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       # taz.de -- Entspannter schwul-lesbischer Fußball: Ein Ausflug ins Freie
       
       > Turnier zwischen sportlichem Ehrgeiz, Familientreffen und Politik:
       > DieFußball-Europameisterschaft der Schwulen und Lesben.
       
   IMG Bild: Wurden beim Hamburger Turnier nicht gebraucht: Fahnen gegen Homophobie im Fußball
       
       Hamburg taz | Eine Balleroberung am Strafraum, ein paar präzise Pässe nach
       vorn und ein satter Schuss knapp über die Latte. Es wird Fußball gespielt
       an diesem Samstag auf dem Trainingsgelände des Hamburger Sportvereins,
       Fußball, wie man ihn jedes Wochenende auf Amateurplätzen quer durch die
       Republik erleben kann: Ein paar Dutzend Fans am Spielfeldrand, der
       Bierwagen stilsicher platziert. Um ihn herum müde Sportler, die sich mit
       einem kühlen Bier belohnen.
       
       Ein älterer Mann im regenbogenfarbenen Baumwolltrikot, der lautstark die
       „Kickenden Deerns“ anfeuert, lässt erahnen, dass hier doch etwas anders
       ist. Dass sich dieses Turnier doch von der Vielzahl seiner Artgenossen
       unterscheidet: Fast alle SpielerInnen sind homosexuell. Die
       Fußball-Europameisterschaft der Schwulen und Lesben ist an diesem
       Wochenende in Hamburg zu Gast, und jetzt gerade steht das Finale der Frauen
       an.
       
       ## „Der Sport steht im Vordergrund“
       
       30 Teams aus Großbritannien, Frankreich, Tschechien, Russland und
       Deutschland sind bei dem offiziell als „IGLFA European Championships“
       bezeichneten Turnier am Start, das alle zwei Jahre ausgetragen wird.
       Gespielt wird in drei nach Leistung gestuften Männerdivisionen, dazu kommt
       eine für die Frauen. Ein Turnier, irgendwo zwischen sportlichem Ehrgeiz,
       Familientreffen und politischem Statement.
       
       Letzteres findet sich eher leise, taucht nur vereinzelt auf: in
       Gesprächsfetzen oder auf T-Shirts gedruckt. „Das Sportliche steht im
       Vordergrund“, sagt Mira-Kristin Rolke, zweite Vorsitzende des Vereins
       Startschuss. Mit ihren VereinskameradInnen hat sie das Hamburger Turnier
       für den Weltverband auf die Beine gestellt.
       
       Das Finale der Frauen gewinnen die Russinnen, die „Kickenden Deerns“ werden
       Zweite. Wenig später macht Rolke es sich mit der Hamburger Spielerin Anja
       Obersteller in einem der Mannschaftszelte gemütlich. Erst acht Wochen vor
       dem Turnier hatte Rolke damit begonnen, eine Hamburger Frauenmannschaft zu
       mobilisieren. Als Obersteller, die sonst beim lokalen SC Sperber im
       Ligabetrieb spielt, ihren Anruf bekam, war sie sofort begeistert: Die
       Aussicht auf eine lesbische Europameisterschaft ließ ihr Herz noch einmal
       höher schlagen. Sichtlich stolz freut sie sich nun über den zweiten Platz -
       für sie der vorläufige Höhepunkt eines erst wenige Wochen alten
       Fußballmärchens.
       
       Der Weg für die Kickenden Deerns scheint an diesem Tag noch lange nicht zu
       Ende. „Wir haben die Mannschaft nicht nur für dieses Turnier gebildet“,
       sagt Rolke, „jetzt geht es erst richtig los.“ Im Stadtteil Osdorf hat der
       Verein einen Sportplatz zur Verfügung gestellt bekommen. Wird sich eine
       offen lesbische Mannschaft im Ligabetrieb etablieren lassen? „Die Akzeptanz
       ist da. Wir haben es hier nicht mehr nötig, mitten auf dem Rathausplatz zu
       spielen.“ Für Rolke und Obersteller ist es im wahrsten Sinne ein
       Startschuss.
       
       ## Zehn waren geladen, drei konnten kommen
       
       Etwas ganz Neues ist das Turnier auch für Oleg - und von Akzeptanz kann in
       seiner Heimat keine Rede sein: Der schmächtige Student spielt für die
       „Moscow Minders“. Er ist froh, dass sie es überhaupt hierher geschafft
       haben. In Russland gibt es zwar einen Sportverband für Homosexuelle, bisher
       aber ohne ein einziges schwules Fußballteam.
       
       Beim letzten Spiel seiner Jungs steht Oleg am Rand, verletzungsbedingt, und
       beobachtet, wie die „Moscow Minders“ um den dritten Turnierrang kämpfen.
       Was hier so selbstverständlich wirkt, ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit -
       und die Schwierigkeiten sind noch beim Turnier erkennbar: Gerade einmal
       drei Spieler sind aus Russland angereist, die anderen sieben konnten nicht
       mit, werden von Deutschen ersetzt: Einer durfte aufgrund militärischer
       Verpflichtungen nicht ausreisen, ein anderer hatte nicht das Geld - und
       noch ein fürchteten sich schlichtweg davor, ihre Homosexualität nach außen
       zu tragen.
       
       In ihren Heimatteams spielen die Russen ewige Junggesellen. „Aber wenn du
       nach drei Jahren immer noch keine Freundin mitbringst“, sagt Oleg, „dann
       werden die Fragezeichen immer größer.“ Vor vielen Spielen sitzen sie in der
       Kabine und hören ihr Kameraden über „Schwuchteln“ schimpfen, die man gleich
       vernichten werde. Amateurfußball, aggressiv, bis ins Mark in Männlichkeit
       getränkt. So wie der Kampf gegen die homosexuelle Sportbewegung: „Bei einem
       Volleyballspiel flog letztens eine Rauchbombe aufs Feld“, erzählt Oleg.
       „Oft verhindern Bombendrohungen schon im Vorhinhein die Veranstaltungen.“
       Hier, weit weg von Zuhause, fühlt er sich dagegen wohl. „Ich spüre die
       Akzeptanz, bin irgendwie frei.“
       
       Wohin das Organisieren solcher Turniere führen kann, das zeigt an diesem
       Nachmittag die beeindruckende Anzahl britischer Teams: fast die Hälfte der
       teilnehmenden Mannschaften. Großbritannien, das Mutterland des Fußballs,
       ist auch das erste und bisher einzige europäische Land, das eine eigene
       Liga für schwule und lesbische Teams eingeführt hat.
       
       ## „Der Spieltag beginnt schon im Pub“
       
       Terry Connolly war fünf Jahre lang ihr Vorsitzender, jetzt sitzt er etwas
       abseits auf einer Bierbank. Mit seinen „London Titans“ hat er zuvor das
       Finale in der zweiten Division verloren. 1989, erzählt er, habe die
       Bewegung in England Fahrt aufgenommen. Aus einem spontanen Turnier sei über
       die Jahre eine richtige Liga gewachsen, rund zwanzig Teams mittlerweile.
       „Der Spieltag beginnt bei uns aber schon am Freitag Abend in der Bar“,
       ergänzt er.
       
       Die Mannschaften verbindet mehr als nur der sportliche Wettkampf: Gemeinsam
       haben sie sich Aufmerksamkeit erkämpft, um Akzeptanz gerungen - und viel
       erreicht. „Wir setzen uns heute sogar mit großen Vereinen wie Arsenal oder
       ManU an einen Tisch und überlegen, wie die immer noch existierende
       Homophobie aus dem Fußball verschwinden kann.“
       
       Er hat Spaß an Turnieren wie dieser EM. „Es ist super, dass wir diese
       Gemeinschaft hier erleben können“, sagt Terry sichtlich erfreut. „Noch
       besser wäre es nur noch, wenn wir dieses Turnier irgendwann gar nicht mehr
       brauchten.“
       
       15 Jun 2015
       
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