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       # taz.de -- Deutsche Wirtschaft und Griechenland: Noch wird geliefert
       
       > Kein Crash an den Börsen, kein Aufschrei der Exporteure – doch das kann
       > noch kommen. Die deutsche Wirtschaft hat den Grexit mental schon
       > vollzogen.
       
   IMG Bild: Die europäischen Börsen verzeichneten zwar Kursverluste, der befürchtete Aktiencrash ist aber ausgeblieben
       
       BERLIN taz | Die Kapitalmärkte haben moderat auf die Zuspitzung der
       Griechenlandkrise reagiert. Repräsentanten der deutschen Wirtschaft dagegen
       tragen zu einer weiteren politischen Eskalation bei – und bereiten damit
       den Boden für den Grexit.
       
       Die europäischen Börsen verzeichneten zwar Kursverluste, der befürchtete
       Aktiencrash ist aber ausgeblieben. Nach Angaben der Bundesbank halten
       deutsche Institute in Hellas noch Kredite in Höhe von 2,4 Milliarden Euro,
       also nicht viel. Der Kurs des Euro ist zwar am Montag zunächst deutlich
       gefallen, stabilisierte sich im Laufe des Tages aber wieder. „Die
       Reaktionen eines Tages darf man aber nicht überinterpretieren“, sagte
       Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für
       Wirtschaftsforschung in Berlin. „Märkte brauchen häufig Tage oder Wochen,
       um das aktuelle Geschehen einzupreisen.“
       
       Fratzscher fürchtet, dass es in naher Zukunft aufgrund der
       Griechenlandkrise durchaus noch zu Verwerfungen an den Kapitalmärkten
       kommen kann. „Auch die Finanzmarktakteure wissen nicht, welche
       Ansteckungseffekte es gibt“, sagte er. Sorgen macht ihm vor allem Italien.
       Sollte die Krise dort ausbrechen, würde auch Deutschland in Mitleidenschaft
       gezogen.
       
       Aus den Verbänden der deutschen Wirtschaft kommen unterdessen schrille
       Töne. „Ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone kann kein Tabu mehr
       sein“, sagte Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der
       Automobilindustrie (VDA) und ehemaliger CDU-Bundesverkehrsminister. Als
       Absatzmarkt ist Griechenland für die Automobilindustrie nicht besonders
       wichtig. In den ersten fünf Monaten diesen Jahres haben deutsche Autobauer
       5.100 PKW nach Griechenland geliefert, halb so viele wie 2010. „Für die
       deutsche Industrie wären die unmittelbaren Folgen eines Austritts der
       Griechen aus der Währungszone aufgrund des vergleichsweise geringen
       Handelsvolumens beschränkt“, erklärte der Präsident des Bundesverbands der
       Deutschen Industrie, Ulrich Grillo.
       
       ## Deutschland ist wichtiger Handelspartner
       
       Im Jahr 2008 haben Unternehmen aus der Bundesrepublik noch Waren im Wert
       von fast 8 Milliarden Euro nach Griechenland geliefert. 2014 waren es nur
       noch knapp 5 Milliarden, das entspricht Platz 38 auf der Liste der
       Exportziele. Aber Deutschland ist für Griechenland neben Italien und der
       Türkei der wichtigste Handelspartner. Zu den noch immer nach Griechenland
       gelieferten Waren gehören neben pharmazeutischen und chemischen Produkten
       Nahrungsmittel, in erster Linie Fleischwaren, Milch und Agrarprodukte.
       
       Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) appelliert an
       Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen aufrecht zu erhalten. „Im Moment
       helfen wir aus Deutschland heraus am ehesten, wenn wir versuchen, die
       Geschäftsbeziehungen zu griechischen Partnern aufrecht zu erhalten und auch
       weiterhin als Touristen nach Griechenland reisen“, sagte DIHK-Präsident
       Eric Schweitzer.
       
       ## Lidl wartet erstmal ab
       
       Doch das liegt nicht allein in der Hand der Unternehmen. Der größte
       deutsche Fleischexporteur Tönnis liefert weiterhin nach Griechenland.
       „Bislang ändert sich nichts an unseren Geschäftsbeziehungen zu
       Griechenland“, sagte Sprecher Andre Vielstädte. „Aber wir beobachten das
       von Tag zu Tag.“ Das Unternehmen arbeitet dabei eng mit seinem
       Kreditversicherer Euler Hermes zusammen. Er versichert Lieferanten für den
       Fall, dass ihre Kunden pleite gehen und übernehmen nach einer Insolvenz
       einen Teil der Rechnung.
       
       Allerdings können Kreditversicherer den Vertrag kündigen, wenn ihnen die
       Sache zu brenzlig wird. Euler Hermes, eine Tochter der Allianz, wollte
       keine Stellungnahme zu ihrer Griechenlandbewertung abgeben. Wenn der
       Kreditversicherer die Reißleine zieht, stellen Unternehmen ihre Lieferungen
       oft ein. „Eine Alternative ist, nur gegen Vorkasse zu liefern“, sagte
       Vielstädte. Doch das ist angesichts der aktuellen
       Kapitalverkehrskontrollen, die Überweisungen ins Ausland verbieten, nicht
       ohne weiteres möglich.
       
       Auch die deutsche Discounterkette Lidl wartet erst einmal ab. Lidl ist in
       Griechenland mitmehr als 220 Filialen einer der größten Lebensmittelhändler
       und hat in diesen Tagen mehr Kunden als üblich. In den Läden können sie mit
       Kreditkarten zahlen. „Unser ausdrückliches Ziel ist es, in Griechenland zu
       bleiben“, sagte Sprecherin Eva Groß.
       
       29 Jun 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Krüger
       
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