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       # taz.de -- Bezahlte Anti-G-7-Demonstranten: Der Zombie von Seite Eins
       
       > Die meisten demonstrieren aus echter Empörung gegen den G7-Gipfel. Doch
       > die Welthungerhilfe rekrutierte Schauspielerinnen für den Protest.
       
   IMG Bild: Der Hungertod? Oder ein Demo-Zombie?
       
       MÜNCHEN taz | An diesem Freitag sitzt die junge, dunkelhaarige Frau
       freundlich am Schalter eines Autovermieters in München. Sie trägt einen
       Hosenanzug, eine helle Bluse und um den Hals einen Seidenschal mit dem
       Emblem der Mietagentur. Hier sind alle Mitarbeiter so verkleidet, es macht
       ihr nichts, das ist ihr Nebenjob. Eigentlich will die junge Frau
       Schauspielerin werden, allerdings: Manche Angebote lehnt sie dennoch ab.
       
       In dieser Woche erst, sagt sie, hätte sie die Möglichkeit gehabt, in
       wenigen Stunden 600 Euro zu verdienen. Nicht etwa als Hostess für das
       Champions-League-Finale in Berlin. Sondern am Donnerstag bei der
       Großdemonstration von Globalisierungskritikern in München.
       
       Ja, richtig gehört.
       
       Denn die freundliche junge Dame hat ihr Profil bei einer Schauspielagentur
       hinterlegt. Und weil ihre Hautfarbe einen dunklen Teint hat, kam sie
       offenbar für diese Position in Frage. Vor einigen Tagen, so erzählt sie,
       bekam sie eine Mail der Agentur. Darin habe sinngemäß gestanden: Gesucht
       wird eine dunkelhäutige Frau, die im Rahmen der G7-Großdemonstration als
       „Living Doll“ auftritt. Das Anforderungsprofil: Sie müsse sich am
       Donnerstagnachmittag für einige Stunden als „Zombie“ anmalen lassen und
       dann bei der Demonstration auftreten. [1][Auftraggeber: Die
       Welthungerhilfe].
       
       600 Euro – für einige Stunden? Ein wirklich gutes Gehalt. Doch sie lehnte
       ab.
       
       ## Hungertod mit Sense
       
       Bis zu 40.000 Menschen gingen an diesem Donnerstag gegen den G7-Gipfel auf
       die Straße. Sie demonstrierten gegen TTIP, für wirksame
       Klimaschutzmaßnahmen und für die Bekämpfung des Hungers in der Welt. Die
       allermeisten von ihnen kamen unbezahlt, sie verkleideten sich, malten
       Transparente, überlegten sich kreative Protestformen. Aber einige kamen
       bezahlt.
       
       Insgesamt 3.000 Euro, so bestätigt eine Sprecherin der Welthungerhilfe am
       Samstag taz.de, hat die Organisation fünf Schauspielern angeboten.
       Erfolgreich. Am Ende fanden sich zwei Frauen mit dunkler Hautfarbe, die
       sich als „Hungertod“ schminken ließen und mit Sensen herumliefen, drei
       weitere Schauspieler gingen als Kleinbauern.
       
       Das Bild setzte sich durch: Es schaffte es auf die Titel- und Politikseiten
       zahlreicher Zeitungen. Auch im Internet ist es leicht zu finden. Eigentlich
       ein Erfolg – oder? Mit ihrer Aktion wollte die Welthungerhilfe auf den
       Hungertod in der Welt hinweisen. Sind 3000 Euro für diesen Effekt zu viel
       investiert?
       
       Darüber dürften die Meinungen auseinandergehen. Am Telefon beeilt sich eine
       Sprecherin zu sagen: „Tatsächlich ist es wirklich so, dass die
       Welthungerhilfe überhaupt keine Gelder verschwendet.“ Sie hält auch den
       Lohn für gerechtfertigt. Die Schauspielerinnen hätten sich tagelang auf den
       Tag vorbereiten müssen, geschminkt werden müssen und außerdem hätten sie
       auch etwas Angst gehabt.
       
       ## Auch andere NGOs machen das
       
       Eine weitere Sprecherin der Welthungerhilfe sagt später: Die Organisation
       habe ein vergleichsweise niedriges Marketingbudget, es sei schwer mit einem
       Thema wie Hunger in die Öffentlichkeit zu gelangen. Und so entschieden sie
       eben: Dunkelhäutige Frauen mussten her.
       
       Dass SchauspielerInnen für eine Beteiligung an Großprotesten eingespannt
       werden, ist kein Alleinstellungsmerkmal der Welthungerhilfe. Auch die
       Kampagnenorganisation Campact bezahlte in der Vergangenheit immer wieder
       Honorare an Protestprotagonisten – ob als Moderatoren, Puppenträger oder
       Schauspieler.
       
       In einzelnen Fällen, sagt Campact-Geschäftsführer Christoph Bautz, habe man
       dafür auch den Weg über Schauspielagenturen gewählt. Etwa als Campact einen
       Steuersünder suchte, der Geld in die Löcher eines Schweizer Käses steckte.
       „Wenn der Protest der Bürger im Fokus steht und von ehrenamtlichen getragen
       wird, habe ich damit kein Problem.“ In München seien immerhin 40.000
       Demonstranten unterwegs gewesen.
       
       ## Wieviel dürfen schöne Bilder kosten?
       
       Es war ein Wettbewerb der Bilder. Campact war mit einer 4 Meter hohen
       Glyphosat-Spritze unterwegs, die für das Saatgutunternehmen Monsanto stehen
       sollte. Sie spritzte, so das Symbol, als Hasen, Igel und Schmetterlinge
       verkleidete Menschen tot. Die Organisation Oxfam brachte Pappmaché-Köpfe
       der beteiligten G7-Staats- und Regierungschefs mit.
       
       Ihre Bilder liefen in Konkurrenz zu denen der Welthungerhilfe. Die Frage
       steht ja im Raum: Wieviel darf man sich die schönen Bilder kosten lassen?
       Andererseits: Was sagt es eigentlich über eine Organisation wie die
       Welthungerhilfe, wenn sich für die schönen Bilder sonst niemand mehr
       findet?
       
       Zur Stunde veranstaltet die Welthungerhilfe gemeinsam mit anderen
       Organisationen in München ein großes Konzert. „United Zusammen“ ist es
       überschrieben. Es ist ein Konzert gegen Armut. Der Eintritt ist frei.
       
       6 Jun 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.welthungerhilfe.de/sensenmaenner-in-muenchen.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Kaul
       
       ## TAGS
       
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