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       # taz.de -- Band-Biografie über Frei.Wild: Ausgerechnet
       
       > Frei.Wild gilt als rechtspopulistisch und deutsch-national. Doch sie hat
       > es in den Mainstream geschafft. Die Biografie adelt sie als
       > antifaschistisch.
       
   IMG Bild: Ganz harmlose, ehrliche Jungs – so will es die rechtspopulistische Band der Öffentlichkeit vermitteln.
       
       Zwei Kilo schwer und 400 Seiten dick ist er, der Grund, wieder einmal über
       Frei.Wild zu diskutieren. Klaus Farin, bekannter Subkulturforscher und
       Gründer des Archivs der Jugendkulturen, hat die erste ausführliche
       Biografie über die Südtiroler Band vorgelegt. Ende April ist sie
       erschienen, kurz nach Veröffentlichung des neuen Frei.Wild-Albums
       „Opposition“. Der Titel des Buchs: „Frei.Wild – Südtirols konservative
       Antifaschisten“.
       
       Ausgerechnet.
       
       Vor knapp drei Jahren waren die Deutschrocker um Sänger Philipp Burger mit
       dem Album „Feinde Deiner Feinde“ erstmals Nummer eins der deutschen Charts
       und wurden spätestens damit zum Massenphänomen. Seither wird darüber
       diskutiert, wie weit im rechten politischen Spektrum die Deutschrocker
       anzusiedeln sind.
       
       Ein Grund: Burger selbst. Einst war er Mitglied in einer
       rechtsextremistischen Band („Kaiserjäger“), zeitweise auch in der
       rechtspopulistischen Partei „Die Freiheitlichen“. Ein weiterer: Die Songs
       seiner neuen Band Frei.Wild über „Wahre Werte“ der „Heimat“, „Sprache,
       Brauchtum und Glaube“ oder über das „Land der Vollidioten“, in dem
       „Heimatliebe gleich Staatsverrat“ ist, lassen sie zumindest als
       anschlussfähig für Rechtsextreme erscheinen.
       
       Nun werden sie als Antifaschisten geadelt.
       
       An der Band können auf verschiedenen Ebenen viele politische Konfliktlinien
       festgemacht werden, das beweist auch Farins Buch – unabhängig von seiner
       Qualität. Frei.Wild-Anhänger bewegen sich im diffusen Feld der
       Globalisierungsskepsis, Medienkritik und gesellschaftlichen Neuauslotung
       von Wertvorstellungen. Und so diagnostiziert Autor Farin treffend, die Band
       sei zum „Seismograph einer im Umbruch befindlichen Gesellschaft geworden.“
       
       ## Stellenweise verherrlichend
       
       Auf gut 100 Seiten stellt er die vier Bandmitglieder ausführlich vor,
       spricht mit Experten für rechtsextreme Musik, mit Ex-Nazis, sogar mit
       solchen, die es noch sind. Er befragt mehr als 4.000 Frei.Wild-Fans,
       erstellt dazu einen Statistikteil und lässt sie seitenweise zu Wort kommen
       – so wie er das in vorherigen popkulturellen Publikationen, etwa über die
       Böhsen Onkelz auch schon getan hat. Auch gibt er einen Exkurs zur
       Südtiroler Geschichte des 20. Jahrhunderts und zum Heimatbegriff.
       
       Berücksichtigt man die politische Brisanz, die das Thema inhaltlich nach
       wie vor hat, ist es erschütternd, welch verharmlosendes, stellenweise
       verherrlichendes (fast an die Beschreibung von Heiligendarstellungen
       erinnerndes) Buch Farin veröffentlicht hat.
       
       Im Vorwort schreibt er in Bezug auf das Material – Interviews, Fotos,
       Archivmaterial –, das er ohne weitere Abstimmung mit der Band verwendet
       hat: „Offen gestanden war ich erstaunt, dass Frei.Wild sich darauf
       eingelassen hat. Die Band wusste von vornherein, dass (…) dieses Buch keine
       unkritische Fan-Biografie werden würde.“
       
       Doch bereits bei dem Versuch, sein Buch in ein Genre einzuordnen, wird
       klar, dass Farin dieses Versprechen über weite Strecken nicht einlöst: Man
       weiß nicht, ob man hier eine Bandbiografie, den Versuch einer
       soziologischen Studie oder ein Buch für Frei.Wild und deren Fans vorliegen
       hat. Dass ein Spagat unmöglich ist, sollte sich eigentlich von selbst
       verstehen.
       
       ## Ehrliche Naturliebhaber
       
       Das lässt sich auch an der Symbolik der Fotos festmachen: unzählige
       Abbildungen der Band, der Fans, der Tattoos der Band, der Tattoos der Fans.
       Viele ganzseitige Nahaufnahmen der Musiker sind zu sehen. Es ist dabei
       weniger ein Problem, dass dort klassische Rockerposen gezeigt werden;
       schwieriger ist die Inszenierung der einzelnen Bandmitglieder und die
       ständige Personalisierung.
       
       Exemplarisch zeigen das die Bilder von Sänger Philipp Burger: Burger, der
       fannahe Star, der Shakehands gibt. Der gut gelaunt auf der ersten
       Echo-Verleihung – an der sie als Nominierte noch teilnahmen – gemeinsam mit
       Roberto Blanco, Doro Pesch oder Rapper Papa Bear Fotos und dabei Faxen
       macht. Burger, der Naturliebhaber, der mit seinem Vater Mountainbike fährt.
       Oder aber der inzwischen gereifte Musiker, nachdenklich an der
       Akustikgitarre.
       
       Dazu kommen Kinderfotos und Selfies. Fotos vor idyllischer Alpenlandschaft.
       Nicht nur vom Bandleader, sondern auch von Gitarrist Jonas Notdurfter,
       Bassist Jochen „Zegga“ Gargitter und Schlagzeuger Christian „Föhre“ Fohrer.
       
       In einem Interview im gleichen Band spricht Musikwissenschaftler Thorsten
       Hindrichs von der Uni Mainz sehr richtig von der Inszenierung Frei.Wilds
       als „,einfache und ehrliche Jungs‘, als ,Leute wie du und ich‘, die
       ,ehrliche‘ und ,handgemachte‘ Rockmusik ohne jeden überflüssigen
       Schnickschnack machen und in ihren Texten singen, was sie denken.“ Und
       weiter: „Diese scheinbare Authentizität wird derart konsequent inszeniert,
       dass die realen Personen und die Bühnenfiguren allzu leicht in eins gesetzt
       und zuweilen dann auch miteinander verwechselt werden.“ Das aber genau
       macht Farin mit seinem Buch.
       
       ## Inszenierung funktioniert
       
       Er kann die realen Figuren offenbar nicht von den Bühnenfiguren trennen.
       Die Worte „bodenständig“, „echt“, „ehrlich“ dienen zur Selbstbeschreibung
       der Musiker und zur Fremdbeschreibung der Fans. Die fehlende Distanz zum
       Sujet wird in fast schon komischem Maße deutlich, wenn er Schlagzeuger
       Fohrer neben eigenen Kinderfotos zur inzwischen selbst gegründeten Familie
       zitiert: „,Eine Geburt ist das Schönste auf der Welt!‘, strahlt Föhre.“ Die
       Inszenierung funktioniert.
       
       Gleichzeitig gibt es in diesem Fan-Buch Auslassungen, die bei der
       Ausführlichkeit, mit der Farin sonst zu Werke geht, fragwürdig wirken. Den
       Song „Rache muss sein“ thematisiert er ausführlich, das Video, in dem ein
       „100%“-Tattoo auf dem Hinterkopf eines Skinheads (ein bekannter Code in der
       Nazi-Szene für „100% arisch“) zu sehen ist, erwähnt er nicht.
       
       Man lernt trotzdem viel über Frei.Wild, auch über deren Werthaltung. So
       geben die Band-Mitglieder rechte oder reaktionäre Stereotype wieder.
       Bassist Gargitter sagt etwa im Interview: „Viele Südtiroler sind sich zum
       Beispiel einig darin, dass eine einheimische Familie mit fünf Kindern nicht
       am Lebensminimum leben soll, während eine Familie aus weiß Gott woher
       zugewandert hier ankommt und sofort eine Wohnung sowie Sozialleistungen für
       mindestens drei Jahre gestellt bekommt, auch in den Krankenhäusern eine
       kostenlose Behandlung erhält und sich gleichzeitig die einheimische Familie
       trotz Arbeit und Einzahlung in die Systeme dasselbe vielleicht nicht oder
       nur schwer leisten kann. (…) Ist das eine ‚rechte‘ Haltung? Für mich
       nicht!“.
       
       Farin übernimmt als Autor auf vielen Ebenen das Narrativ der Band. Auch,
       dass Patriotismus und Ausländerfeindlichkeit in Südtirol eben „normaler“
       seien, wird mitunter als Erklärung für das Handeln der Bandmitglieder
       benutzt.
       
       ## Keine Schlussfolgerung
       
       Im Hinblick auf die Mitgliedschaft Burgers in der rechtsextremen Band
       „Kaiserjäger“, schreibt Farin: „Vieles, was in Deutschland als
       ,rechtsextrem‘ bewertet würde, gilt hier [in Südtirol, Anm. d. A.] als
       Mainstream. Xenophobe Äußerungen von Politikern und Zeitungskommentatoren
       erregen hier nicht einmal Widerspruch. So wie Philipp dachten – und denken
       heute noch – viele Junge und Alte in Südtirol (und natürlich nicht nur
       dort). ,Dummerweise‘ blieb es aber nicht beim bloßen Denken…“
       
       Es gibt aber auch Lichtblicke in diesem Buch. Das bereits erwähnte
       Interview mit Musikwissenschaftler Hindrichs gehört dazu, der Exkurs zur
       Südtiroler Geschichte, insbesondere während des Dritten Reichs, ist
       erhellend: Widerstand gegen die eine Form des Faschismus – die Mussolinis –
       bedeutete gleichzeitig oft Zugewandtheit zum Nationalsozialismus. Einzig
       was bleibt als Schlussfolgerung? Dass man mit Südtirol und seiner relativen
       Autonomie, die es heute hat, doch etwas nachsichtiger in Sachen
       Regionalstolz und Erzkonservatismus sein sollte? Stellenweise liest sich
       das so.
       
       Den provokanten Titel der „konservativen Antifaschisten“ wählt Farin im
       Übrigen, weil er in dem Buch ausführlich beschreibt, wie sich Frei.Wild
       heute von allem Extremistischen abgrenzt. Eine fragwürdige Titelwahl,
       allein deshalb, weil die Band Aktionen wie „Frei.Wild gegen Rassismus und
       Extremismus“ ja erst als Reaktion auf die Angriffe aus der Öffentlichkeit
       initiiert hat. Der neuen Inszenierung Frei.Wilds als Band der politischen
       Mitte geht der Autor damit voll auf den Leim.
       
       14 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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