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       # taz.de -- Nach dem Anschlag in Tunesien: Im Fadenkreuz des IS
       
       > Tausende Urlauber wurden nach dem Anschlag aus Tunesien ausgeflogen.
       > Präsident Essebsi reagiert mit einem Notfallplan auf den IS-Terror.
       
   IMG Bild: Vor dem Hotel Imperial Marhaba in Sousse. Hier fand am Freitag der Anschlag statt
       
       TUNIS/SOUSSE taz | Tunesien steht noch immer unter Schock nach dem Überfall
       auf das „Imperial Marhaba Hotel“, bei dem 38 meist ausländische Touristen
       von einem jungen Mann mit einem Schnellfeuergewehr gejagt und regelrecht
       hingerichtet wurden. Alle im Lande wissen: Das ist das Ende des Tourismus –
       und damit einer Industrie, die für 7 Prozent des BIP verantwortlich ist.
       
       Tausende Urlauber wurden von den Reiseveranstaltern übers Wochenende
       panikartig in ihre Heimat ausgeflogen. Vielerorts kam es zu spontanen
       Demonstrationen gegen den islamistischen Terror und für ein freies,
       demokratisches Tunesien.
       
       „Der Krieg betrifft nicht nur Armee und Polizei (…) er betrifft die gesamte
       Bevölkerung“, erklärte der säkulare, liberale Staatspräsident Béji Caïd
       Essebsi. Nur Stunden nach dem Blutbad erließ er einen Notfallplan mit 13
       Maßnahmen. Unter anderem sollen 80 nichtoffizielle Moscheen, in denen
       radikale Prediger am Werk sind, geschlossen werden. Parteien und
       Organisationen, „die die Verfassung nicht respektieren“, werden untersucht.
       Und nach der Sommerpause werden Parteien und Zivilgesellschaft zu einem
       „Nationalen Kongress gegen den Terrorismus“ gerufen.
       
       Doch die Maßnahmen kommen nicht überall gut an. Rachid Ghannouchi, Chef der
       islamistischen Partei „Ennahda“, die nach dem Sturz der Diktatur 2011 für
       zwei Jahre die Übergangsregierung stellte, warnt davor, dass der
       Polizeistaat die Freiheiten einschränken könne. Er fürchtet wohl um
       islamistische Organisationen zwischen seiner Partei und dem radikalen
       Lager.
       
       ## Die Grenze zu Libyen kontrollieren
       
       Für Präsident Essebsi kam der Anschlag alles andere als überraschend.
       Bereits vor einigen Wochen warnte er in einem Interview mit dem deutschen
       Fernsehsender ZDF: „Der Islamische Staat ist in Libyen fest verankert. Und
       die nächste Beute nach der Strategie des IS ist: Tunesien.“ Immer wieder
       waren tunesische Einrichtungen und Bürger Ziel von Anschlägen und
       Entführungen im Nachbarland Libyen geworden. Tunis hat mittlerweile seine
       diplomatische Vertretung aus Tripolis abgezogen.
       
       Libyen ist nach dem Sturz des Diktators Muammar al-Gaddafi im Oktober 2011
       mit Hilfe von Nato-Luftangriffen völlig zerfallen. Die Regionen werden von
       lokalen Milizen kontrolliert, zwei Regierungen streiten um die Macht im
       Land. Seit Ende 2014 ist ganz offiziell der „Islamische Staat“ (IS) in der
       libyschen Wüste aktiv. Ziel: das Kalifat vor den Toren Europas auszubauen.
       3.000 tunesische Kämpfer haben sich –so die Behörden – dem IS in Syrien,
       dem Irak und auch in Libyen angeschlossen. Immer wieder werden
       Waffenschmuggler an Tunesiens Grenze verhaftet.
       
       Dennoch sind große Mengen Kriegsmaterial eingesickert. Dort kämpfen in
       einer Bergregion an der Grenze zu Algerien seit über zwei Jahren Milizen
       gegen die tunesische Armee und Gendarmerie. Erst vergangene Woche wurde das
       Gebiet einmal mehr großflächig von der Luftwaffe bombardiert. Jetzt wird
       Essebsi, als eine seiner Maßnahmen, die gesamte Bergregion zum
       militärischen Sperrgebiet erklären. Reservisten werden zurück zur Armee
       gerufen. Die Grenze zu Libyen soll mit 15.000 Mann kontrolliert werden.
       
       ## Finanzielle Unterstützung aus den USA
       
       Essebsi sucht internationale Verbündete. Noch nicht einmal ein Jahr im Amt,
       traf er sich bereits mit seinem algerischen Amtskollegen Abdelaziz
       Bouteflika, mit europäischen Regierungen und mit US-Präsident Barack Obama.
       Dieser brachte im US-Kongress einen Antrag ein, dem kleinen
       nordafrikanischen Land mit über 130 Millionen Dollar unter die Arme zu
       greifen.
       
       Die Hälfte des Betrages – einige Experten in Washington sprechen gar von 80
       Prozent – wird für die Aufrüstung der tunesischen Armee und Polizei sein.
       Militärfahrzeuge, ein Patrouillenboot, und ein Dutzend hochmoderner
       Kampfhubschrauber made in USA sollen bald zum Einsatz kommen. Tunesien wird
       damit zu einem der wichtigsten Partner der USA und der Nato in der Region.
       
       Die Sicherheitsbehörden haben in den letzten Monaten eine der wichtigsten
       radikalen Organisationen, die Ansar al-Scharia, weitgehend zerschlagen.
       Rund 1.000 meist junge Tunesier wurden festgenommen, andere flohen zu den
       Kämpfern in den Bergen an der algerischen Grenze, wieder andere dürften
       heute irgendwo in den Reihen des IS oder von al-Qaida kämpfen. Am meisten
       fürchten die Behörden diejenigen, die nicht enttarnt wurden und als
       Schläfer irgendwo einen Anschlag ausbrüten – wie den von Sousse.
       
       28 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
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