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       # taz.de -- Geleakte NSA-Dokumente: Spionagevorwurf gegen Snowden
       
       > Unter Berufung auf anonyme Quellen behauptet die „Sunday Times“, Snowden
       > habe Russland Daten übergeben. Daran gibt es Zweifel.
       
   IMG Bild: Edward Snowden ist wohl auch für die „Sunday Times“ der Staatsfeind Nummer 1.
       
       Berlin taz | Seit zwei Jahren befindet sich der NSA-Whistleblower Edward
       Snowden auf der Flucht. In dieser Zeit veröffentlichten unter anderem der
       britische Guardian, der Spiegel und The Intercept redaktionell bearbeitete
       Dokumente, die Snowden in Hongkong vor seiner Abreise Richtung Russland
       Journalisten übergeben hatte.
       
       Nach eigener Auskunft hat Edward Snowden seit dieser Übergabe keinen
       Zugriff auf die Dokumente mehr. Zweifel an dieser Version sind von
       verschiedener Seite wiederholt vorgebracht, aber nie belegt worden.
       
       Am vergangenen Sonntag nun wartete die Sunday Times mit einer in diesem
       [1][Kontext sensationellen Enthüllung] auf. Die von Edward Snowden
       kopierten Dokumente seien zumindest in Teilen sowohl dem russischen, als
       auch dem chinesischen Geheimdienst zugänglich gemacht worden.
       
       Das Leck sei so gefährlich für laufende Operationen des britischen
       Auslandsgeheimdienste, dass Agenten von Einsätzen abgezogen werden mussten.
       Als Quelle für diese Behauptung werden anonyme Beamte („senior officials“)
       aus dem Büro des Premierministers, des Home Office und der Geheimdienste
       aufgeführt.
       
       ## Erfundene Reise
       
       Die Plausibilität dieser Behauptung hängt im Wesentlichen mit der Frage
       zusammen, ob Snowden auch nach der Übergabe der Dokumente an Journalisten
       selber noch im Besitz von Kopien derselben war. Als unfreiwilligen
       Kronzeugen dafür führt die Times David Miranda an, den Lebensgefährten
       Glenn Greenwalds, jenes Journalisten also, der die ersten Snowden-Dokumente
       im Guardian der Öffentlichkeit präsentierte.
       
       Miranda sei, so die Times, 2013 in London Heathrow festgesetzt worden, mit
       58.000 als „streng geheim“ eingestuften Dokumenten im Gepäck – nachdem er
       Edward Snowden in Moskau besucht habe.
       
       Das Problem an der Geschichte ist, dass es keine unabhängige Bestätigung
       dafür gibt, dass Miranda tatsächlich die genannten Dokumente mit sich
       führte. Völlig absurd erscheint sie, wenn man sich erinnert, dass David
       Miranda sich nicht auf dem Rückflug von Moskau, sondern von Berlin befand,
       als er in Heathrow festgehalten wurde. Er hatte, nach allem, was bisher
       bekannt ist, Snowden zu diesem Zeitpunkt noch nie getroffen.
       
       ## Fragen an die „Times“
       
       Allein diese Umstände machen es nachvollziehbar, dass Glenn Greenwald das
       Stück aus der Times nicht als Journalismus bezeichnen möchte und
       [2][stattdessen von „Stenografie“ spricht]. Es werde ohne weitere Prüfung
       einfach eine Behauptung aus Regierungskreisen abgedruckt, für die es keine
       Belege, Zeugen oder eben wenigstens namentlich bekannte Quellen gibt.
       
       Auch der Guardian verlangt nach einer Erklärung für das Stück in der Times.
       [3][Mit einigen Fragen richtet man sich an die Kollegen]. So wird zum
       Beispiel gefragt, ob es einen Beleg für die Behauptung gibt, Russland und
       China hätten Zugang zu den Snowden-Dokumenten.
       
       Außerdem wird, neben dem Verweis auf laufende innenpolitische Debatten und
       dem damit zusammenhängenden bequemen Veröffentlichungszeitpunkt in der
       Times, angemerkt, dass ein solcher Umstand sicher nicht nur die britischen
       Dienste interessieren dürfte. Auch in den USA müsste ein solcher
       Spionageskandal für kräftigen Wirbel sorgen. Nur sei von dort, trotz aller
       Versuche von Überwachungsfetischisten, die Glaubwürdigkeit Snowdens zu
       untergraben, keine Bestätigung des Vorganges zu hören.
       
       Solange die Sunday Times auf die entsprechenden Vorwürfe nicht reagiert und
       nicht einmal zu der seltsamen erfundenen Moskau-Reise David Mirandas
       Stellung nimmt, bleiben die Fragen des Guardian und die damit entstandenen
       Zweifel an der journalistischen Qualität des Times-Artikels im Raum stehen.
       Auch der Vorwurf Glenn Greenwalds, dass sich die Zeitung hier zum reinen
       Propagandainstrument hat machen lassen, wird so sicher nicht ausgeräumt.
       
       15 Jun 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://archive.is/BkuMM#selection-855.0-865.204
   DIR [2] https://firstlook.org/theintercept/2015/06/14/sunday-times-report-snowden-files-journalism-worst-also-filled-falsehoods/
   DIR [3] http://www.theguardian.com/us-news/2015/jun/14/snowden-files-read-by-russia-and-china-five-questions-for-uk-government
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniél Kretschmar
       
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