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       # taz.de -- Sex im Swingerclub: In Sodom gilt die Verkehrsordnung
       
       > Mara und Johann verbringen ihre Wochenenden am liebsten in einem
       > Swingerclub. Gemeinsam leben sie eine Freiheit, die auch Grenzen kennt.
       
   IMG Bild: Alles sauber und aufgeräumt in „Sodom und Gomorrha“: Swingerclub in Mecklenburg-Vorpommern.
       
       „Und dann vögelt meine Frau nen anderen Mann, ich lieg auf ner anderen
       Frau, und währenddessen sehen wir uns an und sagen: Ich liebe dich.“ Schon
       seit einigen Jahren haben Mara und Johann nicht nur Sex miteinander,
       sondern auch mit anderen. Meistens sind das andere Paare, oft Dreier mit
       einer weiteren Frau, selten mit einem weiteren Mann. Sie sind Swinger.
       
       Heute Abend gehen sie, wie an vielen Wochenenden, in einen ihrer
       Lieblingsswingerclubs, am Rande eines Dorfes im Südwesten Deutschlands. Am
       Eingang werden sie herzlich begrüßt. Die Umkleiden erinnern an ein
       Schwimmbad. Es ist früh, die ersten Paare trudeln ein und packen ihre
       Kleidung für den Abend aus Turnbeuteln und Sporttaschen.
       
       Sie plaudern fröhlich, während sie in Dessous und durchsichtige Kleider
       schlüpfen. Umgezogen und an der Bar angekommen, stoßen Mara und Johann mit
       Freunden an, unterhalten sich darüber, wer seine Kinder an diesem Abend wo
       untergebracht hat. Sie sind in ihrer Stammkneipe.
       
       Auch der Polizeioberkommissar des Dorfes ist heute da. Nur mit einer engen
       Unterhose bekleidet, tanzt er mit der Ehefrau einer seiner Freunde, ihre
       Körper reiben aneinander. Seine Frau müsste auch irgendwo sein – wo und mit
       wem, weiß keiner so recht. Ähnliche Szenen spielen sich im gesamten Club
       ab; neben und während lockeren Gesprächen wird in Hintern gekniffen und in
       Schritte gefasst.
       
       ## Sie sind Partner
       
       Mara und Johann haben gerne Sex mit anderen, aber nur, wenn sie dabei
       einander zusehen können - oder mitmachen. Sie machen alles zusammen. Warum
       das so sei? Maria blickt verständnislos: „Wir machen das ja füreinander.
       Für unsere Beziehung. Warum also allein? Und natürlich mache ich nichts,
       worauf Johannes nicht auch Lust hat.“ Sie sind Partner. Für sie ist das
       einfach, selbstverständlich. Beim Erzählen beenden sie die Sätze des
       jeweils anderen, korrigieren einander. Sie sind um die fünfzig, in zweiter
       Ehe miteinander verheiratet.
       
       Beide wurden zuvor betrogen, beide kennen Eifersucht, Drama und Trennung
       nur zu gut. Als sie zusammenkamen, haben sie einander versprochen, wenn sie
       einmal Lust auf andere bekommen sollten, würden sie darüber sprechen und
       gemeinsam nach einer Lösung suchen. Dass sie nur für gemeinsame Aktivitäten
       offen sind, wussten sie schon damals.
       
       Ihre Geschichte mit den Swingerclubs hat fast märchenhaft angefangen: Nach
       vier Jahren Beziehung und zwei Jahren Ehe ist Johann beruflich in Abu
       Dhabi, als er von seiner Frau angerufen wird. Sie war gerade mit dem
       Motorrad unterwegs, als es zu hageln begann – so stark, dass sie nicht
       weiterfahren konnte und sich irgendwo unterstellen musste. „Irgendwo“ war
       ein Swingerclub. Zufällig. Maria betrachtete die Infokästen an der Tür –
       und rief sofort in Abu Dhabi an, um daraus vorzulesen. Im gleichen Jahr
       gingen sie das erste Mal in einen Club. Das ist nun drei Jahre her.
       
       Heute ist der Swingerclub selbstverständlicher Teil ihres Lebens. „Wir
       kommen hier auch oft einfach her, um einen gemütlichen Abend zu haben. Das
       ist eine richtige Clique. Und wo sonst lernt man auf dem Dorf einfach mal
       nette Paare kennen?“, erzählen Mara und Johann beim Essen. Es gibt hier ein
       ausgiebiges Buffet. Halbnackte Menschen in einem Raum, der mit seinen
       langen Tischen dem Essensraum in einer Jugendherberge ähnelt. Im Radio
       laufen Nachrichten.
       
       ## Die Gäste können Signale deuten
       
       Die Gäste sind zwischen zwanzig und siebzig und ähnlich wie ihr Alter
       variieren ihre Konfektionsgrößen. Viele Körper sind weit entfernt von der
       Porno-Norm. Akzeptanz wird hier vorausgesetzt. Konsens auch. Die Gäste
       fühlen sich wohler als in Discos, berichten sie. Der Swingerclub ist eine
       angstfreie Zone. Die offen sexualisierte Atmosphäre macht den Club zu einem
       geschützten Raum – „nein“ heißt hier tatsächlich „nein“. Meist reicht es
       sogar, Blicken auszuweichen, um nicht angesprochen zu werden. Die Gäste
       können Signale deuten. Fast so, wie es einer feministischen Forderung
       entspricht.
       
       Mara und Johann sind progressiv und konservativ zugleich. Progressiv in
       ihrem außergewöhnlichen Lebensstil, konservativ, was die Details angeht.
       Anal finden sie eklig, BDSM komisch, Schambehaarung „geht gar nicht“,
       Körper jenseits der Norm auch nicht. Wenn sie Sex mit anderen haben,
       vergnügt sich Mara gerne mal mit einer Frau, sie schätzt die Zärtlichkeit,
       die Frauen einander besser geben könnten. Johann kann sich das mit einem
       Mann nicht vorstellen.
       
       Auch in Sodom und Gomorrha gilt die Verkehrsordnung. In diesem Club gibt es
       an jeder Ecke Handtücher – wer nur leicht bekleidet ist, legt sich beim
       Setzen auf Barhocker oder die Couches penibel eines unter den Po. Hygiene
       muss sein. Verhütung auch – in den dem Sex gewidmeten Räumen gibt es in
       jeder Ecke prall gefüllte Kondombehälter.
       
       Das Paar erzählt eine Geschichte, in der Johann, zumindest emotional, auch
       die Grenze seiner oft beteuerten Heterosexualität verwischt hat. Er hatte
       sich verliebt. Sie auch. In ein anderes Paar – jeder war in jeden verliebt.
       Kennengelernt hatten sich die Paare hier, im Club. Intensive Treffen
       beieinander zuhause folgten - „Das war das erste Paar, bei dem wir uns mehr
       vorstellen konnten. Es passte zwischen uns allen vieren.“ Alle fanden
       einander attraktiv, alle verknallten sich sofort. Es war wie ein Traum, der
       Beginn einer Liebesbeziehung. Zu viert. Bis das andere Paar sich trennte.
       Es stellte sich heraus, dass es in deren Beziehung mehr Probleme gab, als
       sie preisgegeben hatten – damit löste sich auch die Viererbeziehung auf.
       
       ## „Ich hatte Angst“
       
       Johann und Mara kategorisieren die Paare, die in Swingerclubs gehen. Die
       wenigsten kommen dabei gut weg, und glaubt man den beiden, dann gibt es
       richtiges und falsches Swingen. „Viele Paare wollen einfach nur ihre
       Beziehung retten. Entweder weil der Sex nicht mehr gut ist oder weil sie
       sich nichts mehr zu sagen haben.“ Andere hätten sich schon längst damit
       abgefunden, dass die Luft raus ist und blieben nur wegen äußerer Umstände
       zusammen – weil sie Kinder hätten oder das Leben alleine fürchteten. Also
       gingen sie gemeinsam in den Swingerclub und haben mit anderen Menschen Sex.
       Oft ihre letzte Gemeinsamkeit.
       
       Beim Thema Eifersucht sind sie sich nicht ganz einig. Mara unterstellt
       Johann: „Das eine Mal, bei Tom, da warst du doch schon eifersüchtig. Weil
       Tom und ich uns extrem ähnlich sind.“ Johann unterbricht sie: „Das war
       keine Eifersucht! Ich hatte Angst.“ Mara lächelt ihn warm an. Dieser
       Lebensstil birgt auch Herausforderungen: Was, wenn sich einer der beiden
       verliebt? Was, wenn sie zu einem dieser Paare werden, die sie bisher
       belächeln? Wenn Wünsche auftauchen, die das gemeinsame Regelwerk sprengen?
       
       Nach etwa zwei Stunden im Club verschwinden die beiden kurz – sie können
       die Hände nicht mehr voneinander lassen. Währenddessen hat ein Pärchen auf
       der Couch Sex. An der Bar bläst eine Frau einem Mann einen, während er im
       Gespräch mit anderen ist. Nach einer halben Stunde kommen Mara und Johann
       frisch geduscht zurück, ihre Gesichter glühen. Sie sehen noch verliebter
       aus als zuvor.
       
       5 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sarah Emminghaus
       
       ## TAGS
       
   DIR Porno
   DIR Dildo
       
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