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       # taz.de -- Raddiebe in Berlin: Schwupps, schon ist es weg!
       
       > Fahrräder sind begehrt – auch bei Dieben. Die Polizei weiß von rund
       > 31.000 gestohlenen Rädern 2014, dem höchsten Wert seit zehn Jahren.
       
   IMG Bild: Fahrräder sind toll - aber das wissen auch die Diebe
       
       Es ist weg. Keine fünf Monate hat die Freude an dem neuen Rad gedauert. Und
       nun ist es fort. Gestohlen am helllichten Tag an einem S-Bahnhof am
       Stadtrand. Der taz-Kollege, dem das gerade passiert ist, ist einer von
       vielen. 500 Euro - futsch. Zugegeben: Der Kollege hat es gewissermaßen
       provoziert. Am Schloss darf man nicht sparen, sagt die Polizei. Aber das
       Wissen um den Fehler macht den Ärger noch größer, wenn man abends mit dem
       Schlüssel in der Hand vor dem leeren Ständer steht und die Frau anrufen
       muss, dass sie einen mit dem Auto abholen kommt. Und was ist morgen und
       übermorgen? Und überhaupt?
       
       Rund 31.000 gestohlene Fahrräder hat die Polizei 2014 in Berlin
       registriert. Das ist der höchste Wert seit zehn Jahren. Seit 2011 steigen
       die Zahlen kontinuierlich an. Folgt man der Polizeistatistik, werden jeden
       Tag 85 Räder geklaut. In Wirklichkeit sind es viel mehr. Denn längst nicht
       jeder Fahrraddiebstahl wird angezeigt. Wie viele Räder wirklich
       verschwinden, ist nicht bekannt. Auch die Polizei schweigt sich über die
       geschätzte Dunkelziffer aus. Fakt ist: Die Ordnungshüter stehen dem
       Fahrraddiebstahl machtlos gegenüber.
       
       Jeder und jede kennt jemanden, dem das Rad gestohlen worden ist. Die
       Wahrscheinlichkeit, es zurückzubekommen ist denkbar gering. Die
       Aufklärungsquote beträgt 4 Prozent. Zum Vergleich: bei Kfz-Diebstahl sind
       es 12 Prozent. Die Aufklärungsquote für Straftaten insgesamt liegt bei 44,9
       Prozent. Dass die Mehrheit der Bestohlenen nicht zur Polizei geht, liegt
       natürlich daran, dass die Ermittlungen in 96 von 100 Fällen im Sande
       verlaufen. Zumeist wird nur dann Anzeige erstattet, wenn das Rad teurer war
       und auch versichert.
       
       Der im Landeskriminalamt für Prävention zuständige Kriminalhauptkommissar
       Oliver von Dobrowolski hält das für einen Fehler. „Jeder Diebstahl,
       unabhängig vom Wert, sollte angezeigt werden“, sagt er. Je mehr
       Erkenntnisse die Polizei habe, wann, wo und wie die Drahtesel wegkommen,
       umso besser könne sie ihre Maßnahmen darauf einstellen.
       
       Auf großen Abstellplätzen vor Bahnhöfen, Schulen und Schwimmbädern mag die
       Diebstahlquote höher sein - geklaut aber wird überall. Das gefährlichste
       Pflaster scheint Mitte zu sein. 4.125 Räder wurden in dem Bezirk 2014 als
       gestohlen gemeldet. Gefolgt von Friedrichshain-Kreuzberg (4.062) und Pankow
       (4.059). Das geht aus der Antwort von Innenstaatssekretär Bernd Krömer
       (CDU) auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Andreas Baum
       (Piratenpartei) hervor.
       
       ## Pirat ruft nach Polizei
       
       Baum ist den letzten zehn Jahren dreimal selbst das Velo geklaut worden.
       „Die Polizei unternimmt nicht genug“, lautet sein Vorwurf. In Städten wie
       Münster, Göttingen oder München sei die Aufklärungsquote deutlich höher,
       sagt Baum. „Warum gibt es in Berlin keine Sonderermittlungsgruppe, die sich
       speziell um Fahrraddiebstahl kümmert?“ Bei Delikten wie bei Graffiti gebe
       es solche „Sokos“ schließlich auch.
       
       Festzuhalten ist: Die Dunkelziffer ist enorm hoch, die Aufklärungsquote
       extrem gering. Welche Schlussfolgerungen die Polizei auf die Täter und
       deren Motive zieht, fasst Kriminalhauptkommissar Oliver von Dobrowolski so
       zusammen: Fahrraddiebstahl in Berlin ist zumeist Klein- und
       Beschaffungskriminalität mit einem hohen Kiezbezug. Menschen, die Geld
       brauchen, vielleicht auch, weil sie eine Sucht befriedigen müssen, legen
       dafür eher keine weiten Wege zurück. Schlecht gesicherte Räder sind
       deutlich gefährdeter, weil die Diebe Stress und Risiko scheuen. „Schloss
       ist nicht gleich Schloss“, sagt Dobrowolski. „Wenn das Rad gut gesichert
       ist, sucht sich der Täter ein leichter zugängliches Objekt.“ Auch mal eben
       schnell beim Bäcker reinflitzen, ohne das Rad fest anzuschließen, zählt der
       Kriminalhauptkommissar zu den No-Gos. „Es gibt Täter, die warten nur
       darauf, dass Leute in Eile sind.“
       
       Und wo landet das Diebesgut? Trödelgeschäfte und Flohmärkte sind beliebte
       Umschlagplätze, sagt Dobrowolski. Auch auf der Straße oder in Kneipen
       werden Räder bisweilen zum Kauf angeboten. Und: „Das Rad wird in nicht
       allzu großer Entfernung vom Tatort umgemünzt.“ Samstag geklaut, Sonntag zum
       Kauf angeboten. Auch einem taz-Mitarbeiter ging das genau so: Auf dem
       Flohmarkt um die Ecke seiner Wohnung entdeckte er das gestohlene Gefährt.
       Wo ihm der Händler die Story auftischte, das Rad am Morgen selbst für 30
       Euro gekauft zu haben.
       
       Am Görlitzer Park und Kottbusser Tor, sagen Beobachter, gebe es junge
       Männer, die für 80 bis 100 Euro Fahrräder anböten. Und zwar mit dem Zusatz:
       „Garantiert in Zehlendorf geklaut.“
       
       In der Presse ist immer wieder zu lesen, Fahrraddiebstahl sei zunehmend
       organisierte Bandenkriminalität. Nach dem Motto: Leute fahren mit einem
       Lastwagen an Abstellplätzen vor, Laderampe auf, reihenweise Räder rein und
       ab mit der Fuhre über die Grenze. „Organisierte Kriminalität gibt es auch“,
       bestätigt Dobrowolski. „Das mit den Lastwagen kommt vor.“ Aber die Regel
       sei das nicht: „Organisierte Kriminalität ist nicht der Mainstream.“
       
       Mainstream beim Fahrraddiebstahl, meint der Kriminalhauptkommissar, sei
       „ein hoher Kiezbezug“. Deshalb gebe es in Berlin beim Landeskriminalamt
       auch keine Sonderkommission. Die Ermittlungen werden in den
       Polizeidirektionen und Abschnittskommissariaten vor Ort geführt. Die Praxis
       ist allerdings so, dass die Polizisten kaum mehr tun, als Strafanzeigen zu
       schreiben. Sofern vorhanden, wird diese mit der Rahmennummer oder Codierung
       des abhanden gekommenen Gefährts versehen und ein Foto beigelegt. Dann wird
       die Akte zugeklappt.
       
       Eine Einzelfahndung nach dem gestohlenen Gefährt sei bei der Masse der
       Diebstähle nicht möglich, sagt Dobrowolski. „Das wäre auch nicht sinnvoll.“
       So bleibt es dem Zufall überlassen, ob das Rad im Rahmen einer
       Verkehrskontrolle oder Einzelüberprüfung gefunden wird. Die geringen
       Erfolgsaussichten seien der Grund, weshalb die Polizei bei der Bekämpfung
       des Fahrraddiebstahls so stark auf Prävention setze, erklärt der Kommissar.
       
       ## Hildegard als Hoffnung
       
       Ein Blick in die Zukunft indes zeigt: Es gibt Hoffnung. Start-ups haben
       Techniken entwickelt, mit denen man sich vielleicht schon bald besser vor
       Fahrraddieben schützen kann. Die Räder werden mit einem GPS-System
       ausgestattet. Am Rahmen befindet sich ein Kasten mit einem Schloss. Nur wer
       die entsprechende App hat, kann das Schloss per Handy öffnen oder
       verriegeln. Das System schlägt auch Alarm, wenn Unbefugte mit Eisspray oder
       Gewalt an dem Rad hantieren. Und: Hat man das Gefährt verliehen oder wurde
       es gar gestohlen, lässt sich dessen Standort mit dem System jederzeit
       nachvollziehen.
       
       Das deutsch-amerikanische Start-up Lock 8 mit Sitz in Berlin und den USA
       hat eine dieser Technologien entwickelt. „Hildegard“ wurde ein früher Lock
       8-Prototyp genannt. Der Zufall - im Grunde genommen war es ein Glücksfall -
       wollte es, dass Hildegard geklaut wurde. Das geschah im Februar 2015. Ein
       Dieb knackte das Schloss und fuhr mit Hildegard davon. Weil Hildegard eben
       ein früher Prototyp war, konnte sie im Unterschied zu den heutigen Modellen
       noch kein Alarmsignal aussenden, als der Riegel gewaltsam geöffnet wurde.
       
       Aber das GPS-System funktionierte. So konnte das Start-up die Fahrt des
       Diebes durch die Stadt mit der entsprechenden Software nachvollziehen. Ein
       Team setzte sich ins Auto und fuhr Hildegard nach. Gleichzeitig wurde die
       Polizei informiert. Auf einem Flohmarkt, den der Dieb mit dem gestohlenen
       Gefährt angesteuert hatte, kam es zur Festnahme.
       
       Eine Hoffnung, die aber auch erst mal bezahlbar werden muss. Eine Technik,
       die teurer ist als das Rad, wird beim Verbraucher im Alltag wohl kaum
       Anklang finden. „Wir beobachten solche Projekte mit großem Interesse“, sagt
       Kriminalhauptkommissar Dobrowolski. Allerdings wolle man erst mal sehen, ob
       sich die Technologie bewähre, bevor man sich dazu öffentlich positioniere.
       Auch die Beurteilung der Stiftung Warentest gelte es abzuwarten.
       
       Fakt aber ist, dass die Fahndung ein Kinderspiel sein könnte, wenn ein
       geklautes Rad ein GPS-System hat. Zumindest die Polizei könnte mit dem
       System arbeiten, findet Pirat Andreas Baum. Was der Senat von sogenannten
       Köderfahrrädern nach dem Vorbild von San Francisco halte, erkundigte er
       sich in seiner parlamentarischen Anfrage. Die „Anti Bike Theft Unit“ des
       San Francisco Police Departments setze im Rahmen ihrer Kampagnen
       schließlich auch mit GPS-Sendern ausgestattete Köderfahrräder ein.
       
       Der Senat stehe innovativen technischen Maßnahmen zur
       Kriminalitätsbekämpfung grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, antwortete
       Innenstaatssekretär Krömer. Bei einer zu treffenden
       „Priorisierungsentscheidung“ müsse der Kosten-Nutzen-Aufwand aber auch in
       Hinblick auf andere Deliktfelder abgewogen werden. Kriminalhauptkommissar
       Dobrowolski drückt sich verständlicher aus: Die Polizei habe, was den
       Einsatz von Lockfahrrädern betreffe, rechtliche Bauchschmerzen. Die Frage
       sei, ob man einen Diebstahl nicht begünstige, wenn die Tatgelegenheit
       bewusst hergestellt werde.
       
       ## Die Mühle im Alltag
       
       Der taz-Kollege schlägt sich seit dem Diebstahl seines Rads mit der Frage
       herum, ob er sich nun ein billiges Rad kaufen soll - nicht so bequem, dafür
       in der Klaustatistik unten rangierend. Oder aber teures Rad, teures Schloss
       und Versicherung - und Ärger und Rennerei programmiert, wenn es geklaut
       wird. Noch hat er sich nicht entschieden. Einstweilen fährt er einfach mit
       einer geborgten Mühle herum.
       
       14 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Plutonia Plarre
       
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