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       # taz.de -- Schweinerei auf Weddinger Kinderfarm: Peggy, Mini und das böse Amt
       
       > Zwei Minipigs haben auf der Weddinger Kinderfarm ein neues Zuhause
       > gefunden. Ihre Besitzerin macht sich trotzdem Sorgen.
       
   IMG Bild: Fröhliches Schweineleben: Jungtiere auf einem Ökobauernhof
       
       Eifrig versenkt das schwarze Schweinchen seinen Rüssel in die Modderpampe,
       während sich sein rosafarbener Kollege die Schwarte an einer Bürste am
       Bretterzaun schrubbt. Fasziniert verfolgt ein Mädchen in eingestaubten
       Reiterhosen das Schauspiel im Schweinegehege. „Witzig“, kommentiert sie.
       Und saust dann weiter, um im Ponystall anzupacken.
       
       Tiere, die Auslauf haben, glückliche Stadtkinder – so muss es sein auf
       einem Kinderbauernhof. „Unsere Neuankömmlinge fühlen sich hier sauwohl“,
       versichert Siegfried Kühbauer, Leiter der Weddinger Kinderfarm. Für die
       Kinder seien die kleinwüchsigen Hausschweine, die Ende Juni eingezogen
       sind, eine echte Attraktion. Denn wo hat man schon die Gelegenheit, neben
       Ponyreiten und Ziegenfüttern zwei echte Schweine an der Leine übers Gelände
       zu führen?
       
       So weit, so niedlich. Hinter den Kulissen aber sind die Schweine zum
       Politikum geworden. Peggys und Minis Gemütsruhe droht einem lange
       schwelenden Streit zwischen dem Bezirksamt Mitte und der Kinderfarm zum
       Opfer zu fallen.
       
       Die Besitzerin der Schweine, die französische Performancekünstlerin
       Anne-Marie Artru, sucht bereits nach einer neuen Bleibe für ihre Lieblinge.
       „Ich fahre bald für zwei Monate nach Frankreich. Und mache mir Sorgen, ob
       die beiden in meiner Abwesenheit in Sicherheit sind“, sagt sie. Das Amt,
       argwöhnt sie, sei „scharf“ auf ihre Schweine. Warum sonst habe man ihr die
       nötige Tiertransportgenehmigung verweigert, um mit Peggy und Mini im
       Kleinbus zu verreisen?
       
       ## Umstrittene Tierliebe
       
       Artru hatte die Jungtiere einem brandenburgischen Zuchtbetrieb abgekauft
       und in ihrem Moabiter Atelier gehalten. Tagsüber führte sie die Tiere an
       der Leine durch die Stadt und verteilte Infomaterial über Massentierhaltung
       an Passanten. „Schweine-KZs“ nennt Artru die Mastbetriebe, sich selbst
       sieht sie als Tierfreundin, die wirkliche Liebe und Zuneigung zu Tieren
       empfinde.
       
       Nachbarn aber störten sich an der beengten Tierhaltung in einem dunklen
       Hinterzimmer des Ateliers und riefen das Veterinäramt. Artru bekam die
       Auflage, die Tiere schnellstes artgerecht unterzubringen. Die Weddinger
       Kinderfarm erklärte sich kurzfristig dazu bereit und baute für die
       Neuankömmlinge ein Gehege mit Stall.
       
       Doch auch dort störte man sich am Gebaren der Tierbesitzerin, die täglich
       kam, um Peggy und Mini auszuführen. Sie habe die Tiere an den Hinterbeinen
       ins Auto gezerrt, berichtet Kühbauer, das Geschrei sei schrecklich gewesen.
       Artru beteuert, zum Wohl der Tiere zu handeln: Sie wolle ihnen einmal die
       Woche eine Landpartie gönnen. Wieder erteilte das Amt eine Auflage: Artru
       darf die Tiere nur noch zu Fuß spazieren führen.
       
       Seitdem herrscht Frieden im Schweinestall. Trotzdem ist der Aufenthalt der
       Gäste wie auch der rund 60 anderen Tiere auf der Farm prekär. Denn die
       Weddinger Kinderfarm, die seit 33 Jahren unweit des Leopoldplatzes
       erfolgreiche Kinder- und Jugendarbeit leistet, ist von der Räumung bedroht.
       
       ## Gestörtes Vertrauensverhältnis
       
       Im Streit über fehlende Verwendungsnachweise hat das Jugendamt Mitte
       wiederholt mit Schließung und Räumung des Geländes gedroht.
       Bezirksstadträtin Sabine Smentek (SPD) sprach von „erheblichen Störungen in
       der Zusammenarbeit mit dem Träger“, die eine weitere Zusammenarbeit nicht
       möglich machten.
       
       Auch innerhalb der Einrichtung gab es Unfrieden, zwei Mitarbeiter wurden
       entlassen, weil sie sich mit der Leitung überworfen hatten. Seit April hat
       der Bezirk alle Zahlungen eingestellt.
       
       Seitdem herrscht Notbetrieb. Nachbarn bringen Futter und Sachspenden
       vorbei, die Kosten für den Unterhalt der Tiere und zwei Mitarbeiter
       bestreitet man aus Spenden und Rücklagen. Der Bezirk will einen
       Betreiberwechsel, eine Ausschreibung läuft bereits. Allerdings gehören die
       Tiere und die Bauten auf dem Gelände dem Verein Kinderfarm e.V. Das heißt:
       Die Schafe, Ziegen, Ponys und auch Peggy und Mini müssten über Nacht eine
       neue Heimat finden.
       
       ## Zu hohe Arztrechnungen
       
       Auslöser des Konflikts sind offene Tierarztrechnungen in Höhe von rund
       8.000 Euro. Ein Pony musste wegen einer Kolik, eine Jungziege aufgrund
       einer komplizierten Beinverletzung in die Klinik. Der Verein konnte die
       Mittel für die Rechnungen nicht aufbringen, doch genau das verlangt der
       Bezirk.
       
       Farmleiter Kühbauer sagt, er denke nicht ans Aufgeben. Er hat seinerseits
       einen Anwalt eingeschaltet, um auf Einhaltung des Berliner
       Jugendhilfegesetzes zu klagen. Dieses verpflichtet die Bezirke, 10 Prozent
       ihres Haushaltsetats in die Finanzierung von Jugendarbeit zu stecken. Doch
       kein Bezirk hält sich daran, in Mitte fließen nur rund 4 Prozent in die
       Projekte vor Ort. Laut einer Mitarbeiterin ist das streitbare Engagement
       ihres Chefs der Grund, warum der Bezirk ihn loswerden will. Für Anfang
       September ist eine Güteverhandlung über die Zukunft der Kinderfarm
       angesetzt.
       
       12 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nina Apin
       
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