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       # taz.de -- Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge: Kränker rein als raus
       
       > Schleswig-Holstein will eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge einführen –
       > aber auch dann bleibt es bei einer Behandlung zweiter Klasse.
       
   IMG Bild: Ohne Gesundheitskarte hilft nur der ehrenamtliche Arzt wie hier im Hamburger Marienkrankenhaus
       
       KIEL taz | Statt zum Amt gleich zum Arzt – Schleswig-Holstein will eine
       Gesundheitskarte für Flüchtlinge schaffen, wie es sie in Bremen und Hamburg
       schon gibt. Zurzeit streiten das Land, die Kommunen und die Krankenkassen
       um die Details. Flüchtlingsorganisationen wie auch Mediziner fordern die
       Karte seit Langem, kritisieren aber: Auch mit Karte bleibt die Behandlung
       der Flüchtlinge eine Behandlung zweiter Klasse.
       
       Hilfe gibt es bei Schmerzen, ansteckenden oder lebensbedrohlichen
       Krankheiten, wie es das Asylbewerberleistungsgesetz vorschreibt. „Es werden
       die Spitzen abgefangen“, sagt Carsten Leffmann, ärztlicher Direktor der
       Ärztekammer Schleswig-Holstein. Patienten, die etwa an chronischen
       Krankheiten wie Diabetes, Rheuma oder Asthma leiden, müssen eigentlich
       weggeschickt werden – auch für die Mediziner keine schöne Situation, sagt
       Leffmann. Ein „Un-Zustand“, findet Martin Link vom Flüchtlingsrat
       Schleswig-Holstein: „Wenn ein Zahn gezogen statt geheilt wird, kommen
       Menschen kränker aus der Arztpraxis heraus, als sie hineingegangen sind.“
       
       Grundsätzlich sind sich alle Seiten einig: Die Karte bringt viele Vorteile.
       So erleichtert sie den Alltag der Flüchtlinge, aber auch die Arbeit der
       Verwaltungen: „Die Behörden machen redlich ihre Arbeit“, sagt Leffmann.
       „Aber Ärztinnen und Ärzte sollten über eine Behandlung entscheiden, nicht
       ein Sachbearbeiter“, findet er. Allein deshalb begrüße die Ärzteschaft die
       Karte, im Land wie auf Bundesebene. Dort hat sich der Ärztetag zu einer
       verlässlichen Versorgung von allen Kranken bekannt: „Das schließt
       Flüchtlinge ein, die ohne Papiere in Deutschland leben.“
       
       ## Streit um die Kosten
       
       Das aber leistet die Gesundheitskarte nicht. Das Plastikkärtchen, das
       vermutlich dem Ausweis von Krankenversicherten ähneln wird, wird nur an
       Gemeldete verteilt – entsprechend nennt das „Medibüro Kiel“, wo vor einer
       Behandlung niemand einen Pass oder Unterlagen zeigen muss, die
       Gesundheitskarte „nur einen ersten Schritt“.
       
       Wann es in Schleswig-Holstein zu einer Lösung kommt, ist unklar. Der
       Sprecher des Gesundheitsministeriums, Christian Kohl, verweist auf die
       Debatte darüber, ob der Bund ein länderübergreifendes System schaffen und
       sich auch an der Finanzierung beteiligen sollte. Denn die Kosten trägt –
       auch wenn eine oder mehrere Krankenkassen die Karten ausgeben und die
       Bezahlung abwickeln – nicht die Gemeinschaft der Krankenversicherten,
       sondern die öffentliche Hand, also Länder und Kommunen.
       
       Hier sind die Vorreiter Bremen und Hamburg im Vorteil, schließlich vereinen
       sie in einer Verwaltung beide Ebenen. In Flächenländern dagegen verhandelt
       die kommunale Ebene mit, die zurzeit 30 Prozent der Ausgaben bezahlt.
       Gemeindetag, Landkreistag und Städteverband in Schleswig-Holstein forderten
       im April, das Land solle die Kosten der Gesundheitskarte vollständig
       übernehmen.
       
       ## Gedeckeltes Budget in Bremen
       
       „Wir erwarten, dass die Bundesregierung bis September eine Regelung
       schafft“, sagt der Sprecher des Kieler Gesundheitsministeriums. Die
       Landes-Regelung, an der das Ministerium gemeinsam mit den Krankenkassen und
       den Kommunen arbeitet, soll dann im Einklang mit dem Bundes-Vorhaben
       umgesetzt werden.
       
       Läuft es ähnlich wie in Bremen – hier gibt es das Verfahren seit Oktober
       2005 –, erhalten die Kassen ein monatliches Budget für jede gemeldete
       Person im Asylverfahren plus Verwaltungskosten. Das Gesamtbudget ist
       gedeckelt. Wird es unterschritten, bekommen die Kassen einen Bonus.
       
       Die Budget-Grenze hält der Mediziner Leffmann grundsätzlich nicht für ein
       Problem: „In Deutschland sind alle Behandlungen gedeckelt“, sagt er. Aber
       bisher gelang es oft, in Einzelfällen mit den Sozialämtern Einigungen zu
       erreichen. Dies könnte mit der Krankenkasse als Verhandlungspartnerin
       schwieriger werden, befürchtet Martin Link: „Hier kommt es auf die Stärke
       der Zivilgesellschaft an – und auf die Ärzte, die bereit sind, für ihre
       Patienten einzutreten.“
       
       7 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Geißlinger
       
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