URI: 
       # taz.de -- Ende der Wohnungsgesellschaft GSW: Am Schluss bleiben Fassaden
       
       > Die GSW wird abgewickelt. Ihre Privatisierung ist ein Lehrstück über
       > falsche Versprechungen privater Investoren und das Versagen der Politik.
       
   IMG Bild: Hier sitzt es sich ganz gut – wenn der Eigentümer nett ist.
       
       Ulrike Thomsen sagt einen Satz, der ungewöhnlich ist für eine Angestellte,
       die gerade die Kündigung erhalten hat: „Ich hatte am Ende viel mehr Angst,
       dass ich ein neues Angebot bekomme.“ Für die langjährige Mitarbeiterin des
       Wohnungsunternehmens GSW hätte das bedeutet, dass sie für die Konzertmutter
       arbeiten muss, die Deutsche Wohnen AG – und keinen Ausstieg samt Abfindung.
       
       Ulrike Thomsen wollte auch nicht für eine Firma arbeiten, die, wie sie
       sagt, „meine GSW zerlegt hat“. Viele Kollegen würden genauso denken. Der
       Arbeitsdruck sei immer stärker geworden, die Betriebsatmosphäre schlecht,
       berichtet Thomsen, die in Wirklichkeit anders heißt, ihren Namen aber nicht
       in der Zeitung lesen will. 340 Angestellte hatte die GSW noch vor zwei
       Jahren, nur knapp 180 werden von der Deutschen Wohnen letztlich übernommen;
       der Rest ist in mehreren Wellen entlassen worden oder freiwillig gegangen.
       Ulrike Thomsen gehört derzeit zur letzten Welle.
       
       Ende Juli, in wenigen Tagen also, ist die GSW praktisch Geschichte. Der
       Vorstand hat angekündigt, „den Geschäftsbetrieb zu schließen“, wie es in
       einer internen Mitteilung heißt. Das Unternehmen wird nur noch eine
       formalrechtliche Hülle sein, die allein deswegen nicht aufgelöst wird, weil
       die Immobilien in ihren Büchern stehen und die Konzernmutter sonst viel
       Grunderwerbssteuer zahlen müsste.
       
       Damit geht eine Entwicklung zu Ende, die mit der umstrittenen
       Privatisierung der einst landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft im Jahr 2004
       begann und schließlich 2013 in den Verkauf an die Deutsche Wohnen mündete.
       Das allmähliche Verschwinden der GSW ist ein Lehrstück über falsche
       Versprechungen privater Investoren, vermeintliche Sachzwänge und darüber,
       dass die Politik nichts mehr zu melden ist, sobald eine Privatisierung in
       dieser Größenordnung beschlossen ist. Die GSW ist zudem eine große wunde
       Stelle der damaligen Koalitionspartner PDS (jetzt Linkspartei) und SPD.
       Heute gibt es keinen Politiker beider Parteien, der den Verkauf nicht
       reumütig als Fehler bezeichnet.
       
       ## Ein Gigant
       
       Die GSW war die größte Westberliner Wohnungsbaugesellschaft, ein Gigant mit
       zeitweise 70.000 Wohnungen und 1.000 Beschäftigten – und hochverschuldet.
       In den 90er Jahren genehmigte sich die Gesellschaft in der heutigen
       Rudi-Dutschke-Straße ein überdimensioniertes Hochhaus für 200 Millionen
       Euro, das die Verschuldung weiter hochtrieb.
       
       Der damalige rot-rote Senat stand wegen seines hohen Haushaltsdefizits
       unter Druck; Privatisierung galt vielen noch als Allheilmittel. Alternative
       Vorschläge, wonach man moderat Personal einsparen und sich von einzelnen
       Beständen der GSW trennen sollte, die wohnungsbaupolitisch nicht nötig
       sind, gingen in der Debatte unter.
       
       Die schließlich erzielten 401 Millionen Euro Verkaufspreis wurden von allen
       Seiten als gutes Geschäft für das Land angesehen. Allerdings holten sich
       die Käufer, ein internationales Finanzinvestoren-Konsortium, ihr Geld bald
       wieder zurück, indem sie sich im Jahr 2009 eine Ausschüttung von 447
       Millionen Euro genehmigten – ein durchaus übliches Vorgehen von
       Finanzinvestoren. Allein 405 Millionen Euro davon waren laut
       Geschäftsbericht Ausschüttungen aus sogenannten Gewinnvorträgen und eine
       Vorabausschüttung. Einfach ausgedrückt: Die Investoren haben Gewinne, die
       eigentlich für schlechtere Zeiten zurückgelegt wurden, und noch gar nicht
       bilanzierte Gewinne kassiert. Dadurch wurde die Finanzbasis des
       Unternehmens empfindlich geschwächt: Die GSW verlor fast zwei Drittel ihrer
       liquiden Mittel und über ein Viertel ihres Eigenkapitals.
       
       Beim Verkauf warb der Senat noch mit einer weiteren verlockenden Summe: 450
       Millionen Euro hätten die Käufer versprochen zu investieren. Damals fragte
       niemand nach, ob es diese Zahl auch schriftlich gebe und was sie bedeuten
       soll. Denn Investitionen können auch Zukäufe sein – diese nützen aber den
       Mietern nichts und belasten ein Unternehmen finanziell. Im
       Privatisierungsvertrag, den man heute leicht im Internet findet, steht die
       Zahl nicht, sondern nur in der rechtlich nicht bindenden und bis heute
       nicht öffentlichen Anlage.
       
       ## Viele Behauptungen
       
       Als es im Jahr 2010 dann um den Börsengang des Unternehmens ging,
       behauptete die GSW gegenüber der Senatsfinanzverwaltung, man habe innerhalb
       von fünf Jahren 200 Millionen Euro in Zukäufe und 250 Millionen Euro in die
       eigenen Bestände investiert. Dies findet sich in einer Drucksache des
       Abgeordnetenhauses. Wenn man aber die Instandhaltung abzieht, zu der jeder
       Wohnungseigentümer ohnehin verpflichtet ist, bleiben für die Jahre 2009 und
       2010 – weitere Zahlen sind nicht verfügbar – laut Geschäftsbericht
       bescheidene 29 Millionen Euro für Modernisierungen übrig. Hochgerechnet auf
       die fünf Jahre ist es unwahrscheinlich, dass die GSW die behaupteten 250
       Millionen investiert hat, selbst wenn man die Instandhaltung hinzurechnet.
       
       Thilo Sarrazin hat als damaliger Berliner Finanzsenator den Vertrag mit
       ausgehandelt. Er erklärt jetzt gegenüber der taz: „Die Wohnungsbestände
       sind seitdem im privaten Eigentum. Instandhaltung und Sanierung erfolgen
       nach Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit.“ Anders gesagt: Die Zahl war
       wohl nie mehr als eine Absichtserklärung für die Öffentlichkeit gewesen –
       ein bloßes Mittel, um politische Widerstände zu brechen.
       
       Katrin Lompscher war Sarrazins Senatskollegin in der rot-roten Regierung
       und ist heute für die Linksfraktion stadtentwicklungspolitische Sprecherin.
       Ihre Bilanz ist ernüchternd: „Das faktische Ende der GSW ist ein absoluter
       Verlust. Das Unternehmen war im Westteil der Stadt gleichmäßig verteilt und
       hatte hochinteressante und gemischte Bestände. Bei der Privatisierung 2004
       ging es um die Wahl zwischen Pest und Cholera. Es wäre gut gewesen, nicht
       in der Situation gewesen zu sein.“ Zum Privatisierungsvertrag sagt sie:
       „Alle hatten damals die Illusion, dass man mit dem Vertrag die Rechte der
       Mieterinnen und Mieter und des Landes langfristig absichern könne.“
       
       Ihren letzten Hebel gab die Politik jedoch im Jahr 2010 aus der Hand. Die
       Investoren wollten die GSW komplett an die Börse bringen und zu Geld
       machen. Dafür brauchten sie – vertraglich zugesichert – zu jenem Zeitpunkt
       noch die Zustimmung des Abgeordnetenhauses. SPD, Linkspartei und FDP
       stimmten dafür, Grüne und CDU dagegen.
       
       Lompscher erklärt die Zustimmung heute damit, dass man mit den Eigentümern
       unzufrieden war und durch einen Börsengang auf Besserung hoffte – weg von
       Finanzinvestoren, hin zu Bestandserhaltern. Und der damalige
       GSW-Geschäftsführer Thomas Zinnöcker sagte: „Ein möglicher Börsengang
       bietet die Chance, eine starke, eigenständige Berliner Gesellschaft zu
       schaffen“ – eine Chance wohlgemerkt. Auf dem aggressiven Immobilienmarkt
       kann es auch schnell anders kommen. Und so kam es auch: Im Herbst 2013
       wurde die GSW von der Deutschen Wohnen über die Börse übernommen.
       
       ## Möglichst gewinnbringend
       
       Der Konzern aus Frankfurt/Main gilt als professionelles
       Immobilienunternehmen, das seine Bestände nicht herunterwohnen lässt, ist
       aber natürlich rein renditeorientiert. Die Hauptaktionäre sind der
       US-Vermögensverwalter Blackrock, die kanadische Versicherung Sun Life und
       die Norwegische Zentralbank, die wiederum die Öl-Milliarden des nationalen
       Pensionsfonds möglichst gewinnbringend anlegen soll.
       
       Bei der Übernahme klang die Deutsche Wohnen in einer Erklärung noch
       freundlich: Man plane die GSW als Tochtergesellschaft, außerdem stelle „die
       engagierte Belegschaft die Grundlage für den Erfolg beider Unternehmen“
       dar, man wolle „so viele Arbeitsplätze wie möglich erhalten“. Die Wortwahl
       ließ auf eine GSW als eigenständige Tochtergesellschaft schließen. Davon
       kann heute keine Rede mehr sein. Allerdings wurde auch damals schon
       Klartext gesprochen: Das Zusammengehen verspreche höhere Gewinne;
       „Mietpotenziale“ – sprich Mieterhöhungen – ließen sich „besser
       realisieren“.
       
       ## Müller zeigt sich erleichtert
       
       Der damalige Stadtentwicklungssenator und heutige Regierende Bürgermeister
       Michael Müller (SPD) zeigte sich noch im Sommer 2013 in seiner Antwort auf
       eine mündliche Anfrage im Abgeordnetenhaus nahezu erleichtert: „Wir haben
       das gemeinsam im Ausschuss erlebt, dass in den zurückliegenden Jahren die
       Zusammenarbeit mit der GSW nicht unproblematisch war.“ Müller selbst hatte,
       als früherer SPD-Fraktionsvorsitzender, mit dafür gesorgt, dass es so
       gekommen war – indem er den Verkauf der GSW an Finanzinvestoren in seiner
       Fraktion durchsetzte.
       
       Manuela Damianakis, Sprecherin der Deutschen Wohnen, sagt heute zum
       faktischen Verschwinden der GSW: „Die Deutsche Wohnen ist ein voll
       integrierter Konzern. Es handelt sich nicht um ein gleichberechtigtes
       Nebeneinander zweier Unternehmen. Wir haben die GSW übernommen.“
       
       Doch Fragen bleiben. Unklar ist zum Beispiel, welche Teile des
       Privatisierungsvertrags noch gelten. Fest steht, dass der Senat keinen Sitz
       mehr im Aufsichtsrat hat; ebenso ist der sogenannte
       Implementierungsausschuss – ein gemeinsames Kontrollgremium von Senat und
       Unternehmen – aufgelöst. Doch weder der aktuelle rot-schwarze Senat noch
       das Unternehmen scheinen wirklich wissen zu wollen, wie es um andere Punkte
       bestellt ist: etwa die im Vertrag verankerten Mieterschutzrechte, darunter
       das Verbot von Luxussanierungen und das Vorkaufsrecht der Mieter.
       
       Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung will sich dazu nicht äußern. Und
       Thilo Sarrazin sagt zum Ende der GSW nüchtern: „Die Gestaltung des die
       Wohnungsbestände umgebenden Firmenmantels ist elementare Aufgabe des
       Eigentümers und folgt dessen wirtschaftlichen Interessen. Ob und welche
       Fehler er dabei macht, weiß ich nicht. Das ist auch seine Angelegenheit.“
       
       Immerhin hat die Deutsche Wohnen seit Jahresbeginn ihren steuerlichen Sitz
       in Berlin, die Stadt profitiert also von Steuereinnahmen. Unternehmenssitz
       ist bis heute Frankfurt, obwohl der Umzug bei der Übernahme der GSW
       angekündigt wurde.
       
       Bleiben wird den Berlinern vorerst noch das GSW-Logo an vielen Hochhäusern.
       Man habe derzeit anderes zu tun, als sie abzuhängen, heißt es. Das markante
       GSW-Hochhaus in der Dutschkestraße, direkt neben der taz, ist schon seit
       dem Frühjahr leergezogen; verkauft wurde es bereits vor zehn Jahren.
       
       29 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gunnar Hinck
       
       ## TAGS
       
   DIR Sozialer Wohnungsbau
   DIR Berliner Senat
   DIR Privatisierung
   DIR Ampel-Koalition
   DIR Wohnungsbau
   DIR Kolumne Der rote Faden
   DIR Wohnungsbauprogramm
   DIR Ampel-Koalition
   DIR Mieten
   DIR Wohnraummangel
   DIR Wohnungsbauprogramm
   DIR Mieten
   DIR Mieten
   DIR Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
   DIR Wohnungsmarkt
   DIR Deutsche Wohnen
   DIR Öko
   DIR Andreas Geisel
   DIR Mieten
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Mietenpolitik: Die Mietpreisbremse ist wenig wert bis nutzlos
       
       Zu hohe Hürden und zu viele Ausnahmen: Die Mietenbremse funktioniert nicht.
       Die Bundesregierung weiß das alles und tut nichts dagegen.
       
   DIR Desaster in der Wohnungsbaupolitik: Umbau jetzt!
       
       Gegen die Wohnungskrise anbauen? Das funktioniert nicht mehr. Besser wäre
       eine radikale Abkehr von der bisherigen Politik.
       
   DIR Soziale Ungleichheit: Wie wär's mal mit der Klassenfrage?
       
       Linke streiten lieber über Kulturkampf-Themen als über soziale und
       wirtschaftliche Konflikte. Das geschieht oft auch aus reiner
       Bequemlichkeit.
       
   DIR Wohnungsbautag in Berlin: Wo bleibt die Gemeinnützigkeit?
       
       Weniger Vorschriften und Bauen im Bestand sind richtige Maßnahmen. Aber um
       die Wohnungskrise nachhaltig zu lösen, braucht es einen Systemwechsel.
       
   DIR Wohnungskrisengipfel im Kanzleramt: Bogen um das Notwendige
       
       Die Wohnungsbaupläne der Regierung enthalten neben ein paar guten Punkten
       auch viel Absurdes. Die hohen Mieten spielen kaum eine Rolle.
       
   DIR Papier der SPD-Bundestagsfraktion: Luftnummer Mietenstopp
       
       Die SPD will die Mieten befristet einfrieren. Doch das bleibt Utopie mit
       dieser Koalition – genauso wie mehr bezahlbarer Wohnraum.
       
   DIR Ministerin Geywitz in der Wohnungskrise: Friedrich Engels lesen!
       
       Die Bauministerin fällt durch Vorschläge auf, die Hilflosigkeit zeigen.
       Besser wäre es, sie würde ein Versprechen des Koalitionsvertrages einlösen.
       
   DIR Verfehltes Wohnungsbauziel der Ampel: Ein haltloses Versprechen
       
       Wenig überraschend wird die Ampel ihre Wohnungsbauziele verfehlen. Besser
       als unrealistische Zahlen wäre der gezielte Bau von günstigem Wohnraum.
       
   DIR Wohnraumkrise in Deutschland: Umverteilung von unten nach oben
       
       Das geforderte Sondervermögen für Wohnungsbau ist unrealistisch. Es braucht
       eine neue Gemeinnützigkeit beim Wohnungsbau.
       
   DIR Konzernfusion auf dem Wohnungsmarkt: Wohnen bleibt Renditeobjekt
       
       Die umstrittene Deutsche Wohnen geht im Immobilienkonzern Vonovia auf.
       Trotz einiger Kompromisse bleibt die Hauptmisere bestehen.
       
   DIR Mietendeckel gekippt: Sie stehen auf der anderen Seite
       
       Nach dem Scheitern des Mietendeckels ist offensichtlich: Die Wohnungsfrage
       wird Wahlkampfthema. Es muss jedem klar sein, wofür FDP und Union stehen.
       
   DIR Reform der Grunderwerbsteuer: Gute Nachricht für Immobilienhaie
       
       CDU und CSU haben verhindert, dass Konzerne künftig bei Wohnungskäufen
       Grunderwerbsteuer zahlen müssen. Dafür werden Familien zur Kasse gebeten.
       
   DIR Privatisierung auf dem Wohnungsmarkt: Belohnung in Millionenhöhe
       
       Die Deutsche Wohnen erhöht ihre Vorstandsbezüge um 160 Prozent. 2,95
       Millionen Euro erhielt Andreas Segal vom geschluckten Konkurrenten GSW.
       
   DIR Sachbuch über Privatisierung: Geiz, Gier und Zynismus
       
       James Meek zeichnet in „Private Island“ die Geschichte der Privatisierung
       Großbritanniens nach. Das Thema ist von brennender Aktualität.
       
   DIR Nachhaltiges Wohnhausmodell: Ein teures Heim für Aussteiger
       
       In Süddeutschland entsteht das erste Ökohaus aus Müll. Hinter dem Projekt
       steckt eine findige Marketingidee.
       
   DIR Immer mehr Berliner: Alles wird enger
       
       Der Run auf die Stadt nimmt zu, 400.000 Neuberliner erwartet der Senat bis
       2030 und will dichter bauen.
       
   DIR Stadtentwicklungssenator über Berlin: „Ein Volksbegehren ist keine Drohung“
       
       Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel über die Auseinandersetzung mit
       Mieteraktivisten, die Probleme einer wachsenden Stadt und fehlende Radwege.
       
   DIR Fehlende Mietwohnungen in Berlin: Senat gießt Quote in Beton
       
       Bei größeren Neubauprojekten müsssen künftig ein Viertel aller Wohnungen
       preiswerte Mietwohnungen sein. Diese Bindung gilt aber nur 20 Jahre lang.