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       # taz.de -- Abgeordnete auf Exkursion: Lehren aus der Lausitz
       
       > Die Lausitzer Braunkohle sorgt für Zwietracht. Berliner Abgeordnete
       > konnten nun im Tagebaugebiet ihre eigenen Schlüsse ziehen.
       
   IMG Bild: Streit um die Kohle: Greenpeace und manche Anwohner haben gegensätzliche Interessen.
       
       Am Petershainer Fließ kommt es zum Scharmützel zwischen Umwelt und Kohle.
       „Sie leiten hier Wasser mit hohen Konzentrationen an Eisenhydroxid in
       Oberflächengewässer“, klagt der Vertreter des Berliner BUND, „in manchen
       Abschnitten von Bächen ist die Schicht 30 Zentimeter dick. Da findet kein
       Leben mehr statt!“ „Falsch“, sagt der Vattenfall-Sprecher, und der
       Vertreter der Bergbau-Verwaltungsgesellschaft LMBV sekundiert: „Was hier
       ausgeleitet wird, ist aufbereitetes Kippenwasser, da liegt der Eisengehalt
       im unsichtbaren Bereich. Alles dokumentiert!“
       
       Überzeugungen prallen aufeinander am Rande der Landstraße, wo der Reisebus
       einen Stopp eingelegt hat. Eine Gruppe von Berliner und Brandenburger
       Abgeordneten, Staatssekretären und Ministern, Verbandsvertretern und
       Journalisten beäugt kritisch die Einleitstelle von Grubenwasser: Irgendwo
       unter Schotter und grünem Schilf plätschert Wasser hervor. Im Hintergrund,
       unsichtbar hinter Bäumen, klafft das riesige Loch des Tagebaus Welzow-Süd.
       Die Parlamentarier machen an diesem Mittwoch eine Exkursion in die Lausitz.
       An der Grenze zu Sachsen besichtigen sie die Auswirkungen der
       Braunkohleabbaus durch Vattenfall, später wollen sie in einer gemeinsamen
       Ausschusssitzung darüber diskutieren.
       
       ## Graben spaltet Länder
       
       Das Thema Braunkohle spaltet seit vielen Jahren nicht nur Naturfreunde und
       Strombosse, der Graben verläuft auch zwischen den Parteien sowie – quasi
       als tektonische Verwerfung – zwischen den Bundesländern. Besonders SPD und
       Linke, die in Brandenburg gemeinsam regieren, stehen im Flächenland zu der
       schmutzigen Energie, während die Genossen in der Hauptstadt vor dem
       Klimakiller warnen. Ähnlich sieht es bei der CDU aus. Die Grünen sind die
       einzige Partei, die in beiden Parlamenten vertreten ist und hier wie dort
       ein rasches Ende der Kohlebergbaus fordern.
       
       Auf eine Initiative der Grünen hin hatte das Abgeordnetenhaus im Januar in
       seltener Geschlossenheit den Senat aufgefordert, sich im Rahmen der
       gemeinsamen Landesplanung gegen die geplante Erweiterung des Tagebaugebiets
       Welzow-Süd einzusetzen. Den Brandenburgern schmeckte das wenig, aber in
       einem Versuch, die Wogen zu glätten, luden die Potsdamer Ausschüsse für
       Wirtschaft und Energie sowie Infrastruktur und Landesplanung die Berliner
       Ausschüsse für Wirtschaft und Stadtentwicklung zur gemeinsamen
       Vor-Ort-Sitzung ein. Am Ende stießen neben Regierungsvertretern auch die
       Mitglieder der Enquete-Kommission „Neue Energie für Berlin“ zur Gruppe.
       
       Auf der Fahrt rund um den Tagebau lernen die Abgeordneten, von denen
       etliche noch nie in der Lausitz waren, so einiges. Etwa, dass so ein
       Tagebau ganz schön groß ist, wenn er sich vor einem auftut. Oder dass
       Vattenfall und LMBV bereits einiges auf die Beine gestellt haben, um das
       Problem der „Verockerung“ in den Griff zu bekommen.
       
       Das rostfarbene Eisenhydroxid entsteht beim Abbaggern der oberen
       Bodenschichten und gelangt beim Abpumpen der Grube in Bäche und Flüsse. Der
       Oberlauf der Spree leuchtet seit Jahren an vielen Stellen rostrot, in
       Berlin sah man bereits sorgenvoll der ekligen Welle entgegen.
       
       Das wird wohl nicht passieren – weil die Eisenverbindungen zu schwer für
       die Reise sind, wie LMBV-Geschäftsführer Klaus Zschiedrich betont, aber
       auch, weil „Grubenwasser-Behandlungsanlagen“ den Stoff herausholen. Angetan
       wirken die Besucher, als sie durch eine nagelneue Anlage geführt werden, wo
       die schimmernde Brühe in Becken verwirbelt und mit Flockungsmitteln
       versetzt wird, bis das Eisenhydroxid als Schlamm von riesigen Rechen
       herausgekratzt wird. Aus Silos wird noch eine Prise Rüdersdorfer Kalk
       zugegeben: Er erhöht den pH-Wert des sauren Grubenwassers.
       
       Was die Anlage nicht leistet: Sie belässt die Schwefelsalze im Wasser, die
       über kurz oder lang den Weg in die Spree finden. Diese Sulfate sind nicht
       giftig, aber ab einem gewissen Grad problematisch. Der mit Vattenfall
       vereinbarte Zielwert für die Berliner Spree von 220 mg/l wurde 2014 an
       einer Messstelle mit 280 mg/l klar überschritten. Für den SPDler Daniel
       Buchholz, der seine Fraktion im Umweltausschuss vertritt, stellt sich die
       Frage, ob Grenzwerte angebracht seien, deren Überschreitung Sanktionen nach
       sich zieht.
       
       ## Vergleiche mit China
       
       Auf der Sitzung der Ausschüsse im Seehotel Großräschen wird dann deutlich,
       dass die Berliner Umweltbedenken in Brandenburg eher am Rande
       interessieren. Hier geht es um Infrastruktur und um Jobs. Die schlechte
       Klimabilanz der Kohle? Da verweist Brandenburgs Wirtschafts- und
       Energieminister Albrecht Gerber (SPD) mal eben auf den bombastischen
       CO2-Ausstoß Chinas.
       
       Aus eigener Anschauung lernen die Berliner Abgeordneten an diesem Tag auch,
       dass die Bevölkerung am Rande der Tagebaue geteilter Meinung ist. Am
       „Welzower Fenster“, einem Aussichtspunkt auf den Tagebau, warten mehrere
       Gruppen auf die Besucher: neben einer Greenpeace-Brigade und Anwohnern, die
       sich für Welzow-Süd II nicht umsiedeln lassen wollen, auch aufgebrachte
       Menschen, die von der Braunkohle leben. „Sind Sie überhaupt von hier?“,
       schreit einer von ihnen die Gruppe der Gegner an. Und: „Haben sie schon mal
       ohne Strom gelebt?“
       
       Die Sitzung in Großräschen verläuft bemerkenswert harmonisch. Man will
       weder schlechter Gast noch Gastgeber sein. Vielleicht geht es beim nächsten
       Treffen mehr zur Sache, das gleich mehrere vorschlagen. Die
       Grünen-Abgeordnete Silke Gebel weiß sogar schon, wo das stattfinden könnte:
       im Berliner Wasserwerk Friedrichshagen.
       
       25 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claudius Prößer
       
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