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       # taz.de -- SPD für Vorratsdatenspeicherung: Rebellion à la SPD
       
       > Sigmar Gabriels Kalkül geht auf: Die Sozialdemokraten folgen ihrer
       > Parteiführung brav in die Vorratsdatenspeicherung.
       
   IMG Bild: Justizminister und Vizekanzler präsentieren am Samstag in Berlin sozialdemokratische Politik.
       
       Berlin taz | Irgendwie sind sie jetzt beide Sieger, jedenfalls soll das so
       aussehen. Deshalb steht neben Sigmar Gabriel im Willy-Brandt-Haus vor der
       roten Medienwand der Mann, der ihm den Weg zum Triumph geebnet hat: Heiko
       Maas, Justizminister, und bis vor einigen Monaten erklärter Gegner der
       Vorratsdatenspeicherung. Schmal sieht Maas neben Gabriel aus, und nicht
       recht glücklich.
       
       Aber erst mal spricht der SPD-Vorsitzende. „Wir dürfen nicht zulassen, dass
       Freiheit und Sicherheit als Gegensätze beschrieben werden“, sagt Gabriel.
       Das Recht auf körperliche Unversehrtheit stehe im Grundgesetz. „Es gibt
       keine Freiheit ohne Sicherheit.“ Grundgesetz, körperliche Unversehrtheit,
       Freiheit, Sicherheit: mehr Bedeutung geht nicht. Die SPD habe mit
       deutlicher Mehrheit für den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung
       gestimmt, sagt Gabriel.
       
       Vorher dankt er Maas noch ausdrücklich für sein Engagement. Gabriel weiß,
       dass Maas jetzt wirklich etwas gut hat bei ihm. Ohne das Werben des
       eigentlich skeptischen Justizministers wäre es vielleicht nichts geworden
       mit dem Ja der SPD zur Vorratsdatenspeicherung. 124 der Delegierten
       stimmten für das Gesetz, 88 dagegen, 7 haben sich enthalten. Für Gabriel
       ist das ein klares Ergebnis, klarer jedenfalls als beim Parteitag 2011, der
       Grenzlinien für eine Speicherung zog.
       
       Doch sind knapp 57 Prozent wirklich die „deutliche Mehrheit“, die der
       SPD-Chef erkennen will? Eher nicht. Das sehen auch andere in der SPD so,
       zum Beispiel Juso-Chefin Johanna Uekermann, die kurz nach Gabriels
       Pressekonferenz sagen wird: „Das war sauknapp.“ So gesehen ist Gabriel kein
       strahlender Sieger, sondern einer, der es so gerade eben geschafft hat.
       
       ## Schmeicheln und Drohen
       
       Die SPD folgt ihm widerwillig. Der längst ausverhandelte Kompromiss mit der
       Union bleibt. In Zukunft werden deutsche Ermittler Telefon- und
       E-Mail-Daten abrufen können, wenn sie eine schwere Straftat vermuten.
       
       Um zu ermessen, wie knapp es war, muss man sich die vergangenen Tage und
       Wochen vor Augen führen. Die SPD-Spitze bot alles auf, um die Basisrevolte
       tot zu treten, die sich in über 100 Änderungsanträgen kritischer
       Bezirksverbände ankündigte. Die Spitzengenossen argumentierten,
       schmeichelten und drohten.
       
       Das Präsidium ergänzte den Initiativantrag zur Vorratsdatenspeicherung mit
       dem Wunsch nach einer strengen Kontrolle von Unternehmen auf EU-Ebene. Eine
       Beruhigungspille, mehr nicht, schließlich wird ein Stück Papier aus dem
       SPD-Vorstand internationale Konzerne wie Facebook nicht wirklich
       beeindrucken. Auch intern wurde Druck gemacht. Prominente SPDler nordeten
       Kritiker in Einzelgesprächen ein. Chefs von Landesverbänden, die als
       unsicher galten, wurden in internen Runden nach dem Stimmverhalten gefragt:
       „Kannst du für deine Delegierten garantieren?“
       
       ## Benchmark für Europa
       
       Und dann wäre da ja noch Heiko Maas, die tragische Figur im SPD-Drama um
       die Vorratsdatenspeicherung. Er war der Wegbereiter für den Sieg Gabriels.
       Vor wenigen Monaten noch zog er als erklärter Gegner des Projekts durch die
       Lande, bis ihn sein Parteichef öffentlich zurechtwies und damit düpierte.
       Maas handelte einen Kompromiss mit der Union aus. Von der Demütigung und
       den inneren Zweifeln lässt er sich nichts anmerken, als er ans Mikrophon
       tritt.
       
       Deutschland sei das einzige Land in Europa, das nach dem Urteil des
       Europäischen Gerichtshofes ein Gesetz formuliert habe, sagt Maas. Jener
       hatte 2014 eine EU-Richtlinie für nichtig erklärt, als in vielen EU-Staaten
       bereits Gesetze existierten. Kein anderer Entwurf sei so nah dran an der
       aktuellen Rechtsprechung, argumentiert Maas: „Eine Benchmark für anderen
       Staaten in Europa“, sei sein Gesetz. Ein Maßstab, wie dieses Urteil
       ausgelegt werden könne.
       
       Das ist nicht ganz falsch, Maas handelte mit der sicherheitsverliebten
       Union tatsächlich sehr kurze Speicherfristen und einen auch sonst eher
       strengen Rahmen aus. Aber Maas Selbstlob ist eben auch eine Umdeutung. Maas
       will sich nicht als Gedemütigter sehen, er will auch gewonnen haben,
       zumindest ein bisschen.
       
       ## Überprüfung in zwei Jahren
       
       Die SPD nahm sich Zeit für diese Entscheidung. Über 40 Redemeldungen, eine
       zweieinhalbstündigen Debatte, ruhiger, unaufgeregter Ton. Die Jusos
       argumentierten dagegen, die Netzpolitiker auch. Fraktionschef Thomas
       Oppermann und mehrere Vorstandsmitglieder warben dafür. Selbst der
       SPD-Linke und Bundesvize Ralf Stegner sagte laut Teilnehmern, man könne
       Heiko Maas nicht hängen lassen. Er brachte den Antrag ein, das Gesetz nach
       zwei Jahren statistisch zu evaluieren. Diesem Wunsch schloss sich der
       Vorstand an, wenigstens ein einziger Punkt, indem er auf die Kritiker
       zugeht.
       
       Jetzt soll sich der Bundestag also 2018 erneut mit der Speicherung befassen
       und auswerten, wie oft die Daten von der Polizei genutzt werden. Gabriel
       sagt später vor den Journalisten, er habe diese Möglichkeit mit
       Innenminister Thomas de Maizière bereits besprochen.
       
       Und Gabriel selbst? Hielt sich während des Konvents zurück. Nur einmal soll
       er sich eingeschaltet haben, mit einer kurzen Wortmeldung. In seiner
       Auftaktrede erwähnt er die Vorratsdatenspeicherung mit keinem Wort. Er
       weiß, andere SPD-Prominente werden seine Argumente sowieso vortragen, und
       das Wichtigste wurde im Vorfeld geklärt. Bloß nicht emotionalisieren.
       Gabriel und die SPD-Spitze wollten unbedingt vermeiden, dass der Streit zu
       einer Entscheidung über das Wohl und Wehe des Vorsitzenden wird. Eine Causa
       Gabriel. Die Strategie ist aufgegangen.
       
       ## Sachlich, ruhig, ergebnislos
       
       Selbst Kritiker, die fleißig mobilisiert hatten, sind nach dem Konvent
       glücklich mit ihrer Partei. Matthias Miersch, designierter Sprecher der
       Parlamentarischen Linken, lobt die „faire und verantwortungsvolle Debatte.“
       Ähnlich äußert sich Jan Stöß, der Berliner Landeschef. Beide sprachen sich
       im Vorstand gegen das Gesetz aus, als einzige.
       
       Eine sachliche, ruhige und auf Argumente bedachte Diskussion, dieses Fazit
       hört man immer wieder von Delegierten. So ist das, wenn SPD-Rebbelliönchen
       scheitern. Es ist gut, wenigstens mal geredet zu haben.
       
       20 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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