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       # taz.de -- Die Wahrheit: Revolver am Pool
       
       > Beim Training für schießwütige Polizisten in Texas. Eine
       > Wahrheit-Reportage aus dem Inneren eines waffengeilen Landes.
       
   IMG Bild: Nach exzessivem Gebrauch muss die Waffe erstmal ausglühen.
       
       Officer Wayne Freeley fixiert die Fotografien mit der Geduld eines
       erfahrenen Jägers. Seine stahlblauen Augen verengen sich zu schmalen
       Schlitzen, der Atem geht tief und ruhig, während er kaltblütig die Minuten
       verstreichen lässt. Beinahe unmerklich zuckt schließlich die Schusshand des
       erfahrenen Streifenbeamten, dann schnellt sie hervor, um den roten Buzzer
       zu betätigen.
       
       „Das war schon sehr gut, Wayne“, lobt Dr. Jackson, Chief Supervisor vom
       Second Chance Center for Community Policing in Rabbit Punch, Texas. Dabei
       hat Officer Freeley schon wieder das Bild eines fröhlichen schwarzen
       Kleinkinds angewählt, das ihm vertrauensvoll die zarten Hände
       entgegenstreckt. Ein erleichtertes Grinsen erhellt Freeleys kantiges
       Bauerngesicht.
       
       „Danke, Sir, ich gebe mir allergrößte Mühe“, rapportiert er, und erst jetzt
       sieht man dem jungen Cop die Strapazen an, die ihm die Testreihe
       abverlangt. Das Blondhaar klebt feucht an seinem Schädel, die Augen liegen
       tief in den Höhlen, Speichel trocknet in seinen Mundwinkeln.
       
       „Ich weiß nicht, Sir“, stottert er, „ich meinte, eine Waffe in seiner Hand
       gesehen zu haben. Aber es ging alles so schnell.“
       
       Aus einer Reihe verschiedener Darstellungen soll der Polizist mögliche
       Bedrohungsszenarien identifizieren. Neben dem lächelnden schwarzen
       Kleinkind standen in dieser Runde Bilder einer Gruppe Rednecks auf Crystal
       Meth mit Sturmgewehren und das eines tollwütigen Pumas zur Auswahl –
       Situationen, die in Officer Freeleys Einsatzgebiet im ländlichen Texas zum
       Polizeialltag gehören. Aber auch weniger alltägliche Bedrohungen wie eine
       Horde Zombies oder ein auf die Erde zurasender Asteroid werden von Freeley
       konsequent ignoriert. Immer wieder wählt der Polizist das Abbild des
       schwarzen Buben aus.
       
       „Das ist keineswegs Ausdruck einer rassistischen Einstellung“, beeilt sich
       Dr. Jackson zu erklären. „Vielmehr dokumentiert Officer Freeley hier seinen
       unbeugsamen Willen, gerade den schwächsten Mitgliedern unserer großen
       Nation seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Ich halte ihn deswegen
       für unbedingt diensttauglich.“
       
       Jackson überreicht dem überglücklichen Freeley eine goldene Nadel, dann
       salutieren beide vor der amerikanischen Flagge, auch wenn das Exemplar
       seltsamerweise ausschließlich die südlichen Staaten berücksichtigt.
       
       „Sie sind eine Zierde ihrer Einheit und ein aufrechter Amerikaner, mein
       Sohn“, verabschiedet der Supervisor seinen Schützling. „Und was immer diese
       gottlosen Liberalen von der Ostküste sagen mögen, sie sind kein Rassist.
       Hier ist ihre Urkunde.“
       
       Damit ist die Suspendierung Freeleys aufgehoben, die er sich zugezogen
       hatte, nachdem er schwerbewaffnet die sonntägliche Seniorengruppe einer
       schwarzen Baptistengemeinde gestürmt hatte, weil er „ohnehin in der Gegend“
       gewesen sei und einmal „nach dem Rechten“ habe sehen wollen. Die
       anschließende Verhaftung diverser gehbehinderter alter Damen als
       Drogenbarone bezeichnet Freeley als „kommunikatives Missverständnis“, so
       jedenfalls liest er es von einem Zettel ab, den Jackson ihm schnell
       untergeschoben hat.
       
       Auch den Beamten, der kürzlich im texanischen McKinney die öffentliche
       Ordnung an einem ebenso öffentlichen Pool wiederherstellte, indem er ein
       offensichtlich unbewaffnetes schwarzes Mädchen an den Haaren zu Boden riss,
       während er andere jugendliche Badegäste mit der Waffe bedrohte, hätte Dr.
       Jackson gern im Second Chance Center gesehen. „Leider hat er es vorgezogen,
       den Dienst zu quittieren“, bedauert Jackson und attestiert auch diesem
       Polizisten „einen wachen Beschützerinstinkt“. „Schauen Sie“, ergänzt er und
       weist auf das Einsatzvideo, in dem man den Beamten auf dem wehrlosen
       Teenager knien sieht. „Er schützt sie mit dem eigenen Körper. Würde er das
       tun, wenn er Vorurteile gegenüber Schwarzen hätte?“
       
       Dr. Jackson schaut triumphierend, als ob er gerade den unwiderlegbaren
       Beweis erbracht habe, dass die Erde gar nicht älter als 6.000 Jahre sein
       könne, und genau darauf wird er auch gleich zu sprechen kommen. „Rassismus
       ist letzten Endes auch nur eine Theorie, genau wie die Evolution“, sagt er
       zum Abschied. „Eine Sache also, mit der sich liberale Eierköpfe und
       Europäer herumschlagen können. Wir Amerikaner dagegen sind Pioniere, die
       ihre Angelegenheiten lieber ganz praktisch regeln.“
       
       Und tatsächlich hat sich in McKinney eine Gruppe besorgter weißer Eltern
       zusammengefunden, die verhindern will, dass sich ein solches Ereignis am
       Pool ihrer bewachten Wohnanlage wiederholt. Täglich marschieren die
       Aktivisten der neu gegründeten „Parental Pool Patrol“ (PPP) in ihren weißen
       Bademänteln am Schwimmbecken und halten dort schweigend Wacht über ihre
       badenden Kinder. Gerade in den Abendstunden, wenn der Schein ihrer Fackeln
       die Gesichter unter den Kapuzen kaum beleuchtet, liegt der alte Frieden des
       amerikanischen Südens bleischwer über dem Wasser. Schwarze Teenager, die
       sich hier womöglich widerrechtlich Badefreuden aneignen könnten, wurden
       jedenfalls keine mehr gesichtet.
       
       15 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Bartel
       
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