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       # taz.de -- Atomkompromiss mit Iran: „Der Bann ist gebrochen“
       
       > Nach den erfolgreichen Atomverhandlungen soll Iran eine wichtige Rolle in
       > der Region spielen. Saudi-Arabien is not amused.
       
   IMG Bild: Jubelfeier mit Kunstschnee: Iran hofft auf einen Wirtschaftsboom
       
       Berlin taz | Nach dreizehn Jahren zäher Verhandlungen, Sanktionen und
       Kriegsdrohungen wurde im Streit über das iranische Atomprogramm in dieser
       Woche [1][eine Einigung erzielt]. Der Kompromiss kündigt eine [2][neue
       Architektur für den gesamten Nahen und Mittleren Osten] an. Nicht nur die
       Strategie der USA und des gesamten Westens für die Region wird sich
       verändern, sondern auch die Rolle der an den Konflikten direkt beteiligten
       Staaten, allen voran Saudi-Arabiens, Israels und natürlich auch des Irans
       selbst.
       
       Seit der Gründung der Islamischen Republik 1979 war die Politik der USA und
       damit auch der westeuropäischen Staaten auf einen Regimewechsel im Iran
       ausgerichtet. Denn mit der Machtübernahme der Islamisten im Iran war die
       von den USA konzipierte, über Jahrzehnte bewährte geostrategische
       Architektur für den Nahen und Mittleren Osten zusammengebrochen.
       
       Noch im Juli 2006 sagte ein Sprecher des Weißen Hauses in Washington: „Iran
       und Syrien haben eine Wahl zu treffen. Sie können entweder dazukommen und
       als anständige und verantwortungsvolle Mitglieder der internationalen
       Gemeinschaft teilhaben, oder sie werden sich dem Risiko wachsender
       Konfrontationen aussetzen.“
       
       Die Hintergründe dieser Strategie erläuterte in aller Deutlichkeit der
       Pentagon-Berater Thomas P. M. Barnett: „Es gibt viele Nationen, die
       innerhalb der Globalisierung funktionieren. Das sind Staaten, die die
       Regeln akzeptieren. Wer die Globalisierung bekämpft, wer die Regeln
       zurückweist, wird möglicherweise das Interesse des amerikanischen
       Verteidigungsministeriums auf sich ziehen.“
       
       ## Iran ist auch dank westlicher Fehler heute Regionalmacht
       
       Doch alle Versuche der USA, einen Regimewechsel im Iran herbeizuführen,
       erreichten das Gegenteil. So war es mit dem achtjährigen Iran-Irak-Krieg,
       bei dem die USA und ihre europäischen Verbündeten den irakischen Diktator
       Saddam Hussein mit ausreichend Waffen versorgt und zu einem Angriff auf
       Iran ermuntert hatten. So war es auch bei allen Versuchen, den Iran
       international zu isolieren. Selbst die Sanktionen im Atomkonflikt konnten
       das Regime in Teheran nicht in die Knie zwingen.
       
       Zudem haben die USA und ihre Verbündeten mit den Kriegen in Afghanistan und
       im Irak nicht nur die wichtigsten Feinde des Irans, das Regime von Saddam
       Hussein und das der Taliban, entmachtet. Sie haben auch ungewollt der
       Islamischen Republik den Weg bereitet, ihren Einfluss in der gesamten
       Region erheblich zu steigern. Dank der gravierenden Fehler des Westens ist
       der Iran inzwischen zu einer regionalen Großmacht geworden.
       
       Das Land, das sich in einer Region befindet, in der sich zwei Drittel der
       weltweiten Öl- und Gasreserven befinden, ist politisch, strategisch und
       wirtschaftlich von enormer Bedeutung. Allein die Nachbarschaft zu
       Afghanistan und Irak, zwei Ländern, die vom Zerfall bedroht sind und in
       denen der Iran über erheblichen Einfluss verfügt, zeigt die Rolle, die der
       Iran bei der Neugestaltung der Region spielen könnte. Der Iran hat einen
       direkten Draht zur libanesischen Hisbollah und pflegt exzellente Kontakte
       zu palästinensischen Organisationen und zu den Huthi-Rebellen im Jemen.
       
       ## „Der Bann ist gebrochen“
       
       In Anerkennung der Position des Irans hat US-Präsident Barack Obama nach
       seiner Amtsübernahme, vor allem in seiner zweiten Amtszeit, einen Wechsel
       der Strategie gegenüber dem Land vorgenommen: Regimewechsel ist nicht mehr
       das Ziel. Nun lautet die Devise, den Iran in einer neuen Nahoststrategie
       einzubetten. Obama hat mehrmals betont, dass es bei den Atomverhandlungen
       um mehr geht als um das iranische Atomprogramm. Auch die Regierung von
       Irans Präsident Hassan Rohani stimmt dem offenbar zu. Anlässlich der
       schrittweisen Annäherung zwischen Teheran und Washington jubelte
       Exstaatspräsident Haschemi Rafsandschani kürzlich: „Das Bann ist
       gebrochen.“ Die Vorstellung einer Wiedereröffnung der US-Botschaft in
       Teheran sei nicht mehr abwegig, sagte er.
       
       [3][Diese Entwicklung löst in den arabischen Staaten, insbesondere in
       Saudi-Arabien, Furcht aus]. Das Land versuchte seit den achtziger Jahren
       die Lücke, die durch die iranische Revolution entstanden war, zu füllen und
       stieg zum engsten Verbündeten der USA und des Westens insgesamt auf. Nun
       befürchtet es, an den Rand gedrängt und von der iranischen Übermacht
       überrumpelt zu werden. Zudem gab es in den letzten Jahren zwischen Riad und
       Washington Differenzen, die das Verhältnis beider Staaten beeinträchtigten.
       
       Iran tritt als Fürsprecher der schiitischen Bevölkerungsgruppen der Region
       auf. Der Versuch Saudi-Arabiens, die sogenannte schiitische Achse im Nahen
       Osten zu durchbrechen, führte im Irak und in Syrien zum Chaos und ebnete
       den Weg von radikalislamischen Terrororganisationen in die Region. Auch der
       Angriff gegen die Huthis im Jemen erwies sich als eine Fehlstrategie, die
       nun schwer rückgängig zu machen sein wird. Während Riad nach wie vor die
       radikalen Islamisten unterstützt, versuchen der Iran und die USA, ihren
       Kampf gegen die Radikalislamisten immer enger miteinander zu koordinieren.
       
       ## Verhandlungen mit Damaskus?
       
       In Syrien hat Saudi-Arabien viel investiert, um das Regime Assad zu Fall zu
       bringen. Aber die Kräfte, die es unterstützt hat, haben nichts anderes als
       Terror verbreitet, Terror, der sich mittlerweile auch gegen die Saudis
       selbst richtet. Der Iran hingegen hat den syrischen Diktator und sein
       Regime unterstützt. Heute schließen selbst die westlichen Staaten
       Verhandlungen mit dem Regime in Damaskus nicht mehr aus.
       
       Das Atomabkommen bringt für die Machthaber im Iran beachtliche politische
       und wirtschaftliche Vorteile. Politisch bedeutet es eine große Aufwertung.
       Der Iran gilt nicht mehr als Schurkenstaat und gehört nicht mehr zur „Achse
       des Bösen“. Beinahe über Nacht sind alle Zäune, die Politiker und Medien um
       das Land gebaut hatten, weggefallen. Die Kommentare in den westlichen
       Medien zeugen von Respekt. Die eklatanten Menschenrechtsverletzungen, die
       Unterstützung terroristischer Organisationen und dergleichen mehr, scheinen
       kaum noch erwähnenswert.
       
       Sollten die Sanktionen tatsächlich aufgehoben werden, dann dürften mehrere
       hundert Milliarden iranisches Guthaben in das Land zurückfließen. Der Iran
       kann mit der Steigerung seines Öl- und Gasexports wieder zu einem wichtigen
       Mitspieler auf dem Weltmarkt werden. Große Unternehmen stehen bereits
       Spalier, um an dem lukrativen Markt teilzunehmen.
       
       ## Argwohn in Riad und am Golf
       
       Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will, begleitet von Vertretern der
       deutschen Industrie und des Handels, schon am Sonntag nach Teheran fliegen.
       Ihm folgt nächste Woche sein französischer Kollege.
       
       All dies wird in Riad und in den Staaten am Persischen Golf mit Argwohn
       beobachtet. Saudi-Arabien warnte bereits den Iran, in der Region Unruhe zu
       stiften. Teheran solle seine Ressourcen für seine „innere Entwicklung“
       einsetzen, hieß es aus der saudischen Hauptstadt. Andernfalls würden die
       Staaten der Region entsprechend reagieren. Es sei richtig, die Sanktionen
       gegen den Iran im Bezug auf Waffenimport und -export aufrechtzuerhalten.
       
       Der Nachrichtenagentur dpa zufolge sagte der Politikwissenschaftler
       Abdulchalek Abdullah von der Universität der Vereinigten Arabischen
       Emirate: „Abkommen oder nicht – die Spannungen in der Region werden nicht
       verschwinden. Wenn der Iran sich anschickt, als ein Hegemon, als eine
       Regionalmacht zu agieren, stehen uns schwierige Zeiten bevor.“
       
       18 Jul 2015
       
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