       Wirtschaftsbeziehungen (“Wir wollen alles daransetzen, dass Ägypten
       wirtschaftlich florieren kann“), die Unternehmer in der Delegation des
       Ägypters (“Die führen den ganzen Tag über Gespräche in Berlin“) und den
       Kampf gegen den Terrorismus in der Region (“Ihr Land ist als eines der
       wenigen in der Region durch Stabilität gekennzeichnet“).
       
       Dann ist da noch die Sache mit den Menschenrechten: Sie werde dieses Thema
       ansprechen, hatte Merkel im Vorfeld angekündigt. Das tut sie dann auch.
       „Die Verhängung der Todesstrafe sollte man aus unserer Sicht vermeiden“,
       sagt sie. Zu den ausstehenden Parlamentswahlen verliert sie kein Wort.
       
       Einen ägyptischen Präsidenten beeindruckt das nicht: „Wir respektieren Ihre
       Perspektive zu diesem Thema und Sie sollten unsere respektieren“, sagt
       al-Sisi, nachdem sein Applaus abgeklungen ist. Und das Todesurteil gegen
       seinen Vorgänger Mohammed Mursi, der noch vor zwei Jahren vor derselben
       blauen Wand im Kanzleramt stand? Keine Sorge. Das sei ja noch nicht
       rechtskräftig.
       
       ## Demo, Gegendemo
       
       Vom Trubel auf der Straße bekommt al-Sisi drinnen nichts mit. Während er
       spricht, finden vor dem Kanzleramt zwei Demonstrationen statt. Auf der
       einen Seite: Sympathisanten der oppositionellen Muslimbruderschaft. „Sisi,
       Sisi, Massenmörder“, rufen sie. Keine 300 Meter weiter: Anhänger des
       Präsidenten, aus ganz Europa angereist. „Willkommen in Deutschland“, steht
       unter den Al-Sisi-Porträts, die sie in die Luft halten.
       
       Die Atmosphäre ist aufgeheizt, so wie tags zuvor am Flughafen: Zwei
       Oppositionsanhänger haben sich dort nach Polizeiangaben vor einen Bus
       voller ägyptischer Diplomaten gesetzt. Die Delegation soll die Blockierer
       tätlich angegriffen haben. Auf so einen Moment steuert am Ende auch die
       Pressekonferenz im Kanzleramt hin. Zwei Fragen erlaubt Merkels Sprecherin
       noch.
       
       „Im Namen des Volkes will ich dem Präsidenten für seine Bemühungen danken“,
       sagt ein Ägypter und will dann etwas zur Terrorbekämpfung wissen. „Was
       sagen Sie zu Herrn Blatter?“, fragt ein Deutscher und bekommt seine
       Antwort. Dann ist die Pressekonferenz vorbei. Plötzlich setzt das Gebrüll
       ein: Schreie auf Arabisch, eine Menschentraube; Sicherheitsleute geleiten
       Merkel und al-Sisi aus dem Raum.
       
       Eine deutschsprachige Journalistin mit Kopftuch sei aufgestanden und habe
       al-Sisi als Mörder bezeichnet, heißt es später. Die Journalisten aus dem
       offiziellen ägyptischen Tross seien in ihre Richtung gestürmt, um sie
       niederzubrüllen. „Es lebe Ägypten“, schrien sie im Chor. Nun ja. Angela
       Merkel hätte einen ruhigen Arbeitstag erleben können.
       
       3 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tobias Schulze
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Angela Merkel
   DIR Abdel Fattah al-Sisi
   DIR Todesstrafe
   DIR Ägypten
   DIR Ägypten
   DIR Ägypten
   DIR Abdel Fattah al-Sisi
   DIR Ägypten
   DIR Deutschland
   DIR Ägypten
   DIR Ägypten
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Bombenanschlag in Ägypten: Generalstaatsanwalt getötet
       
       Der IS hatte zu Anschlägen auf die ägyptische Justiz aufgerufen. Nun starb
       der Generalstaatsanwalt Barakat bei einem Attentat in Kairo.
       
   DIR Terror in Ägypten: Selbstmordanschlag in Luxor
       
       Sie kamen mit Waffen und Sprengstoff: Vor dem Karnak-Tempel sprengte sich
       ein Attentäter in die Luft, ein weiterer wurde erschossen. Es gab
       Verletzte.
       
   DIR Riesenauftrag für Siemens aus Ägypten: Das Geschenk des Generals
       
       Politisch ist der Besuch von Ägyptens Präsidenten al-Sisi umstritten,
       wirtschaftlich aber lukrativ – für Siemens. Die Firma soll in Ägypten
       mehrere Kraftwerke bauen.
       
   DIR Kommentar Al-Sisi in Berlin: Es ist eine Schande
       
       Der Westen hat Interesse an stabilen Verhältnissen in Ägypten. Dafür sollte
       aber nicht das Militär des Landes hofiert werden, wie es grade geschieht.
       
   DIR Kommentar Al-Sisi-Besuch in Berlin: Unterwürfige Friedlichkeit
       
       Ägyptens Präsident al-Sisi ist zu Besuch und Angela Merkel muss sich
       fragen: Erntet mehr IS, wer repressive arabische Regimes sät?
       
   DIR Ägyptischer Präsident Al-Sisi in Berlin: Ungeliebter Gast
       
       Menschenrechtsorganisationen und Opposition kritisieren den Besuch des
       ägyptischen Präsidenten. Die Bundesregierung lässt das kalt.
       
   DIR Ägyptens Präsident Al-Sisi besucht Berlin: Wo Tote zum Tode verurteilt werden
       
       Fragwürdige Verfahren, Folter, erpresste Geständnisse, Massenhinrichtungen:
       Die ägyptische Justiz ist in einem desolaten Zustand.