URI: 
       # taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Auf ewig ein Umweltsünder
       
       > Wer im Netz seinen ökologischen Fußabdruck berechnet, kommt ins
       > Schwitzen: Selbst Nachhaltigkeitsfreaks verschmutzen mehr als gedacht.
       
   IMG Bild: Kein Traumstrand.
       
       Nein, in eine kleinere Wohnung will ich nicht ziehen. Diese Möglichkeit,
       eigentlich die moralische Verpflichtung dazu, stellt meine 18-jährige
       Tochter zur Diskussion. Hat sie doch im Internet ihren ökologischen
       Fußabdruck berechnet. Das ist ein Verfahren, das den individuellen
       Umweltverbrauch zeigt. Ihr Ergebnis: Sie nutzt gut doppelt so viel Luft,
       Boden und Rohstoffe, wie sie dürfte, wollte sie mit unserem Planeten
       pfleglich umgehen. Ein Grund für die miese Bilanz: „Unsere Wohnung ist zu
       groß, wir benötigen zu viel Energie.“
       
       Ich bin alarmiert. Umziehen? Ich denke: Gerade erst haben wir den Flur
       gestrichen und neue Balkonpflanzen gekauft. Also echt: Wir essen kaum noch
       Wurst, fahren wenig Auto und haben überall Energiesparlamen. Sind wir nicht
       halbwegs öko und ein bisschen besser als der durchschnittliche
       Bundeskonsumbürger?
       
       Nun starte ich ebenfalls den Ökologischen-Fußabdruck-Test von Brot für die
       Welt und versuche ehrlich zu sein: Wir kaufen halb bio und regional, halb
       konventionell, fahren meistens Rad und reisen einmal im Jahr mit dem
       Flugzeug in die Ferien. Doch auch meine Ökobilanz ist schlecht: Ich komme
       auf die 2,4fache Menge dessen, was nachhaltig wäre. In der Sprache des
       Fußabdruck-Tests gesagt, verbrauche ich 2,4 Erden. Immerhin etwas weniger
       als die BundesbürgerInnen im Durchschnitt.
       
       Mich rettet, dass wir keinen Wäschetrockner besitzen, der Strom
       verschwendet. Dann mache ich mir den Spaß, für alles die Superökovariante
       anzuklicken. Nur vegane Ernährung, nicht nur kein Fleisch, sondern auch
       kein Käse, keine Butter, Milch und Eier, kein Auto, keine Flugreisen, nur
       Rad, nicht mal U-Bahn, 20 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf, 18 Grad
       Raumtemperatur ganzjährig, null Konsumausgaben. Das Ergebnis ist
       erschreckend: Noch immer 1,2 Erden.
       
       Selbst als 100-Prozent-Öko richte ich die Biosphäre zugrunde? Ja, erklärt
       mir der Internettest: Schließlich lebst du in einer reichen Gesellschaft
       mit fetten Straßen und riesigen Fabriken. Dafür rechnen wir dir einen Malus
       an, der deine Bilanz versaut.
       
       ## Kann ich den Kollaps überhaupt verhindern?
       
       Seltsam, denke ich. Selbst wer ohne elektrisches Licht in Diogenes’ Tonne
       am Bach lebt, kann die Erde nicht schützen? Was soll dieses Konzept?
       Welchen Sinn haben die Energiewende und der globale Klimaschutz, wenn meine
       alltäglichen Anstrengungen niemals ausreichen, um den Kollaps zu
       verhindern? Und wie soll ich Freunden, die zehn Kilometer hinter der
       Stadtgrenze leben, erklären, das sie mich nicht mal mit der S-Bahn besuchen
       dürfen?
       
       Ich rufe an bei Brot für die Welt. Oh, sagt der Fußabdruck-Experte, das sei
       keine gewünschte Aussage. Schließlich habe man nicht die Absicht, die
       Testpersonen mit der automatischen Erfolglosigkeit ihrer Bemühungen zu
       frustrieren. Er sagt, er werde die Parameter der Berechnung so anpassen,
       dass bei Tippi-Toppi-Öko-Verhalten der Verbrauch als nachhaltig eingestuft
       werde.
       
       Diese Reaktion bringt mich noch mehr ins Grübeln. Aber bin ich auch
       erleichtert, dass ich nun wenigstens eine minimale Chance habe, nicht bis
       in alle Ewigkeit in der protestantischen Hölle auf einer Solarzelle
       gegrillt zu werden – als Strafe für mangelndes Öko-Engagement im Diesseits.
       
       5 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
       ## TAGS
       
   DIR Klima
   DIR Umweltzerstörung
   DIR Wir retten die Welt
   DIR deutsche Literatur
   DIR Religion
   DIR Tatort Bremen
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Buch „Die Frau des Croupiers“: Wo bleibt Otto Jägersberg?
       
       In den Sechzigern war er fast berühmt, dann war die öffentliche
       Aufmerksamkeit weg. Doch er schrieb weiter. Eine Empfehlung, diesen Autor
       zu lesen.
       
   DIR Kolumne Wir retten die Welt: Da hilft nicht mal Beten
       
       Die Weltreligionen wollen die Schöpfung schützen. Da könnten sie doch
       gemeinsam einen Religionskrieg gegen den Kapitalismus führen.
       
   DIR „Tatort“ aus Bremen: Der Öko als Ballaballa-Typ
       
       Tote gibt’s im Bremer „Tatort“ genug: Und zwar im Kampf der Umweltschützer.
       Doch die Folge strotzt am Ende von Klischees.
       
   DIR Kolumne Wir retten die Welt: Das Folterinstrument der Wahl
       
       Für die CO2-Bremse hilft als Peitsche nur die Verankerung im Grundgesetz.
       Mit der richtigen Werbung könnte sie sogar hip werden.