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       # taz.de -- Wenn Eltern sich nicht einig sind: Hü und hott
       
       > Unterschiede in der Erziehung? Sind nur dann schädlich für das Kind, wenn
       > sich aus ihnen ungelöste und ständige Konflikte ergeben.
       
   IMG Bild: Unterschiedliche Erziehungskonzepte dürfen nicht zum Dauerstreit führen.
       
       Eltern bekommen von allen Seiten zu hören, dass sie an einem Strang ziehen
       sollen, dass die Kinder verwirrt würden, wenn es keine klare Linie in
       Sachen Erziehung gebe. Und so haben die meisten Eltern auch verinnerlicht,
       dass eine Hü-und-hott-Erziehung nicht ideal ist, wie eine Umfrage der
       Universität Wien aus dem Jahr 2008 belegt.
       
       Kein Wunder, schließlich haben viele Studien der Erziehungsstilforschung
       gezeigt, dass unterschiedliche Erziehungsstile zu Verhaltensproblemen und
       Ängsten der Kinder führen können. „Wenn Eltern unterschiedlich handeln,
       werden sie unberechenbar für das Kind. Das führt zu Hilflosigkeit,
       Depressionen und Ängsten“, erklärt Myra Berkien, Entwicklungspsychologin an
       der Erasmus-Universität Rotterdam.
       
       Und auch Alexandra Langmeyer, Wissenschaftlerin am Deutschen Jugendinstitut
       (DJI), zeigte unlängst in ihrer Doktorarbeit, dass unterschiedliche
       Erziehungsstile, vor allem wenn die Eltern in der Strenge variieren, mit
       Verhaltensauffälligkeiten von Kindern einhergehen. Allerdings meint sie:
       „Die Effekte auf das Verhalten des Kindes waren in den Studien nicht
       besonders stark.“ Vermutlich, weil dabei andere verhaltensprägende Faktoren
       wie das Familienklima oder auch die Umgebung, in der das Kind aufwächst,
       unberücksichtigt blieben.
       
       Darum lässt sich nicht pauschalisieren, dass häufige Meinungsunterschiede
       der Eltern zwangsläufig negative Wirkungen auf das Kind haben. Auch lässt
       sich umgekehrt nicht behaupten, dass Kinder von Eltern mit einem
       einhelligen Erziehungsstil immer besser dran sind. Denn heute favorisieren
       Erziehungswissenschaftler den sogenannten autoritativen Stil – zumindest in
       westlichen Gesellschaften. Nur wenn beide Eltern diesem folgen, hat das
       positive Auswirkungen auf das Kind. Es ist dann selbstbewusst, gut in der
       Schule, seltener aggressiv oder drogensüchtig.
       
       ## Die vier Erziehungsstile
       
       Die Forschung unterscheidet grob vier Stile. Beim permissiven oder
       antiautoritären Stil erlauben die Eltern viel und setzen wenig Grenzen. Das
       kann im schlimmsten Fall bis zu einem vernachlässigenden Stil führen. Der
       autoritative oder demokratische Stil setzt zwar diese Grenzen, doch die
       Eltern diskutieren mit den Kindern auf Augenhöhe bestimmte Regeln oder
       Strafen und erklären ihre Beweggründe. Bei der autoritären Erziehung
       dagegen werden starre Grenzen und strenge Regeln quasi von oben herab ohne
       Verhandlungsspielräume bestimmt. Auch die Strafen fallen in diesen Familien
       oft drastisch aus.
       
       Autoritäre Erziehung wurde unter anderem für die Verrohung der Menschen
       während der Nazizeit verantwortlich gemacht. Heute weiß man, dass übermäßig
       strenge Erziehungsmethoden,zumindest das Selbstbewusstsein der Kinder
       schmälern. Kinder von permissiven Eltern haben dagegen oft schulische
       Probleme, neigen zu Wutanfällen haben dafür aber ein großes Ego. Laut
       diversen Studien ist jedoch die schlechteste Variante, wenn beide Eltern
       vernachlässigen. Nach der Befragung von Langmeyer trifft das auf immerhin
       10 Prozent der Eltern hierzulande zu.
       
       Ob nun unterschiedliche Erziehungsstile, also ob etwa ein autoritärer Vater
       und eine autoritative Mutter tatsächlich Spuren in der Psyche des Kindes
       hinterlassen, hängt vom Umgang mit familiären Konflikten ab. Denn
       entscheidend für eine gute seelische Entwicklung eines Kindes ist, ob ein
       divergierender Erziehungsstil zu ständigem, zermürbendem Streit führt. Und
       diese Dispute zwischen Eltern können durchaus auch innerhalb des gleichen
       Erziehungsstils vorkommen. Beispielsweise wenn sich die Eltern zwar einig
       sind, dass es eine Zeit geben muss, zu der das Kind im Bett sein soll.
       Strittig ist dann aber die genaue Uhrzeit.
       
       ## Schädliche Machtspiele
       
       „Wenn Kinder in einem Spannungsfeld groß werden, hat das negative
       Konsequenzen“, sagt Enno Hermans von der Deutschen Gesellschaft für
       Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). Auch
       Machtspiele sollten nicht darüber ausgetragen werden, was Kinder dürfen und
       sollen. „Es ist wichtig, dass Eltern kooperieren und Aussagen des anderen
       nicht untergraben oder schlechtgemacht werden“, sagt Langmeyer.
       
       Werden die häufigen Meinungsverschiedenheiten über Süßigkeiten, Manieren am
       Tisch, Hausaufgaben oder Selbstständigkeit jedoch gut ausgetragen und
       gelöst, kann das Kind sogar davon profitieren. „Es lernt etwa, wie
       unterschiedliche Positionen und Interessen ausgehandelt werden können und
       dass Streit nicht gleich Trennung bedeutet“, so Hermans. Er findet darum,
       dass die Kinder Reibereien auch ruhig mitbekommen können, solange diese
       nicht in einer bedrohlichen Art und Weise mit Anbrüllen oder gar
       Handgreiflichkeiten geschehen. Ein solches „gutes Co-Parenting“ ist sogar
       hilfreich, wenn sich die Eltern einmal trennen sollten.
       
       Auf der anderen Seite kann ein Elternteil, der autoritativ erzieht, auch
       ausgleichend wirken. Zudem zeigen neuere Forschungen, dass sich der
       Erziehungsstil je nach Alter und Temperament des Kindes verändert. So
       werden Kinder mit schwierigem Temperament eher autoritär erzogen, auch wenn
       die Eltern von Haus aus eher zu einem autoritativen oder permissiven Stil
       neigen. Umgekehrt werden ständig an einem Strang ziehende Eltern womöglich
       von den Kindern als undurchdringliche Phalanx wahrgenommen, gegen die sie
       nicht ankommen. Sie erleben nicht, wie Vater oder Mutter einmal auf ihrer
       Seite stehen.
       
       ## Die Umfrage
       
       In der DJI-Studie ordnete sich die Hälfte der Eltern demselben
       Erziehungsstil zu, während die andere Hälfte unterschiedliche
       Erziehungsstile angab. Allerdings hatten nur 4 Prozent der Paare komplett
       gegensätzliche Erziehungsvorstellungen. Interessant ist dabei, dass sich
       Eltern häufig uneins sind, wie sie selbst und der Partner eigentlich
       erziehen. Frühere Studien haben meist nicht nach der Einschätzung des
       jeweils anderen gefragt, was womöglich deren Ergebnisse verfälscht hat.
       
       Fakt ist, dass immer mehr Väter sich an der Erziehung beteiligen und sich
       darum auch die Wahrscheinlichkeit für divergierende Erziehungsvorstellungen
       erhöht, einfach weil Eltern zwei Individuen mit unterschiedlichen
       Charakteren und Lebensläufen sind.
       
       Die Soziologin Michaela Schonhöft meint in ihrem Buch „Kindheiten – Wie
       kleine Menschen in anderen Ländern groß werden“: „Ob es Kindern gut geht,
       darüber entscheidet letztlich die Nähe zu den Eltern und
       Kommunikationsstrukturen.
       
       4 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kathrin Burger
       
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