URI: 
       # taz.de -- HSV und Flüchtlinge in Hamburg: Nicht auf meinem Parkplatz
       
       > In Hamburg wird über eine neue Erstaufnahmestelle am HSV-Stadion
       > diskutiert. Doch der Fußballverein lehnt das ab.
       
   IMG Bild: Die Sozialbehörde ist inzwischen so weit, dass sie am Stadtrand Flüchtlingslager für bis zu 3000 Menschen plant
       
       HAMBURG dpa | Es kommen noch mehr, viel mehr. Und sie werden bleiben. Da
       macht sich Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele nichts vor. Sein Problem
       ist nur: Wo soll er all die Frauen, Männer und Kinder unterbringen? Wohin
       mit all den Menschen, die sich wegen der Bombardements in Syrien oder wegen
       des IS-Terrors im Irak auf den Weg gemacht haben und es nach teils
       lebensgefährlicher Flucht bis nach Hamburg geschafft haben?
       
       Freie Wohnungen gibt es in der Hansestadt schon lange nicht mehr. Alles
       Mögliche hat der SPD-Politiker deshalb schon ausprobiert: Kasernen, ein
       Wohnschiff, Hotels. Geholfen hat es wenig. Längst sind Innen- und
       Sozialbehörde auf Wohncontainer und Zelte umgestiegen – und selbst dabei
       geraten sie an ihre Grenzen. So gab es am Wochenende Wirbel um eine
       geplante Erweiterung der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge
       in der Nähe des Hamburger Volksparkstadions.
       
       Der Hamburger Sportverein (HSV) wehrte sich gegen Vorwürfe, er lehne eine
       solche Erweiterung ab. Das Hamburger Abendblatt hatte berichtet, der
       Fußball-Bundesligist habe die Unterbringung zusätzlicher Flüchtlinge auf
       einem Stadionparkplatz untersagt. Der HSV betonte dagegen, es gehe nicht um
       die Frage, „ob weitere Flächen zur Verfügung gestellt werden, sondern wo“.
       
       Auf seiner Internetseite erklärte der HSV, er sei derzeit in engem
       Austausch mit der Stadt, um die Ausweitung der Flüchtlingsunterkünfte in
       und am Volkspark zu prüfen. In der Stellungnahme zitiert der Bundesligist
       Hamburgs Innen- und Sportsenator Michael Neumann (SPD) mit den Worten: „Der
       HSV hat sich zuletzt und auch in dieser Frage absolut kooperativ verhalten.
       Die zu klärende Frage ist lediglich, wie wir die Ausweitung der Unterkünfte
       bestmöglich mit dem Spielbetrieb des HSV in Einklang bringen können. Wir
       sind hierzu in einem positiven und konstruktiven Austausch.“
       
       ## Entlastung der Stadtstaaten
       
       Auch wenn der HSV nur seinen Spielbetrieb gewährleistet sehen will, wirft
       das auch ein Licht auf die Lage in der Hansestadt. Im ersten Halbjahr haben
       sich in Hamburg mehr als 12.500 Flüchtlinge in der Zentralen Erstaufnahme
       gemeldet und einen Asylantrag gestellt. Das sind mehr als im gesamten Jahr
       2014.
       
       Sozial- und Innenbehörde sind inzwischen sogar schon so weit, dass sie in
       ihrer Not auf der grünen Wiese am Stadtrand Flüchtlingslager für bis zu
       3000 Menschen planen.
       
       Schon vor einem Jahr hat Scheele deshalb vorgeschlagen, sich über die
       Verteilung von Flüchtlingen in Deutschland neu Gedanken zu machen. Der
       Königsteiner Schlüssel – er bestimmt nach Einwohnerzahl und
       Steueraufkommen, wie viele Flüchtlinge in den einzelnen Bundesländern
       untergebracht werden müssen – sei zumindest für Stadtstaaten mit wenig
       Platz und angespanntem Wohnungsmarkt kaum noch zu erfüllen.
       
       Seine Idee: Wenigstens auf freiwilliger Basis sollte es doch möglich sein,
       Flüchtlinge vermehrt dort unterzubringen, wo viele Wohnungen leer stehen
       oder gar abgerissen werden – etwa in Teilen des Ruhrgebiets oder der neuen
       Länder. „Wir finden in Hamburg keine Wohnungen, kaufen einen Container nach
       dem anderen, und woanders wird Wohnraum vernichtet. Das ist verrückt“, sagt
       Scheele.
       
       ## Flüchtlinge stabilisieren die Infratruktur
       
       Hamburg würde entsprechend dem Sozialgesetzbuch auch dafür bezahlen, sagt
       er. Seiner Meinung nach hätten aufnehmende Länder auch Vorteile davon,
       Hamburgs Flüchtlinge zu übernehmen. Flüchtlingsfamilien könnten
       stabilisierend auf die Infrastruktur in bevölkerungsarmen Gegenden wirken,
       etwa wenn wegen der zusätzlichen Kinder Schulen und Kitas doch nicht
       geschlossen werden müssten. Oder wenn sich wegen der höheren
       Bevölkerungszahl doch noch ein Arzt findet, der in dem Ort eine Praxis
       unterhalten will.
       
       Auch wenn Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)
       als erster Regierungschef eines Flächenlandes inzwischen ähnliche
       Überlegungen anstellt – die Begeisterung anderer Länder hält sich ob
       Scheeles Ansinnen bislang in Grenzen. Das hat auch schon Hamburgs
       CDU-Oppositionschef André Trepoll festgestellt. So hätten ihm CDU-Kollegen
       aus dem Osten zu verstehen gegeben, dass die Aufnahmekapazitäten in ihren
       Ländern begrenzt seien – „obwohl ganz Thüringen so viele Flüchtlinge
       aufgenommen hat wie Köln. Das muss man sich mal vorstellen“.
       
       Hamburgs direkte Nachbarn Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern
       argumentieren ähnlich. Aus Kiel und Schwerin heißt es im Klartext: Wir
       haben selbst genug Probleme und zudem ebenfalls große Mühe, Unterkünfte für
       Flüchtlinge zu finden.
       
       Offiziell sagt Schleswig-Holsteins SPD-Innenminister Stefan Studt: „Die
       bundesweite Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer nach dem
       sogenannten Königsteiner Schlüssel hat sich bewährt.“ Und sein
       CDU-Innenministerkollege aus Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier,
       betont: „Bei der Verteilung von Asylbewerbern ist der Schlüssel für die
       Länder eine verlässliche und vor allem berechenbare Größe.“
       
       ## „Die meisten werden bleiben“
       
       Folgerichtig stellt Studt fest: „Es ist derzeit nicht absehbar, dass die
       schon bestehenden, aber auch die zeitnah zu errichtenden
       Erstaufnahmeeinrichtungen über freie Kapazitäten zur Aufnahme von
       Flüchtlingen aus anderen Bundesländern verfügen werden.“
       
       Dabei geht es längst nicht mehr nur um die Erstaufnahme. Der
       Flüchtlingsstrom werde in absehbarer Zeit kaum abreißen, sind sich die
       Experten sicher. Mehr noch: Anders als nach der Balkankrise in den 1990er
       Jahren, als die meisten Flüchtlinge wieder in die Heimat zurückgingen,
       „müssen wir jedoch davon ausgehen, dass die meisten bleiben werden“, mahnt
       Scheele.
       
       Also Flüchtlingsdörfer aus Containern auf Jahrzehnte hinaus? Der Senator
       will nicht immer nur über Belastungen durch die Flüchtlinge reden. „Wir
       müssen herausfinden, was die Flüchtlinge für Qualifikationen haben und wie
       man sie in Arbeit bringen kann“, sagt Scheele, der im Herbst in den
       Vorstand der Bundesagentur für Arbeit wechselt. „Außerdem müssen alle
       Kinder zur Schule gehen und eine Ausbildung machen. Parallel dazu muss das
       Wohnungsbauprogramm noch einmal ausgeweitet werden.“ Angesichts der
       demografischen Entwicklung könne man dem Thema so durchaus auch eine
       positive Seite abgewinnen.
       
       19 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Markus Klemm
   DIR Matthias Benirschke
       
       ## TAGS
       
   DIR Hamburg
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR HSV
   DIR Erstaufnahme
   DIR Unterbringung von Geflüchteten
   DIR Detlef Scheele
   DIR DFB-Pokal
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Detlef Scheele
   DIR Asylrecht
   DIR Schwerpunkt Flucht
   DIR Flüchtlinge
   DIR Google
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Flüchtlings-Hilfe in Nord-Deutschland: Kiel will es für Hamburg schaffen
       
       Schleswig-Holstein hat fast 8.000 freie Plätze in der Erstaufnahme – und
       prüft, ob dort Flüchtlinge aus Hamburg wohnen können.
       
   DIR Spekulationen um Nachfolge: Tschüss Herr Scheele – und dann?
       
       In zwölf Tagen endet die Amtszeit von Sozialsenator Detlef Scheele (SPD).
       Seine Nachfolgerin bleibt noch geheim.
       
   DIR Erste Runde DFB-Pokal: Blamage für den HSV
       
       Der HSV blamiert sich nicht alleine, auch Hoffenheim und Ingolstadt sind
       raus. Am Montag gibt es noch Spiele: Heute kann Hertha rausfliegen.
       
   DIR Amateurfußball: Ein Endspiel für Traditionalisten
       
       Auf dem Wilhelm-Rupprecht-Platz in Barmbek findet am Freitag das letzte
       Spiel statt. Das 20er-Jahre-Stadion soll abgerissen werden - für Wohnungen.
       
   DIR HSV-Parkplatz und Flüchtlinge: Das Schweigen am Zaun
       
       Der Hamburger Senat streitet mit dem Hamburger Sportverein um einen
       Parkplatz. Es geht darum, wo Flüchtlinge leben dürfen.
       
   DIR Massenunterkünfte für Flüchtlinge: Tut das Not?
       
       Der Senat sieht keine andere Möglichkeit, als Flüchtlinge in Zelten
       unterbringen, aber was ist mit den Alternativen? Allein 13 Schulen stehen
       leer.
       
   DIR Kommentar zur Abschiedstour eines Sozialsenators​: Wie es alte Männer tun​
       
       Politikertypen wie Detlef Scheele wird zugutegehalten, sie seien ehrlich,
       immerhin. Ein borniertes Argument, solange man Politik am Handeln bemisst.
       
   DIR Merkel und das Mädchen: Dulden, bleiben oder abschieben
       
       Wie geht es mit der 14-jährigen Reem weiter, die beim Gespräch mit der
       Bundeskanzlerin in Tränen ausbrach? Es gibt verschiedene Szenarien.
       
   DIR Flüchtlinge im Mittelmeer aufgegriffen: Jetzt schon mehr als im Vorjahr
       
       Mehr als 1.300 Menschen haben in fünf Tagen versucht, von der Türkei nach
       Griechenland zu gelangen. Seit Jahresbeginn wurden 14.000 Menschen
       aufgegriffen.
       
   DIR Schüsse auf Flüchtlingsheim bei Leipzig: Gleich zwei Angriffe hintereinander
       
       In zwei Nächten haben Unbekannte auf ein bewohntes Flüchtlingsheim
       geschossen. Sachsen steht im Zentrum der wachsenden Gewalt gegen
       Unterkünfte.
       
   DIR Rechte Karte mit Flüchtlingsunterkünften: Wie eine Anleitung zur Gewalt
       
       Auf einer Karte listet die rechtsextreme Partei „Der dritte Weg“ deutsche
       Flüchtlingsunterkünfte auf. Google lässt sich Zeit mit der Prüfung.