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       # taz.de -- Flüchtlinge in Hoyerswerda: Immer die Chaoten
       
       > Eine Initiative versucht, die Flüchtlinge in Hoyerswerda zu unterstützen.
       > Wären da nicht die Anschläge. Diese Stadt scheint nichts gelernt zu
       > haben.
       
   IMG Bild: „Hoyerwerda vergisst nicht – wir erinnern“: Das Mahnmal soll an die Progrome von 1991 erinnern
       
       Hoyerswerda taz | Eine ehemalige Turnhalle am Rande einer
       Plattenbausiedlung: ein langer Bau mit kleinen Fenstern und braunen Mauern.
       „Kein Bock“, hat jemand daraufgeschrieben, wahrscheinlich schon vor langer
       Zeit. 26 Flüchtlinge wohnen jetzt darin. Es ist eine der zwei neuen
       Flüchtlingsunterkünfte in der Stadt.
       
       Die Sonne prallt auf die Plattenbauten, daneben pritschen Jugendliche ein
       Beachvolleyballturnier aus. Halbstarke hängen mit mächtigen Hunden vor dem
       Lausitz-Center ab. In der Musikschule trompeten sie „Yesterday“ von den
       Beatles.
       
       Ein Montagnachmittag im sächsischen Hoyerswerda. Normales
       Kleinstadtrauschen – und dazwischen die Passanten, die verstörende
       Antworten auf die Frage geben, was sie denn nun halten von den etwa 150
       Flüchtlingen, die seit fast eineinhalb Jahren wieder zum Stadtbild gehören.
       
       „Alle an ’ne Wand stellen“, sagt ein Mann mit breiten Schultern und
       Stoppeln auf dem Kopf, der im Lausitz-Center einkauft. „Ich kauf die
       Patronen.“ Frau und Kind stehen hinter ihm.
       
       „Ich hab nichts gegen die Familien, aber die Männer kommen doch bloß, um
       sich gesundzustoßen“, sagt eine Frau. Silvia, sagt sie, ohne Nachnamen, sie
       ist 46 Jahre alt, trägt eine weiße Hose und blondierte, kurze Haare.
       
       Seit 1991 ein Mob aus Nazis und frustrierten Bürgern Flüchtlinge und
       Gastarbeiter aus der Stadt gejagt hat, hat Hoyerswerda diesen Klang. Nennt
       man den Namen der Stadt, denkt man an Fremdenhass. Und auch wenn viele
       Bürger dagegen kämpfen, sie werden den Klang nicht los.
       
       Anfang 2014 wurden nach über 20 Jahren wieder Flüchtlinge in Hoyerswerda
       untergebracht. Es ist ein Experiment für die Stadt, und es scheint nicht
       besonders gut zu laufen bisher.
       
       Erst wurden Flüchtlinge auf offener Straße geschlagen, dann droschen
       Vermummte mit einem Hammer auf die Sicherheitsscheiben im Asylbewerberheim
       ein. Und jetzt, Anfang Juni, gab es wieder einen Brandanschlag.
       
       Der Molotow-Cocktail sollte die Turnhalle treffen, die neben der ehemaligen
       Förderschule seit ein paar Monaten als Flüchtlingsunterkunft dient. Nur
       durch Zufall wurde niemand verletzt. Solche Sachen passieren gerade in ganz
       Deutschland, seit den Pegida-Demonstrationen häufen sich die Vorfälle. Im
       sächsischen Freital demonstrierten diese Woche jeden Abend die Gegner eines
       Flüchtlingsheims. Hoyerswerda liegt 80 Kilometer nordöstlich.
       
       ## „Everybody smiles in the same language“
       
       Nicht weit vom Lausitz-Center entfernt raucht Grit Maroske die letzten Züge
       ihrer Zigarette, dann bittet sie ins Büro. Maroske, 46, hat weiche
       Gesichtszüge und trägt eine Sonnenbrille für Radfahrer. Auf ihrer Bluse
       steht: „Everybody smiles in the same language“. Sie hat das Bürgerbündnis
       „Hoyerswerda hilft mit Herz“ gegründet. Seitdem ist sie für die Flüchtlinge
       Pressesprecherin, Lobbyistin und Organisatorin.
       
       Wie steht es um Ihre Stadt, Frau Maroske?
       
       Sie überlegt nicht lange. „Die Leute haben sich an die Asylbewerber
       gewöhnt, sie glotzen nicht mehr, sondern grüßen auch mal freundlich, die
       Neugierde ist groß, es gibt viele Spenden und Hilfsangebote“, sagt sie.
       Pegida und Hoygida, so heißt der Ableger hier, hätten alte Vorurteile
       wieder aufgewärmt. Die meisten Leute in Hoyerswerda haben allerdings andere
       Probleme, als sich mit Flüchtlingen zu beschäftigen. „Aber alles in allem
       läuft es gut.“
       
       Aber warum kommt es dann immer wieder zu Anschlägen?
       
       Bei einigen in Hoyerswerda ist die Bereitschaft zur Veränderung schon
       aufgebraucht, erzählt sie. Wende, Marktwirtschaft, Niedergang der Stadt –
       alles nicht einfach. „Wenn es dann einen Sündenbock gibt, geht es
       einfacher.“ Und natürlich werde ein Zwischenfall in Hoyerswerda ganz anders
       wahrgenommen als in anderen Städten.
       
       Maroske schätzt, dass je ein Drittel der Bürger positiv, negativ oder
       neutral gegenüber den Flüchtlingen eingestellt sei. „Einige engagieren
       sich, andere machen an denen ihre Ängste fest“, sagt sie. „Insofern ist es
       eigentlich überall wie in Hoyerswerda.“
       
       ## Die grölenden Deutschen
       
       Maroske hat schon 1991 in Hoyerswerda gelebt, als der Mob durch die Straßen
       tobte. „Ich habe damals verstanden wie Faschismus funktioniert“, sagt sie.
       Auch ihr damaliger Mann war auf der Straße, unter den grölenden Deutschen.
       
       War das Ihre Motivation?
       
       „Das ist privat“, sagt sie.
       
       Aber was treibt Sie an?
       
       Sie zuckt ein wenig mit den Schultern.
       
       „Ich will nicht, dass sich die Geschichte wiederholt. Und irgendjemand muss
       es ja machen.“
       
       Maroske ließ sich scheiden. Heute ist sie wieder verheiratet und hat fünf
       Kinder. Für die Flüchtlinge arbeitet sie ehrenamtlich. Wenn nachts jemand
       abgeschoben werden soll, springt sie aus dem Bett und eilt zum Heim. Wenn
       auf der Facebook-Seite des Bündnisses eine Diskussion ausbricht – Maroske
       antwortet geduldig auf jeden noch so absurden Post.
       
       „Mein Mann verdient das Geld und ich rette die Welt“, sagt sie, aber
       spurlos geht die Arbeit trotzdem nicht an ihr vorbei. Sie bekommt
       regelmäßig Drohungen, freundet sich an mit Flüchtlingen, die dann
       abgeschoben werden. Neulich lag sie vier Wochen flach, ausgebrannt, weil
       alles schiefging auf der Arbeit. „Gesund ist das nicht für die Seele“, sagt
       sie. Irgendwann stand sie wieder auf und machte weiter.
       
       Heute will sie mit Dora und Wolfram Gebauer die Wohnungseinrichtung für
       einen Flüchtling organisieren. Die Gebauers, ein pensioniertes
       Lehrerehepaar, schon über achtzig, gehören zu den etwa 120 Mitstreitern im
       Bündnis. Sie vermitteln die Flüchtlinge an Sportvereine, helfen bei
       Behördengängen und unterrichten Deutsch.
       
       ## Betten in den ehemaligen Klassenräumen
       
       Nachdem die Gebauers mit Grit Maroske die Liste mit den benötigten Sachen
       durchgegangen sind, machen sie sich auf den Weg zum Asylbewerberheim. Es
       liegt nicht weit von Maroskes Büro entfernt, ein Zaun trennt die ehemalige
       Förderschule von der Hauptstraße. Drinnen führen weite Gänge durch das
       Gebäude, die Klassenräume haben sie zu Mehrbettzimmern umgebaut.
       
       Im Keller bewahrt das Bündnis die Spenden der Hoyerswerdaer Bürger auf. Auf
       dem Linoleumboden reihen sich Kleiderstangen und Kisten aneinander. Es
       sieht aus wie in einem alten, noch nicht vorsortierten Second-Hand-Laden.
       Herrenjacketts hängen neben Strampelanzügen für Kleinkinder und Blusen mit
       Blumenmustern.
       
       Die Chaoten schafften es immer in die Schlagzeilen, sagt Maroske, die
       helfenden Bürger nie. Dora Gebauer greift aus einem Karton Bettdecken,
       Kopfkissen und Bettbezüge heraus, nimmt sich einen Stofftiger für die
       Kinder und stopft alles in zwei blaue Säcke hinein.
       
       Als die Gebauers die Säcke über den Hof zu ihrem Auto tragen, grüßen sie
       viele der Flüchtlinge wie alte Bekannte.
       
       Aghil Noyuozi ist einer von Gebauers Schülern. Der 33-jährige Christ ist
       aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet und war einer der ersten Bewohner
       im Heim. Er ist ein schmaler Mann, mit einer langen Narbe am Unterarm, er
       hat zu Tee und Schokolade in sein Zimmer geladen.
       
       ## Am Anfang war es unruhig
       
       Mit fünf anderen Männern wohnt er hier. Sechs Betten, Kühlschränke,
       Kleiderschränke – viel mehr steht nicht im Raum. Am Anfang sei es schwierig
       gewesen, sagt Noyuozi, ja, da habe es Unruhe im Heim gegeben und am
       Lausitz-Center haben ihn ein paar Betrunkene angegriffen. Auch die
       Hammer-Attacke aufs Heim hat er miterlebt. „Bumm, bumm, bumm“, sagt
       Noyuozi, er schlief damals im Nachbarzimmer. „Es ist alles besser
       geworden“, sagt er. Nur arbeiten würde er gerne. „Fünfzehn Monate nur
       schlafen und rumhängen ist nicht gut.“
       
       Die Notunterkunft, auf die der jüngste Anschlag verübt worden ist, ist von
       einem Zaun umgeben. Journalisten dürfen nicht auf das Gelände. Aber
       irgendwann kommen ein paar junge Männer aus der Stadt zurück. Deutsch
       spricht keiner von ihnen, nur etwas Englisch.
       
       „We are afraid sleeping here“, sagt er. Ein anderer wiederholt immer
       wieder: „Catastrophe.“ Dann holen sie einen 37-jährigen Kosovaren aus der
       Halle, der Deutsch spricht und auf seinem Handy Fotos aus dem Inneren der
       Halle hat. Mit dünnen Platten haben sie wie in Großraumbüros Zimmer in die
       Halle gebaut, es sieht eng aus und stickig.
       
       ## Jeder muss eine Chance bekommen
       
       In der Nachbarschaft scheint die Notunterkunft die meisten nicht zu
       interessieren. „Nee, Probleme gab es da noch nie“, sagt eine Frau, die
       gerade von der Arbeit kommt und schnell in ihrem Haus verschwindet. Ein
       paar Ecken weiter stehen fünf Teilzeittrinker vor dem „Getränke Markt
       Hoyerswerda“. Also noch einmal die Frage: Was halten Sie von den
       Asylbewerbern hier?
       
       „Alle raus“, ruft eine Frau mit Latzhose. Sie scheint die Älteste zu sein.
       Einem jungen Mann in der Gruppe passt das nicht: „Du kannst nicht alle über
       einen Kamm scheren.“ Ein Mann mit schwarzem Unterhemd und Schnauzer, er ist
       Zeitungsausträger, mischt sich ein: „Die kriegen doch genau das, was wir
       uns nicht leisten können.“
       
       Der junge Mann: „Aber jeder von denen muss trotzdem eine Chance bekommen.“
       
       Der Zeitungsausträger: „Ich find’s in Ordnung, wenn die richtigen Leute
       kommen.“
       
       Die Latzhosenträgerin: „Die sollen sich an unsere Regeln halten.“
       
       Eine Weile geht das so, dann steckt der junge Mann seine leere Pfandflasche
       in den Rucksack und sagt: „Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß.“ Darauf
       können sich alle einigen. Für heute.
       
       26 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Schmelzer
       
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