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       # taz.de -- Grundversorgung in den USA: Eine Stadt ohne Wasser
       
       > Detroit erholt sich langsam vom Bankrott. Den Armen allerdings drehen die
       > Wasserwerke die Leitungen ab. Jeder achte Bewohner ist betroffen.
       
   IMG Bild: Eine Stadt am Wasser: Der Detroit River und die Großen Seen machen Detroit zu einer der wasserreichsten Städte des Landes
       
       Detroit taz | Seit Tagen stapelt sich das Geschirr im Spülbecken. Aus dem
       Bad weht säuerlicher Geruch in den Flur. Und im Vorgarten hat jemand einen
       Farbklecks in Neonblau auf das Wasserrohr gesprüht. Jeder, der am Haus
       vorbeiläuft, kann ihn sehen. In Detroit bedeutet dieses Neonblau: Hier
       wohnen Menschen, die ihr Wasser nicht bezahlt haben.
       
       Es ist Oktober 2014. Nicole Hill, 44 Jahre, setzt sich alle paar Tage ins
       Auto. Sie fährt die eineinhalb Meilen bis zum nächsten Supermarkt und
       belädt einen Einkaufswagen mit Plastikflaschen und Plastikkanistern. Von
       einem Angestellten lässt sie sich helfen, alles in den Kofferraum des
       Wagens zu wuchten. Zu Hause schleppt sie das Wasser mit ihren Kindern in
       die Küche.
       
       Die Beschaffung ist so mühsam und teuer, dass Hill jedes Mal nachdenkt,
       bevor sie das Wasser benutzt. Wenn sie kocht, behält sie den Rest zum
       Geschirrspülen. Wenn sie und ihre Kinder sich im Stehen vor einem Eimer
       waschen, fängt sie das Wasser auf, um damit die Toilette zu spülen. Den
       grün-gelben Linoleumfußboden hat sie lange nicht mehr feucht gewischt.
       
       Nicole Hill lebt in einer der 50 größten Städte der USA, nicht weit von
       ihrem Bungalow ging das erste Fließband der Welt in Betrieb, wurden
       Millionen Autos hergestellt. Im Schatten der Autowerke von Ford, GM oder
       Chrysler wuchs die amerikanische Middle Class heran. Detroit war ein Symbol
       für die Erfolgsgeschichte des ganzen Landes.
       
       Doch wenn Hill in ihrem Bungalow an der Burgess Street den Wasserhahn
       aufdreht, kommt kein einziger Tropfen. Zum zweiten Mal in einem Jahr ist
       ihr das Leitungswasser abgestellt worden. Weil sie ihre Rechnung nicht
       zahlen konnte. Wie ihr geht es Tausenden in der Stadt.
       
       ## „Ich fühle mich wie ein Tier“
       
       Ihre Tochter ist 14 und lädt seit Monaten keine Freundinnen mehr nach Hause
       ein. „Ich fühle mich wie ein Tier“, hat sie zur Mutter gesagt. Ihr Sohn ist
       13 und hat es mit Witzeln versucht: „Vielleicht können wir bald Schnee
       auftauen. Dann brauchen wir gar kein Leitungswasser mehr.“
       
       „Es ist hart für uns alle“, sagt Nicole Hill. Sie trägt eine Trainingshose,
       ein Batikshirt und sitzt auf dem Sofa in ihrem fast leeren Wohnzimmer. Sie
       bekommt nur schwer Luft. Beim Reden legt sie ein kleines Lächeln auf ihr
       Gesicht. Als könne das ihr Elend ein wenig kaschieren.
       
       Das Leben von Nicole Hill wäre schon ohne die Sache mit dem Wasser
       kompliziert genug. Von ihren sieben Kindern leben die drei jüngsten bei
       ihr. Sie sind 8, 13 und 14. Hill erzieht sie allein. Sie leidet an einer
       chronischen Schmerzkrankheit. An manchen Tagen schafft sie es kaum vom Bett
       in die Küche. Sie versucht, eine Ausbildung zur Katastrophenhelferin
       abzuschließen. Und sie muss mit einer Behindertenrente von 1.200 Dollar im
       Monat haushalten. Nach den Statistiken der Regierung in Washington aber
       braucht ein vierköpfiger Haushalt ein Mindesteinkommen von 24.250 Dollar
       pro Jahr. Wer weniger hat, gilt als arm. In Detroit leben 40 Prozent der
       Einwohner unterhalb der Armutsgrenze.
       
       Das Auto hat ihr ältester Sohn ihr überlassen, als er zurück zur Army ging,
       weil er keine andere Arbeit fand. Sie bezahlt das, worauf sie nicht
       verzichten können. 300 Dollar Miete. Heizung. Essen. Das Allernötigste für
       die Kinder. Für Leitungswasser reicht es meist nicht.
       
       Als sie vor fünf Jahren in den Bungalow an der Burgess Street zieht, kommen
       ihr die Wasserrechnungen sofort viel zu hoch vor. Sie soll jeden Monat mehr
       als 100, oft mehr als 200 Dollar zahlen. Dabei sind nach den Daten der
       Gruppe Food & Water Watch für vergleichbare Häuser und Familien in Detroit
       Wasserkosten von 71 Dollar die Regel.
       
       ## Die Wasserwerke reagieren nicht auf Nachfragen
       
       „Die Rechnungen können nicht stimmen“, glaubt Nicole Hill. „Wir haben doch
       keinen Swimmingpool.“ Sie fragt bei den Wasserwerken nach. Vermutet Fehler
       in der Buchführung, oder Lecks in den Rohren. Die Wasserwerke tun lange gar
       nichts. Als sie endlich reagieren, finden sie nichts. Bei Nicole Hill
       stapeln sich die Rechnungen.
       
       Detroit ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Die potenziellen
       Steuerzahler sind gegangen: die weiße Mittelschicht, die Autoindustrie und
       zuletzt auch die schwarze Mittelschicht. Von 1,8 Millionen schrumpfte die
       Einwohnerzahl auf 700.000. Zehntausende Häuser stehen leer. Die Stadt der
       Middle Class ist zum Armenhaus geworden.
       
       Als die Schulden die 18-Milliarden-Dollar-Marke überschreiten, meldet
       Detroit [1][im Juli 2013 Insolvenz an] – als größte Gemeinde der USA, die
       diesen Schritt tut. Der Gouverneur von Michigan, ein Republikaner vom
       rechten Rand der Partei, beruft einen Notfallmanager. Der soll den Haushalt
       des traditionell demokratischen Detroit sanieren und mit Gläubigern über
       Schuldensenkungen verhandeln.
       
       Der Manager schließt Schulen, Schwimmbäder und Parks. Er kürzt Renten und
       die Zuschüsse zur Krankenversicherung. Er privatisiert die Müllabfuhr und
       das Elektrizitätsnetz. Aber er schafft es nicht, die Forderungen der Banken
       und Versicherungen zu senken. Stattdessen überlässt er ihnen die besten
       Immobilien der Innenstadt. Und er verleast die Insel Belle Isle, die im 19.
       Jahrhundert von demselben Gartenarchitekten gestaltet wurde wie der Central
       Park in New York.
       
       ## Demonstranten wettern gegen „Notfalldiktator“
       
       Für die Ärmsten ist 2014 das härteste Jahr. Vor den Suppenküchen bilden
       sich lange Schlangen. Im Großraum Detroit, wo früher die Arbeiter aus den
       Autofabriken in Einfamilienhäusern mit Gärten lebten, waren 2013 laut der
       [2][Campaign to End Homelessness] mehr als 26.000 Menschen wohnungslos.
       Rentner, deren Jahreseinkommen auf weniger als 19.000 Dollar schrumpft,
       müssen entscheiden, ob sie Medizin oder Heizkosten zahlen. Bei Protesten
       wettern Männer und Frauen mit weißen Haaren gegen den „Notfalldiktator“.
       
       Die Wasserwerke greifen hart durch: Wer zwei Rechnungen und mehr als 150
       Dollar im Rückstand ist, bekommt kein Wasser mehr. An durchschnittlichen
       Sommertagen drehen sie 360 Haushalten das Wasser ab. Bis Mitte November
       sprüht das private Subunternehmen Homrich, das einen Zweijahresvertrag für
       diese Aktionen hat, 31.075 Farbkleckse auf Wasserrohre. Damit sitzt jeder
       achte Bewohner der Stadt auf dem Trockenen.
       
       Die meisten Betroffenen kratzen alles zusammen, was sie haben, machen eine
       Anzahlung und bekommen wieder Wasser. Die Wasserwerke werten das als
       Bestätigung, dass ihre Strategie funktioniert.
       
       Seit Anfang 2015 gehören die Wasserwerke von Detroit nicht mehr der
       Kommune. Der Notfallmanager hat sie an eine neue regionale Struktur
       ausgelagert: die Great Lakes Water Authority. Sie lässt sich von dem
       französischen Konzern Veolia beraten, der weltweit auf die Privatisierung
       von Wasserwerken spezialisiert ist. Detroits gewählte Politiker haben kein
       Mitspracherecht mehr. Stattdessen kassiert die Stadt nun 50 Millionen
       Dollar im Jahr für ihr Wasser.
       
       Mehr als 13.000 Haushalte in Detroit bleiben ohne Wasser. 35.000 Menschen,
       die Mehrzahl Frauen mit Kindern.
       
       Nicole Hill will gerade kochen, als sie im Mai bemerkt, dass ihr Wasser
       nicht mehr läuft. Sie weiß sofort, dass das nur ein Teil ihres Problems
       ist. Wenn ihre Kinder jetzt bei ihr bleiben, riskiert sie als Nächstes, das
       Sorgerecht für sie zu verlieren. Denn ein Haus ohne Wasser gilt als
       Gesundheitsrisiko. Noch einen Schritt weiter droht ihr die Zwangsräumung.
       Sie quartiert die drei Kinder bei einer Tante am anderen Ende der Stadt
       ein. In der Nacht schleicht sich dort ihre jüngste Tochter aus dem Haus.
       Sie hat Heimweh. Polizisten finden das Kind und bringen es zur Mutter.
       
       ## Ein Drittel des Monatseinkommens für Wasser
       
       Hill ist einsam, sie bekommt Depressionen. Erst im Hochsommer hat sie genug
       Geld, um 10 Prozent ihrer Schulden zu zahlen. Das Wasser läuft wieder. Die
       Kinder kommen zurück. Aber sie muss jetzt ein Drittel ihres
       Monatseinkommens für Wasser und ihre Schulden bei den Wasserwerken
       ausgeben. Im Oktober wird ihr das Wasser zum zweiten Mal abgeklemmt.
       
       Detroit ist umgeben von großen Seen. Es hat so viel Trinkwasser wie keine
       andere Großstadt der USA. Weil die Seen die größten Wasserreserven
       Nordamerikas und 20 Prozent der weltweit vorhandenen Wasserreserven
       enthalten, interessieren sich auch Investoren dafür. Aber für die
       Verbraucher sind die Wasserpreise in den letzten 10 Jahren um 119 Prozent
       gestiegen. Im Hochsommer 2014 erhöht der Gemeinderat die Preise noch einmal
       um 8,7 Prozent. Nur private Wasserversorger sind noch teurer. Viele
       Detroiter befürchten, dass die komplette Wasserprivatisierung kommt.
       
       Wenn alle Wasserlosen auf die Straße gingen, würde die Innenstadt vor
       Menschen nur so wimmeln. Doch sie tun es nicht. In der Stadt, wo früher
       starke Gewerkschaften über die Löhne für die Middle Class und über die
       Karrieren von Politikern entschieden, schlagen sich heute die meisten
       allein durch. Sie haben die Hoffnung verloren, dass Demonstrationen und
       Petitionen etwas ändern.
       
       „Sagt mir nicht, dass ihr zu Hause kein Wasser habt“, rät eine Lehrerin
       ihren Schülern. Ihre Schule öffnet morgens um 5 Uhr, damit Kinder sich
       duschen und ihre Kleider waschen können. Aber wenn die Lehrer erfahren,
       dass die Gesundheit der Schüler zu Hause gefährdet ist, müssen sie das
       ihrer Aufsichtsbehörde melden.
       
       ## Farbkleckse wie Schandmale
       
       Direkt gegenüber von Nicole Hills Haus prangen neonblaue Farbkleckse in
       zwei weiteren Vorgärten. Eine Nachbarin von der anderen Straßenseite trägt
       nach Einbruch der Dunkelheit Plastikflaschen mit Wasser in ihr Haus. Als
       Nicole Hill sie darauf anspricht, entgegnet sie ausweichend: „Wir haben
       kein Wasserproblem.“ Die meisten schweigen lieber.
       
       Die andere Familie verschwindet, nachdem der Farbklecks in ihrem Vorgarten
       aufgetaucht ist.
       
       In ihren düstersten Momenten schießt Hill der Gedanke durch den Kopf, ihre
       Kinder wegzugeben: „Weil ich ihnen keine Sicherheit bieten kann.“ Aber sie
       ist keine, die aufgibt. „Ich stehe mit dem Rücken zur Wand“, sagt sie, „ich
       habe gar keine andere Option, als zu kämpfen.“
       
       Nur ein paar Autominuten von der Burgess Street entfernt herrscht
       Aufbruchstimmung. In den Hochhäusern brennt wieder Licht auf allen Etagen,
       die Preise für Immobilien steigen. Start-ups und größere Unternehmen lassen
       sich nieder. Nächstes Jahr soll eine Straßenbahn in Betrieb gehen, die
       zwischen den Unternehmen in Mid- und Downtown pendelt.
       
       In den Krisenjahren haben sich zwei Milliardäre die Innenstadt von Detroit
       aufgeteilt. Einer hat 60 Gebäude in Downtown gekauft. Ein anderer hat mit
       den Bauarbeiten für ein neues Hockeystadion und einen kompletten neuen
       Stadtteil mit Einkaufszentrum und 50 Wohnblocks begonnen. Auf den Straßen
       sind Brunnen und Sitzbänke im „mediterranem Stil“ geplant. Die öffentliche
       Hand übernimmt 60 Prozent der 450 Millionen Dollar Baukosten für sein
       Stadion. Die dritte Arena in der höchstverschuldeten Stadt der USA gilt als
       gut für die wirtschaftliche Entwicklung.
       
       ## Es geht ein wenig aufwärts mit Detroit
       
       Auch in den Stadtteilen der Middle Class tut sich etwas. Der Doktorand Jay
       Meeks hat im Sommer für 8.000 Dollar ein Haus ersteigert. Ein Elektriker,
       der mit einer geladenen 9-Millimeter-Pistole am Gürtel zur Arbeit kommt,
       hat es renoviert. Und Jay Meeks verbringt gerade seinen ersten Winter
       darin. Meeks ist 29, er ist in der Stadt aufgewachsen. Hat anderswo
       studiert. Und ist zurückgekommen, weil er glaubt, dass es aufwärts geht mit
       seiner Stadt. „Detroit hat mir viel gegeben“, sagt er. Jetzt will er
       zurückgeben.
       
       Ein Ausbau der Straßenbahn bis in die Stadtteile der Middle Class ist nicht
       geplant. Die Giebel, Erker und Fachwerkimitate an vielen Einfamilienhäusern
       erzählen von der guten alten Zeit. Aber ihr Marktwert ist binnen wenigen
       Jahren drastisch geschrumpft. Oft auf nur noch ein Zehntel ihres Werts von
       vor der Rezession. Ihre ursprünglichen Bewohner wurden in den vergangenen
       Jahren zu Zigtausenden auf die Straße gesetzt. Tausenden steht die
       Zwangsräumung noch bevor. Der Grund sind immer Zahlungsschwierigkeiten: bei
       den Ratenzahlungen an die Bank, bei den Grundsteuern, bei den Wasserkosten.
       Sobald ein Haus leer steht, kommen die Schrottsammler und rupfen
       Heizkessel, Rohre und Elektrokabel heraus. Dann laufen Keller mit Wasser
       aus zerstörten Rohren voll und gehen Dachgeschosse bei Kurzschlüssen in
       Flammen auf.
       
       Spottbillige verlassene Häuser gibt es viele in Detroit. Manche sind schon
       für 500 Dollar zu haben. Andere werden gebündelt und gehen an Investoren –
       Hunderte Häuser auf einmal. Bei 40.000 verlassenen Häusern, für die niemand
       mehr Wasser oder Steuern zahlt, greift die Stadt Detroit ein. Während der
       Notfallmanager die Finanzen von Detroit durchforstet, beginnt die
       stadteigene „Landbank“ ein Abrissprogramm. Gegenwärtig zerstört sie
       mindestens 200 Häuser pro Woche. „Indem wir Schrotthäuser abreißen, retten
       wir Stadtteile“, erklärt Craig Fahle, Sprecher der Landbank. Nach dem
       Abriss können Nachbarn die Grundstücke für 100 Dollar als Gärten kaufen.
       
       Im Sommer, als kanadische Aktivisten von der anderen Seite des Flusses
       durch Detroit fahren, um Wasser zu verteilen, steht Nicole Hill breitbeinig
       vor ihrem Bungalow, nimmt vor Kameras Wasser entgegen und erklärt in
       Interviews, dass es ein Menschenrecht auf Wasser gibt. Ein paar Monate
       später empfängt sie im Oktober eine Delegation der Vereinten Nationen, die
       nach Detroit gekommen ist, um sich dort über die Wasserversorgung zu
       informieren.
       
       ## Die Stadt verklagt
       
       Mit neun anderen Wasserlosen und mehreren Menschenrechtsgruppen verklagt
       Hill die Stadt. Sie verlangen den sofortigen Stopp der Strafmaßnahmen.
       Leitungswasser darf nicht mehr als 5 Prozent des Einkommens kosten,
       argumentieren sie. Die Preise müssen sich am Einkommen der Verbraucher
       orientieren. Noch vor wenigen Jahren meinten das auch die meisten Stadträte
       von Detroit. Heute klingt so etwas aufrührerisch. Ein Richter lehnt die
       Klage ab. Die Kläger gehen in die nächste Instanz.
       
       „Wir waren schockiert vom Ausmaß der Maßnahmen und davon, wie sie die
       Schwächsten, die Ärmsten und die Verletzlichsten treffen“, sagt eine
       UN-Berichterstatterin nach zwei Tagen Aufenthalt in Detroit. Sie hat für
       die Vereinten Nationen Länder besucht, in denen die Hälfte der Bevölkerung
       ohne Zugang zu Wasser lebt. Aber nie hat sie „einen vergleichbar massiven
       Rückschritt“ gesehen wie in Detroit.
       
       Im Spätherbst wird Nicole Hill schwer krank. Ein Virus. Sie muss ins
       Krankenhaus. Ihre drei jüngsten Kinder sind wieder bei Verwandten. Ihre
       Anwältin Alice Jennings organisiert eine Spendensammlung. Als Hill
       zurückkommt, fließt das Wasser wieder. 77 Tage war sie 2014 ohne Wasser.
       
       Wieder zahlt sie jetzt mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Wasser und
       Wasserschulden. Die Stadt hilft ihr nicht. Nach den Protesten hat sie zwar
       einen Fonds für sozial Schwache mit dem Geld privater Sponsoren
       eingerichtet, aber der ist schon nach wenigen Tagen leer. Nicole Hill hätte
       ohnehin keinen Anspruch auf Hilfe aus dem Fonds. Ihre Wasserschulden
       erfüllen die Kriterien nicht: sie sind zu hoch.
       
       Seit dem 10. Dezember 2014 ist das Konkursverfahren abgeschlossen. Der
       Bürgermeister darf die Stadt wieder regieren. Erst einmal muss er die
       Buchhalter des Konkursteams bezahlen: mit 170 Millionen Dollar.
       
       ## Nicole Hill träumt davon, zu gehen
       
       Im Rathaus spricht man von einem „frischen Start“. Aktivisten in Detroit
       sehen das anders. Ihre Vorschläge zur Sanierung der Stadtfinanzen wurden
       abgelehnt. „Der Notfallmanager hatte die Aufgabe, zu privatisieren“, ist
       die Schulrätin Elena Herrada überzeugt. Ihr Gremium hatte vergeblich für
       den Erhalt von frisch renovierten Schulen gekämpft. Der HipHop-Künstler und
       Ökoaktivist William Copeland von der Gruppe Emeac glaubt, dass das
       Notfallmanagement dazu diente, „das System demokratischer Kontrolle zu
       umgehen“. Und Monica Lewis Patrick von den [3][People of Detroit] spricht
       von einem „Wasserkrieg, der sich gegen die arme und schwarze Bevölkerung
       richtet“.
       
       Nicole Hill träumt davon, zu gehen. Wie die meisten afroamerikanischen
       Familien in Detroit stammt auch ihre ursprünglich aus dem Süden. Die Arbeit
       in der boomenden Autoindustrie war eine Verbesserung nach Generationen in
       den Baumwollfeldern. Heute glaubt Hill, dass Detroit nur noch
       „einflussreiche Leute“ haben will. „Ich kann dieses ganze Gerede von der
       größten Nation der Welt und von den unbegrenzten Möglichkeiten nicht mehr
       hören“, sagt sie, „reine Heuchelei. Diese Stadt will Arme wie mich
       loswerden.“
       
       Sie steht in ihrem Vorgarten. Noch hat sie ein Dach über dem Kopf, aber die
       Obdachlosigkeit lauert. Auf derselben Straßenseite, nicht einmal zehn Meter
       von ihrem Vorgarten entfernt, klafft eine Hausruine. Die Innereien sind
       herausgerissen. Sobald sie rausfliegt, fürchtet Nicole Hill, wird mit ihrem
       Bungalow dasselbe passieren.
       
       25 Jun 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Detroit-ist-offiziell-pleite/!5053498
   DIR [2] http://thecampaigntoendhomelessness.org/
   DIR [3] http://www.thepeopleofdetroit.com/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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