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       # taz.de -- Gentrifizierung im Meer: Ostfriesische Luxusinseln
       
       > Die Reichen und Schönen haben Wohnungen auf Borkum, Baltrum & Co als
       > Kapitalanlage entdeckt. Einheimische müssen aufs Festland ziehen.
       
   IMG Bild: Zum Glück unverkäuflich: Rettungsschwimmerhäuschen auf Borkum.
       
       Hannover taz | Auf Niedersachsens Ostfriesischen Inseln geht ein Gespenst
       um – das Gespenst der „Syltifizierung“. Denn auf Deutschlands beliebtester
       Insel im hohen Norden an der Grenze zu Dänemark steigen die
       Immobilienpreise seit Jahren. Wohnraum ist dort so teuer, dass sich immer
       mehr Einheimische ihre Heimat nicht mehr leisten können und auf‘s weit
       billigere Festland ziehen müssen (siehe Seite 44). Sylt werde zu einer
       „Insel ohne Insulaner“, warnte der Spiegel schon vor fünf Jahren.
       
       Doch als Folge der Finanzkrise, wegen kaum noch vorhandener Zinsen hat der
       Run der Reichen und Schönen jetzt auch Borkum, Norderney, Baltrum & Co.
       erreicht – auch hier wird das Wohnen zunehmend unbezahlbar. „Beim Hauskauf
       klettern die Preise auf bis zu 11.000 Euro pro Quadratmeter“, warnt Borkums
       Bürgermeister Georg Lübben.
       
       Auf den Ostfriesischen Inseln kostet ein bescheidenes Einfamilienhaus damit
       oft mehr als eine Million Euro. Für eine Eigentumswohnung mit 100
       Quadratmetern würden bis zu 750.000 Euro verlangt, sagt der parteilose
       Verwaltungschef. Auch Mietwohnungen gelten als unerschwinglich:
       Quadratmeterpreise von 15 Euro kalt werden normal, in Extremfällen sind bis
       zu 30 Euro fällig.
       
       Dabei hat die Preisexplosion verheerende Folgen für die Sozialstruktur der
       Inseln: Immer mehr Bürgermeister klagen über „tote Zonen“ – über
       Straßenzüge, in denen die Rollläden der Fenster oft über Monate unten
       bleiben, in denen die einzigen Lichter, die man nachts sieht, von
       Bewegungsmeldern ausgelöste Eingangsbeleuchtungen sind.
       
       Denn überhitzt wird der Immobilienmarkt nicht von Neubürgern, die dauerhaft
       auf den Inseln leben wollen: Gekauft werden Zweitwohnungen, die von ihren
       Besitzern als Kapitalanlage betrachtet und oft nur wenige Wochen im Jahr
       bewohnt werden. „Immer mehr Häuser von Insulanern werden abgerissen, statt
       dessen stehen dort dann Ferienblocks“, klagte Bürgermeister Lübben schon
       bei der 1. Inselkonferenz im Februar 2014. „Auf Borkum wird hemmungslos
       aufgekauft, zu Preisen, die sich kein Insulaner leisten kann.“
       
       Das führt dazu, dass Fachkräfte immer rarer werden: Kita-MitarbeiterInnen
       können es sich kaum noch leisten, auf Wangerooge oder Juist zu leben.
       Selbst für LehrerInnen, die ihre Familien vom Festland nachholen wollen,
       wird es finanziell eng.
       
       „Das ist ein riesiges Problem“, sagt der Initiator der Inselkonferenz, der
       SPD-Landtagsabgeordnete Holger Heymann, zu dessen Wahlkreis Wittmund auch
       die Inseln Langeoog und Spiekeroog gehören. „Es gibt immer mehr
       Pendlerfamilien“, klagt der Sozialdemokrat. Eine „Zumutung“ sei das: Fünf
       von sieben Inseln sind tideabhängig, können von Schiffen also nur bei
       günstigem Wasserstand angelaufen werden. „Dadurch entstehen unmögliche
       Fährzeiten“, sagt Heymann.
       
       Schwierigkeiten mache nicht die klassische, zur Vermietung an immer neue
       Gäste vorgesehene Ferienwohnung, betont auch der Unternehmensberater
       Burkhard Jasper, der im Landtag in Hannover für die CDU im Unterausschuss
       für Häfen und Schiffe sitzt – schließlich lebten die Inseln vom Tourismus.
       
       Problematisch seien dagegen genau die Häuser und Wohnungen, deren Besitzer
       sich kaum blicken ließen, an einer Vermietung aber trotzdem nicht
       interessiert seien – also die Immobilien, die fast das ganze Jahr leer
       stünden. „Das hat auch Folgen für Gastronomie und Tourismus“, warnt Jasper:
       Selbst Saisonkräfte unterzubringen, werde immer schwieriger, und die
       „Versiegelung“ der Inseln durch kaum genutzte Bauten sei nicht nur
       ökologisch unsinnig, sondern mache die Ferienziele auch nicht gerade
       attraktiver.
       
       Zwar versuchen die Inselverwaltungen schon seit Langem, zumindest die
       Schaffung von Zweitwohnungen per Gemeindesatzung zu verbieten. Doch bisher
       unterliefen Investoren diese Regeln oft mit einem Trick: Wurde etwa ein
       Wohnhaus in vier Eigentumgswohnungen aufgeteilt, wurden alle vier als
       „Bruchteilseigentum“ deklariert. Dabei gehört offiziell jedem Käufer ein
       Teil jeder Wohnung; faktisch wurde aber eine als Zweitwohnsitz in Beschlag
       genommen. Der Vorteil: Nötig waren nicht vier nicht zu bekommende
       Grundbucheinträge, sondern nur einer – der alte.
       
       Auf Drängen der Inselkonferenz geht Niedersachsens auch für das Bauen
       zuständige Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) massiv gegen diese
       Zweckentfremdung des „Bruchteilseigentums“ vor. Am 12. Juni hatte eine
       Bundesratsinitiative aus Hannover Erfolg, mit der Rundts Parteifreundin,
       Bundesbauministerin Barbara Hendricks, aufgefordert wird, die Gesetzeslücke
       zu schließen.
       
       Eine entsprechende Novelle des Städtebaurechts könnte noch in diesem Jahr
       in den Bundestag eingebracht werden, ist aus dem Berliner Ministerium zu
       hören. Über den schnellen Erfolg ist auch Inselkonferenz-Initiator Heymann
       selbst überrascht: „Ehrlich gesagt hatte ich gar nicht damit gerechnet,
       dass die Bundesratsinitiative angenommen wird“, sagte er der taz. „Aber es
       gab Unterstützung aus den Großstädten. Auch Hamburg, Berlin und Köln haben
       einen überhitzten Immobilienmarkt – auch durch Zweitwohnungen.“
       
       Den kompletten Schwerpunkt zur Aufwertung der Inseln finden Sie in der
       taz.am Wochenende am Kiosk oder [1][hier].
       
       26 Jun 2015
       
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