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       # taz.de -- Griechenlands Krise: Das langsame Gleiten in den Grexit
       
       > Die EZB will keine Notkredite mehr bewilligen. So könnte sie den Grexit
       > provozieren – weil Griechenland eine Parallelwährung einführen müsste.
       
   IMG Bild: Etwas bröckelig: Die Eruo-Skulptur vor der ehemaligen Zentrale der EZB wird im Juli saniert.
       
       Griechenland droht aus dem Euro zu fliegen – und damit ist ein neuer Streit
       rund um die Europäische Zentralbank (EZB) entbrannt. Maßt sie sich zu viel
       Macht an? Verliert sie ihre Unabhängigkeit? Betreibt sie knallharte
       Politik, statt sich nur auf die reine Geldpolitik zu konzentrieren? Darüber
       [1][diskutieren Ökonomen] inzwischen weltweit.
       
       Der Ausgangspunkt dieser Debatte trägt einen denkbar sperrigen Namen:
       „Emergency Liquidity Assistance“, kurz Ela. Diese Notkredite können Banken
       beantragen, die eigentlich gesund sind – aber trotzdem Finanznöte haben,
       weil Sparer panisch ihr Geld abziehen. Auf Neudeutsch spricht man auch von
       einem „Bank Run“.
       
       Griechenland hat in den vergangenen Monaten einen Bank Run der Extraklasse
       erlebt. Denn viele Griechen fürchteten, dass ihr Land aus dem Euro fliegen
       könnte, und hoben schnell ihr Geld von den Konten ab. Die EZB stopfte die
       Finanzlöcher, indem sie die Ela-Notkredite für die griechischen Banken
       immer wieder erhöhte – bis sie schließlich rund 89 Milliarden Euro
       betrugen.
       
       Doch Ende Juni [2][zog die EZB den Stecker], nachdem der griechische
       Premier Alexis Tsipras das Referendum angekündigt hatte. Die bisherigen
       Notkredite laufen zwar weiter, aber es werden keine zusätzlichen Ela-Hilfen
       mehr bewilligt. Diesen Kurs will die EZB vorerst beibehalten, wie sie am
       Montagabend erneut beschloss.
       
       ## Der Vorrat dürfte nicht mehr lange reichen
       
       Für Griechenland sind die Konsequenzen dramatisch, denn den Banken ging
       prompt das Geld aus, so dass sie seit mehr als einer Woche geschlossen
       sind. Die Geldautomaten spucken noch [3][maximal 60 Euro am Tag] aus. Doch
       auch für diese Minibeträge dürfte der Vorrat nicht mehr lange reichen.
       
       Damit gleitet Griechenland in einen Grexit, ohne dass er politisch jemals
       beschlossen worden wäre. Er ereignet sich quasi automatisch. Denn ohne
       Euros bleibt den Griechen nur noch, irgendwelche Parallelwährungen
       einzuführen. Die Frage ist daher: Hat die EZB tatsächlich das Mandat, den
       Grexit zu erzwingen, indem sie die Ela-Kredite deckelt?
       
       Für Bundesbank-Chef Jens Weidmann ist klar: Die Ela-Kredite hätten schon
       viel früher zurückgefahren werden müssen. Denn sie seien „zur einzigen
       Finanzierungsquelle“ der griechischen Banken geworden. Man müsse also daran
       zweifeln, ob die Institute überhaupt noch zahlungsfähig seien. Ähnlich
       sieht es Elke König, oberste Bankenabwicklerin der EU. Sie sagte schon
       Mitte Juni: „Für die griechischen Banken ist der Zugang zum Markt nun schon
       lange geschlossen. Die Grenze zwischen Ela und Konkursverschleppung ist
       fließend.“
       
       Weidmann und König bringen damit das erste Kernargument der Ela-Gegner auf
       den Punkt: Die griechischen Banken seien eigentlich längst Pleite und
       würden nur noch künstlich am Leben gehalten.
       
       ## Kein Misstrauen in die Banken
       
       Dies sehen viele internationale Ökonomen ganz anders. In der Financial
       Times wies Chefkommentator Martin Sandbu darauf hin, dass die EZB erst 2014
       einen Stresstest bei allen wichtigen Banken der Eurozone durchgeführt hat –
       den die griechischen Banken mühelos bestanden haben. Sie galten damals also
       als gesund.
       
       Die griechischen Sparer würden ihr Geld ja nicht abheben, weil sie den
       Banken misstrauen – sondern weil sie fürchten, dass ihr Land den Euro
       verlässt. Mit den Banken habe das Liquiditätsproblem nichts zu tun.
       
       Ein rechtliches Problem kann Sandbu ebenfalls nicht erkennen. Die
       europäischen Verträge würden ausdrücklich vorsehen, dass die EZB das
       „reibungslose Funktionieren des Zahlungsverkehrs“ fördern solle.
       
       Auch der international einflussreiche französische Ökonom Charles Wyplosz
       fordert, dass die EZB die Ela-Kredite ausweitet. Denn es wäre ein
       Missverständnis, zu glauben, dass Zentralbanken nur die Inflation bekämpfen
       sollen. Sie wurden überhaupt nur gegründet, um Paniken auf den
       Finanzmärkten zu bekämpfen. „Indem sie das griechische Banksystem nicht
       stützt, versagt die EZB bei einer ihrer zentralen Aufgaben.“
       
       ## Verluste gehören zur EZB
       
       Doch viele deutsche Ökonomen treibt noch eine weitere Sorge um: Es könnten
       große Verluste auflaufen, falls Griechenland den Euro verlässt. Clemens
       Fuest vom [4][ZEW Mannheim] sagte kürzlich: „Es ist ein schwerer Fehler der
       EZB, dass die Ela-Kredite in den letzten Monaten immer weiter ausgeweitet
       wurden. Das hat die Verhandlungsmacht der griechischen Regierung immer mehr
       gestärkt, weil die Verluste der Gläubiger bei einem Grexit wachsen.“
       
       Auch dieses Argument kann Wyplosz überhaupt nicht nachvollziehen.
       „Zentralbanken sind keine normalen Unternehmen. Verluste gehören zu ihrer
       Aufgabenbeschreibung.“ Zudem sind diese Verluste nur virtuell, denn eine
       Zentralbank kann beliebig viel neues Geld schöpfen.
       
       Offenbar wird der EZB selbst mulmig, dass sie einen Grexit provozieren
       könnte. EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny aus Österreich schlug am Dienstag
       vor, den finanziellen Engpass in Griechenland bis zu einem neuen Hilfspaket
       zu überbrücken. Etwas gewunden sagte er: „Unter bestimmten Voraussetzungen
       kann auch die EZB Liquidität geben, wenn das entsprechend den Regeln
       möglich ist.“
       
       7 Jul 2015
       
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