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       # taz.de -- Problematischer Patron: Bekommt Lübeck eine Mann-Uni?
       
       > Der Rektor der Uni Lübeck will die Life-Science-Hochschule nach Thomas
       > Mann benennen. Daran gibt es Kritik – zu Recht.
       
   IMG Bild: Kritischer Blick: War Thomas Mann Pädophiler und Antisemit?
       
       Bremen taz | Naiv ist der mildeste Ausdruck, der auf den Lübecker
       Uni-Präsidenten Hendrik Lehnert passt. Lehnert, Internist, hat für seine
       Uni einen genialen, aber in dieser Genialität eben auch ambivalenten
       Literaten zum Namenspatron der Medizin- und Lifescience-Uni ausgesucht:
       Thomas Mann. Als des Lesens kundigere KollegInnen intervenierten, war er
       ganz verblüfft. Nun wird am 8. Juli sein Vorschlag im Akademischen Senat
       diskutiert, aber wohl nicht entschieden.
       
       Kinderärzte der Uni hatten an Manns euphorisches Verhältnis zur Knabenliebe
       und seinen nie ganz geheilten Judenhass erinnert. Was den völlig
       ahnungslosen Lehnert empörte: Den Ortsheiligen „in die Nähe des
       pathologischen Begriffes der ,Pädophilie‘ und des Antisemitismus zu rücken,
       erschüttert mich“, hatte er den Lübecker Nachrichten gestanden. Ach, die
       Erschütterung wäre kleiner ausgefallen, hätte der gute Onkel Doktor nicht
       bloß Heinrich Breloers Buddenbrooks-Film rezipiert.
       
       Klar, der war FSK 6. Da war nix anzüglich. Und ein Arzt muss über Thomas
       Mann sonst nichts wissen. Wer nach einem Literaten so etwas wie eine Uni
       benennen will, sollte sich allerdings schon vorab mal erkundigen. Denn
       Manns radikalste und stark autobiografische Erzählung, „Der Tod in
       Venedig“, ein Meisterwerk, kreist um die erotische Beziehung des
       50-jährigen Erfolgsschriftstellers Gustav von Aschenbach zum knospenden
       elfjährigen Tadzio. Sie wurde stets auch – und philologisch zu Recht – als
       Hohes Lied der Pädophilie gelesen: Schockierende Klitterei wäre, Mann von
       dieser wegzurücken.
       
       Genauso muss die Nähe zum Antisemitismus beim Verfasser des Aufsatzes „Die
       Lösung der Judenfrage“ (1911) nicht mühsam hergestellt werden, auch wenn
       der darin die Hoffnung äußert, der „entarteten und im Ghetto verelendetsten
       Rasse“ ihre „krummen Beine und roten mauschelnden Hände“ durch Zuchtwahl
       abzugewöhnen. Was milde ist, verglichen mit Bruder Heinrich, der 1895 noch
       plant, „sie auszurotten oder in Käfige zu sperren“. Beider Manns
       Antisemtismus ist biografischem Wandel unterworfen, er hat Schattierungen,
       und ist zeitbedingt. Aber: Er ist ein Fakt, und dass es bedeutsam fürs
       Verständnis der Werke ist, darüber herrscht Einigkeit in der
       ernstzunehmenden Literaturwissenschaft. Die aber gibt‘s an Lübecks Uni
       nicht.
       
       3 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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