URI: 
       # taz.de -- Künstliche Gliedmaßen aus der Retorte: Künstlich erzeugte Rattenpfoten
       
       > Einem Forscherteam ist es gelungen, die Pfote einer Ratte wachsen zu
       > lassen. Die Wissenschaftler sind aber auch weiterhin auf ein Spendertier
       > angewiesen.
       
   IMG Bild: Künstliche Rattenpfote mit funtionsfähigen Gefäßen und Muskeln.
       
       Boston dpa | Eine von einem amerikanischen Forscherteam künstlich erzeugte
       Rattenpfote hat Hoffnungen auf Hilfe für Menschen mit abgetrennten
       Gliedmaßen geweckt. „Ich hoffe, dass in vielleicht zehn Jahren Menschen
       einen konkreten Nutzen haben werden“, sagte Forschungsleiter Harald Ott vom
       Massachusetts General Hospital (MGH) in Boston. Das Team des Österreichers
       hatte in einem Nährmedium die Pfote wachsen lassen, die ein
       funktionierendes Gefäß- und Muskelgewebe habe.
       
       „Wir haben die Pfote einer toten Ratte von allen Zellen befreit, so dass
       sie keinerlei Zellen mehr enthielt“, sagte Ott. „Dann haben wir sie mit
       lebenden Zellen quasi besiedelt.“ Das Ergebnis sei eine im Wesentlichen
       funktionierende Gliedmaße gewesen.
       
       „Wir haben auch den Unterarm eines Pavians von Zellen befreit und so
       nachgewiesen, dass die Methode grundsätzlich auch bei Primaten angewendet
       werden kann.“ Ott rechnet mit einer Anwendung in der Humanmedizin in etwa
       zehn Jahren. „Dann wird man nicht gleich einen Unterarm wachsen lassen,
       aber vielleicht Muskeln.“
       
       Die Forscher hatten mit einem Lösungsmittel in einem tagelangen Prozess
       alle lebenden Zellen von der amputierten Pfote einer Ratte gelöst. Nur die
       Grundstrukturen seien erhalten geblieben. Dann hätten sie die einzelnen
       Teile wieder mit lebenden Zellen eines anderen Tieres besetzt. In den
       folgenden Tagen seien die einzelnen Gewebe wie Muskeln und Adern wieder
       herangewachsen. Bei den Muskeln sei das Zellwachstum zusätzlich durch
       elektrische Stimulation angeregt worden. Insgesamt dauerte der
       Wiederbesiedlungsprozess demnach zwei Wochen.
       
       Der große Vorteil des Verfahrens ist, dass die Immunreaktion nach einer
       Transplantation weit geringer ausfiele, weil das transplantierte Organ ja
       mit den eigenen Zellen besiedelt wurde. Funktionstests hätten gezeigt, dass
       die Muskeln der künstlichen Pfote auf elektrische Anregung mit
       Kontraktionen reagierten, erläuterten die Forscher. Ihre Kraft habe etwa 80
       Prozent der von Muskeln einer neugeborenen Ratte erreicht.
       
       ## Erprobte Methode
       
       Nach der selben Methode – Entfernung aller Zellen eines Spenderorgans und
       Besiedelung mit lebenden Zellen – seien schon Nieren, Lebern, Herzen und
       Lungen von Tieren geschaffen worden. Gliedmaßen seien aber viel komplexer.
       In einem weiteren Versuch seien bei einem Unterarm eines Pavians alle
       Zellen entfernt und mit der Neubesiedlung begonnen worden, ergänzte Otts
       Team. Die bisherigen Ergebnisse nährten zwar die Hoffnung, so irgendwann
       auch beim Menschen Gliedmaßen ersetzen zu können. Der Aufbau der Nerven
       bleibe aber eine große Herausforderung.
       
       Den Medizinern zufolge leben allein in den USA mehr als 1,5 Millionen
       Menschen mit fehlenden Gliedmaßen. Trotz großer Fortschritte bei den
       Prothesen sei dies eine Belastung für das tägliche Leben und nicht zuletzt
       das Empfinden.
       
       „Die komplexe Natur unserer Gliedmaßen macht es zu einer großen
       Herausforderung, sie zu ersetzen“, so Ott. „Sie bestehen aus Muskeln,
       Knochen, Knorpel, Sehnen, Bändern und Nerven – alles muss aufgebaut werden
       und alles bedarf einer bestimmten Grundstruktur.“ Sein Team habe nun
       bewiesen, dass diese Struktur erhalten und mit neuem Gewebe versehen werden
       kann.
       
       ## Methode ist nicht ganz neu
       
       Wirklich neu sei der Ansatz nicht, sagte Raymund Horch, Direktor der
       Plastisch- und Handchirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen.
       Eine solche Dezellularisierung und Repopularisierung sei auch schon mit
       anderen Geweben wie Herz und Trachea gemacht worden, habe aber bisher
       dennoch keinen Einzug in die klinische Anwendung gefunden.
       
       „Es ist aber ein interessanter Ansatz, weil man letztlich doch die Natur
       braucht, um ein optimales Stützgerüst zu haben, welches dann durch
       Dezellularisieren wieder lebendig gemacht werden soll“, so Horch.
       
       „Das eigentliche Anliegen, nämlich einmal ganze Organe zu züchten, wird
       damit nicht wirklich gelöst.“ Selbst wenn bei dem Ansatz künftig einmal
       alles gut funktionieren sollte, werde immer noch ein Spenderorgan benötigt.
       „Das ist aber das Problem bei der initialen Idee des Tissue Engineering
       gewesen: Man wollte eben gerade den Mangel an Spenderorganen umgehen.“
       
       9 Jun 2015
       
       ## TAGS
       
   DIR Ratten
   DIR Tierversuche
   DIR Biologie
   DIR 3-D-Drucker
   DIR Tierversuche
   DIR Fleisch
   DIR Tierversuche
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ersatzteile für Menschen: Das Ohr aus dem 3-D-Drucker
       
       US-Wissenschaftler haben ein Organ ausgedruckt, das aus einer künstlichen
       Struktur und lebenden Zellen besteht. Das könnte Folgen haben.
       
   DIR Kikkoman beendet Tierversuche: Nie wieder für Sojasauce töten
       
       Sieg für Peta: Um seine Saucen besser bewerben zu können, hat Kikkoman
       Ratten und Mäuse gequält. Das soll jetzt aufhören.
       
   DIR Aus „Le Monde diplomatique“: Die Frankenstein-Industrie
       
       High-Tech-Hühner, Designer-Kühe und Pharma-Cocktails: Ein Blick in die
       Abgründe der globalen Fleischproduktion.
       
   DIR Pharma-Forschung: Ein Mensch aus Chips
       
       Ein Großteil der Tierversuche könnte in Zukunft überflüssig werden.
       Wichtige Forschungsergebnisse liefern auch künstliche Organe – wie die
       „Chip-Lunge“ zeigt.
       
   DIR Organspendeskandal an Unikliniken: Herz und Niere, täglich geprüft
       
       Roy Gunkel braucht ein Herz und eine Niere. Beide Organe müssen vom selben
       Spender kommen. Vorher schluckt er viele an Tabletten, braucht
       Blutkonserven und muss zur Dialyse.
       
   DIR Synthetische Biologie: Künstliche Qualle mit Rattengenom
       
       Forscher haben aus Silikon und den Herzmuskelzellen einer Ratte eine
       künstliche Qualle erschaffen. Sie schwimmt wie ihr natürliches Vorbild im
       Wasser. Das ist etwas gruselig.