URI: 
       # taz.de -- Antirassismus-Aktivistin in den USA: Die Lüge über die Lüge
       
       > Die weiße Rachel Dolezal gab sich lange als Schwarze aus. Jetzt tritt sie
       > als Chefin einer Ortsgruppe der größten US-Bürgerrechtsorganisation
       > zurück.
       
   IMG Bild: Schwarz? Weiß? Rachel Dolezal
       
       NEW YORK taz | „Ich betrachte mich selbst als black“, hat die
       Bürgerrechtlerin Rachel Dolezal erklärt. Niemand in ihrem Umfeld zweifelte
       das an. Doch seit bekannt ist, dass die junge Frau als Weiße zur Welt
       gekommen ist, herrscht Aufregung in der „post-rassistischen“ Gesellschaft.
       Die Reaktionen auf ihr „Passing“ in umgekehrter Richtung reichen von
       moralischer Entrüstung über „Lüge“ und „Verrat“ und dem Ruf nach der
       Justiz, bis hin zu der Feststellung, diese Frau sei „psychisch gestört“.
       Auch aus dem Inneren der Bürgerrechtsorganisation NAACP, für die Rachel
       Dolezal arbeitet, kommen Aufrufe, sie möge alle Karten auf den Tisch legen.
       
       Am Montag hat die 37-Jährige einen ersten Schritt getan. Auf Facebook
       veröffentlicht sie ihre Rücktrittserklärung als Präsidentin der Ortsgruppe
       der NAACP in Spokane in Washington. „Ich bleibe der Bewegung treu“,
       schreibt sie darin. Und versichert, dass sie sich weiterhin gegen
       Diskriminierungen bei Polizei, Justiz, Arbeit und Bildung einsetzen werde.
       
       Die Erklärung, warum sie sich jahrelang als „black“ ausgegeben hat, bleibt
       sie schuldig. Auch den angesetzten Termin zu einer Aussprache mit der NAACP
       sagt sie ab. Doch noch am selben Abend wird bekannt, dass sie am Dienstag
       Interviews mit mehreren TV-Sendern hat.
       
       Rachel Dolezal hat die „Race-Question“ – die Frage von Rasse – unfreiwillig
       auf die Tagesordnung gebracht. Es ist eines jener Themen, die jeder kennt,
       und über die fast niemand redet. Selbst der erste schwarze Präsident des
       Landes äußert sich nur selten dazu. Seine Berater meinen, dass die
       „Race-Question“ bei der Basis so ankommt, als würde der Präsident
       „Interessenvertretung“ seiner eigenen Minderheit machen.
       
       ## Neue Identität
       
       Die Frau im Zentrum der Aufregung stammt aus einer weißen, konservativen,
       christlichen Missionarsfamilie in Montana. Als sie ein blauäugiger Teenager
       mit glatten blonden Haaren ist, adoptieren die Eltern zusätzlich vier
       schwarze Kinder. Auch beim Studium an der traditionell schwarzen
       Howard-Universität in Washington DC ist Rachel Dolezal noch weiß. Als die
       Universität ihr eine Stelle verwehrt, strengt sie ein Verfahren wegen
       Diskriminierung an. Später geht sie auf Distanz zu ihren Eltern. Bekommt
       ein Kind mit einem schwarzen Mann. Und legt sich – im westlich von Montana
       gelegenen Nachbarbundesstaat Washington – eine neue Identität zu.
       
       Fortan trägt sie ihr Haar dunkel und dicht gelockt. Ein Adoptivbruder, der
       sie besucht, empört sich darüber, dass sie ihre Haut eindunkelt und
       „afroamerikanisch“ redet. Sie macht Karriere. Arbeitet als Dozentin für
       Africana Studies an der örtlichen Universität, Präsidentin der Ortsgruppe
       der „National Association for the Advancement of Colored People“ (NAACP)
       und Ombudsfrau bei der Polizei.
       
       ## „Was gewinnt sie dadurch?“
       
       Die NAACP, die größte Bürgerrechtsorganisation der USA, ist einst –
       zusammen mit weißen – von afroamerikanischen Bürgerrechtlern gegründet
       worden. Bis heute sind längst nicht alle Aktivisten schwarz. Und einige
       Weiße leiten auch Ortsgruppen. Don Harris, weißer Präsident der NAACP in
       Phoenix, fragt: „Was gewinnt sie dadurch, dass sie sagt, sie sei
       Afroamerikanerin?“
       
       Enthüllt wurde die Geschichte von Rachel Dolezal durch ihre Eltern. Die
       beiden geben zur Zeit teilweise mehrmals täglich Fernsehinterviews, in
       denen sie ihre Tochter öffentlich beschuldigen, ihr „Unwahrheit“ vorwerfen,
       ihre Geburtsurkunde veröffentlichen, von „genetischer Identität“ reden,
       Entschuldigungen verlangen und zugleich hoffen, dass die Tochter zu ihnen
       zurück komme.
       
       In der schwarzen Bürgerrechtsbewegung schreibt die Schriftstellerin Yasmin
       Nair über Rachel Dolezar, dass sie „entweder eine Rassistin oder eine
       zutiefst gestörte weiße Frau, die Hilfe braucht“ sei. Aber der
       Africana-Wissenschaftler Jelani Cobb geht anders an das Thema heran.
       „Rasse“, so erklärt er, geht auf eine „originale Lüge“ zurück. Die hatte
       die Funktion, die Ausbeutung durch die Sklaverei zu rechtfertigen. Auch
       nach seiner Interpretation hat Rachel Dolezar gelogen. Aber: „Sie hat über
       etwas gelogen, das auf einer Lüge basiert“.
       
       16 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Rachel Dolezal
   DIR People of Color
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR People of Color
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Unabhängigkeitstag
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Rassistische Werbung von Rewe: Auf Kolumbus‘ Spuren
       
       Die aktuelle Werbung von Rewe für Lebensmittel, die geliefert werden,
       bedient koloniale Klischees. Und ist auch sonst völlig bescheuert.
       
   DIR Debatte Rachel Dolezal: Was? Weiß? Ich?
       
       Der Fall einer weißen Frau, die sich als Schwarze ausgibt, entfacht in den
       USA eine Debatte über Identität. Wer darf eigentlich schwarz sein?
       
   DIR Streit um eine PoC-Aktivistin: Schwarz, weiß oder einfach egal?
       
       Rachel Dolezal bezeichnet sich als afroamerikanisch und vertritt in Spokane
       die schwarze Gemeinde. Dabei sei sie weiß – sagen ihre Eltern in einem
       CNN-Interview.
       
   DIR Sprache und Rassismus: Reden wir endlich über „Räiß“!
       
       Kann man von „Rassenunruhen“ in Ferguson sprechen? Die Ereignisse dort
       haben offengelegt, wie ungehobelt die deutsche Sprache ist.
       
   DIR US-Historiker über den 4. Juli 1776: „Die USA sind ein rassistisches Land“
       
       Die Amerikanische Revolution gilt als Geburtsstunde der Demokratie. Sie war
       aber eine Gegenrevolution und hat die Sklaverei befördert, sagt Gerald
       Horne.