URI: 
       # taz.de -- Dopingdiskussionen im Radsport: Mister 416 Watt
       
       > Die Leistungen von Spitzenreiter Chris Froome sorgen für Diskussion.
       > Befeuert werden sie durch gehackte oder geleakte Leistungsdaten.
       
   IMG Bild: Ernsthafte Verfolger hat Chris Froome nicht.
       
       PAU taz | Chris Froome hat es allen mal wieder gezeigt. Bei der zehnten
       Etappe der Tour de France ließ er seine Konkurrenz stehen, als seien sie
       Bleifiguren auf Rädern.
       
       Seine Performance löste Erstaunen aus. „Wir haben uns schon gewundert, als
       die Nachrichten über das Radio durchkamen, wer da alles abreißen lassen
       musste“, erzählte am Tag danach in Pau Lotto-Jumbo-Profi Paul Martens. „Das
       nenne ich Unterschiede“, staunte auch Sean Yates, einst Sportlicher Leiter
       bei Froome-Rennstall Sky und aktuell beim Contador-Rennstall Tinkoff unter
       Vertrag.
       
       Christophe Péraud, Zweiter der Tour 2014 wurde von der Tageszeitung
       l’Equipe mit dem Attribut „stratosphärisch“ zitiert, mit dem er die
       Leistung Froomes bewertete. Frankreichs Sportblatt ließ sich zu dem vor
       Sympathie nicht gerade überbordenden Vergleich hinreißen, Froome und Sky
       hätten die Tour so sicher im Griff wie die Familie Kim Nordkorea.
       
       Das passt. Denn auch die Informationspolitik von Team Sky gleicht zuweilen
       der der retromarxistischen Republik. Leistungsdaten seiner Fahrer hütet der
       Rennstall wie Nordkorea Informationen über Hungersnöte,
       Gefangenenpopulation und Atomwaffenprogramm.
       
       ## Sky gibt die Daten nicht raus
       
       Froomes Performance an der Skistation Pierre-Saint-Martin erinnerte den
       alten Fahrensmann Yates an die Superperformance von Tyler Hamilton im Jahre
       2003. Der erklomm bei seinem legendären, und wie man später wusste, mit Epo
       beschleunigten Ausreißversuch nicht den kompletten Gipfel, sondern
       passierte den Felsen auf dem Col du Soudet, einen Kilometer vor dem
       diesjährigen Ziel. „Meinem Eindruck nach war Froome jetzt stärker als
       Hamilton damals. Ich bin gespannt auf die Zahlen“, meinte Yates zur taz.
       
       Leider wird der gute Sean Yates da wohl auf den Sankt-Nimmerleins-Tag
       warten. Denn Daten gibt Sky eben nicht heraus. Als „Pseudowissenschaft“
       bezeichnet der ansonsten sehr datengetriebene Sky-Boss Dave Brailsford die
       Auswertung des Materials durch weniger erlauchte Personen als die von Sky
       bezahlten.
       
       So war die Aufregung denn groß, als Anfang dieser Woche ein Video
       auftauchte, das zu den Fernsehaufnahmen der Etappe hoch zum Mont Ventoux
       der Tour 2013 die Leistungsdaten Froomes mitlaufen ließ. Sie lagen über
       weite Strecken im 300-Watt-Bereich, schossen bei Beschleunigungen Froomes
       auch hoch über die 400-Watt-Grenze und übertrafen, als er sich etwa sieben
       Kilometer vor dem Ziel vom späteren Gesamtzweiten Nairo Quintana löste,
       sogar die 600-Watt-Marke.
       
       Sky bestritt bis jetzt die Echtheit der Daten nicht. Watt-Berechner und
       Sportwissenschaftler Antoine Vayer tat per Twitter kund, dass sie ganz nahe
       an den von ihm errechneten Werten lagen. 416 Watt kalkulierte er vor zwei
       Jahren für Froome am Mont Ventoux. Nach seiner Terminologie ist dies
       „verdächtig“, weil eben über der 410-Watt-Marke, die laut Vayer als
       „Beunruhigungsgrenze“ für Doping gilt.
       
       ## „Wir freuen uns schon auf den Prozess“
       
       Sky schaltete Anwälte ein, um das Video aus dem Netz zu nehmen. Der
       Videomacher mit dem Twitter-Nickname [1][@oufeh] stoppte das Video auch,
       die Administratoren von [2][www.cyclisme-dopage.com] banden es aber in
       ihren Auftritt ein. Und [3][@festinaboy] Antoine Vayer, Kolumnist von Le
       Monde, kündigte an, dass auch sein Arbeitgeber erwäge, das Video zu zeigen.
       „Wir freuen uns schon auf den Prozess“, meinte er. Vayer gab auch zu, dass
       die Daten über ihn an @oufeh gegangen seien.
       
       Zur Quelle meinte er: „Lisbeth Salander“, die schräge Hackerin aus der
       „Millennium“-Thrillertrilogie. Der australische Cyber-Sicherheitsexperte
       Shane Miller, der von cyclingtips befragt wurde, glaubt aber gar nicht an
       einen Hackerangriff im Stile Salanders, sondern eher an einen Leak. „Beim
       Hacking würden viel mehr Daten anfallen. Hier handelt es sich aber nur um
       eine einzige Datei mit 2.900 Datensätzen“, meinte er. Ob Hack oder Leak,
       bleibt also unklar. Froomes Ventoux-Performance ist nun aber wenigstens in
       Zahlen bekannt. Die sind beeindruckend, liegen aber eben auch nur knapp
       über der Verdachtsgrenze.
       
       Für die aktuelle Tour sagt dies gar nichts aus. Am Pierre-Saint-Martin
       konnte Froome zuerst die imposante Vorarbeit von Team Movistar nutzen und
       später die Tempoarbeit seiner Helfer Richie Porte und Geraint Thomas.
       
       Einen Quervergleich bot Lotto-Jumbo-Profi Martens an. „Wir haben uns die
       Daten von unserem Fahrer Robert Gesink angesehen. Er war als Etappenvierter
       ja gut vorn mit dabei. Sie lagen im normalen Bereich“, erzählte Martens der
       taz. Dass Froome besser war als sein Kapitän Gesink, überrascht den
       deutschen Profi nicht. „Froome ist einer der besten hier, vielleicht der
       Beste“, meint er zu Recht. „Und dass er solchen Abstand hatte, spricht
       angesichts der Daten von Gesink mehr dafür, wie schlecht die anderen an
       diesem Tag waren“, konstatiert er.
       
       Martens immerhin hält die Watt-Rechnerei übrigens durchaus für relevant.
       Nun muss nur Team Sky seine Nordkorea-Position verlassen.
       
       15 Jul 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://twitter.com/oufeh
   DIR [2] http://www.cyclisme-dopage.com/
   DIR [3] http://twitter.com/festinaboy
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Mustroph
       
       ## TAGS
       
   DIR Radsport
   DIR Tour de France
   DIR Doping im Spitzensport
   DIR Doping
   DIR Christopher Froome
   DIR Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
   DIR Tour de France
   DIR Vuelta
   DIR Computerspiel
   DIR Tour de France
   DIR Tour de France
   DIR Christopher Froome
   DIR Doping
   DIR Tour de France
   DIR Tour de France
   DIR Tour de France
   DIR Doping
   DIR Bericht
   DIR ARD
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Doping im Radsport: Grenzwertiges Erfolgsmodell
       
       Der britische Radsportverband darf bei Dopingverdacht selbst ermitteln –
       wie praktisch. Der Welt-Anti-Doping-Agentur gefällt das gar nicht.
       
   DIR Tour de France-Führender Froome: Vom Rechner zum Surfer
       
       Team Sky will sein dröges Datenimage loswerden und erlaubt dem
       Tour-Führenden, Favoriten und Frontmann Chris Froome schnelle Abwege.
       
   DIR Fremdverschuldete Stürze im Radsport: Vom Auto gerammt, Rennen vorbei
       
       Der Italiener Aru gewinnt die Spanien-Rundfahrt. Diskutiert aber wird über
       Stürze, die von Begleitfahrzeugen verursacht werden.
       
   DIR Doping-Skandal in der Gamer-Szene: Die Pille für Zocker
       
       Der Profi-Zocker „Semphis“ hat in einem Interview zugegeben, dass in seinem
       Team gedopt wurde. Nun sind in Europa Kontrollen geplant.
       
   DIR Tour de France: Verkaufen auf Rädern
       
       Die Frankreich-Rundfahrt ist mehr als Sport. In den drei Wochen wird ein
       grandioses kulturelles, soziales und kommerzielles Event inszeniert.
       
   DIR Nairo Quintana bei der Tour de France: Der Verfolger
       
       Der Kolumbianer Nairo Quintana ist dem Briten Chris Froome auf den Fersen.
       Kann er ihn in den Bergen noch schlagen?
       
   DIR Attacken gegen Radsportteam Sky: Urin für ihn
       
       Ein Faustschlag für Rad-Profi Porte, ein Pipi-Anschlag auf Kapitän Froome.
       Auf der Tour de France regt sich Unmut, vor allem gegen Team Sky.
       
   DIR Daily Dope (697): „Ich bin aus der BRD ausgetreten“
       
       Warum auch eine dauerhafte Dopingopferrente die ehemalige DDR-Ruderin
       Cornelia Reichhelm nicht zur Ruhe kommen lässt.
       
   DIR Tour de France 2015: Klettern für den „Fortschritt“
       
       Der Eritreer Daniel Teklehaimanot führt als erster Afrikaner die
       Bergwertung der Tour de France an. In seiner Heimat hat Radsport Tradition.
       
   DIR Tour de France: Mit Leihrad und langem Umweg
       
       Mit Tony Martin und André Greipel bestimmen die Deutschen in den ersten
       Tagen das Renngeschehen. Für beide ein ungewohntes Gefühl.
       
   DIR Massensturz bei der Tour de France: Crashituri te salutant
       
       Der Massensturz der Tour de France ist ein guter Anlass, als Zuschauer wie
       als Chronist, die eigene Lust am Spektakel des Leidens zu hinterfragen.
       
   DIR Kolumne Press-Schlag: Aufruf zur verdeckten Manipulation
       
       Sportler begehren gegen das Antidopinggesetz auf. Richtig so, denn zur
       Dopingbekämpfung taugt es wenig. Ihre Argumente sind allerdings dürftig.
       
   DIR Radsportverband legt Doping-Beichte ab: Mehr war nicht zu erwarten
       
       Der Weltverband UCI hat einen Bericht über Doping im Radsport
       veröffentlicht. Prangert ein paar Fehler an – und entlastet Lance
       Armstrong.
       
   DIR Radsport in Deutschland: Renaissance der Berufsradler
       
       Nach dem Neustart wollen nun alle bei der Tour de France dabei sein: zwei
       Profirennställe, das Fernsehen und die deutschen Städte.