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       # taz.de -- Höheres Wohngeld sorgt für Diskussion: Mehr Geld und trotzdem ärmer
       
       > Ab Januar 2016 soll es mehr Mietgeld geben. Was sich gut anhört, bedeutet
       > für viele Sozialhilfeempfänger, dass am Ende noch weniger Geld übrig ist.
       
   IMG Bild: Das Mietgeld soll im nächsten Jahr steigen. Für viele Hartz-IV-EmpfängerInnen ist das ein Problem.
       
       Berlin taz | Es ist ein Kuriosum, aber nicht jeder Begünstigte freut sich
       über mehr Sozialleistungen wie das erhöhte Wohngeld, das ab Januar 2016
       kommen soll. „Am Ende könnte ich weniger Geld zur Verfügung haben“,
       befürchtet Lotte K., Frührentnerin in Berlin-Steglitz. Die 45-Jährige
       bezieht derzeit eine kleine Frührente und dazu aufstockende Grundsicherung
       für Erwerbsunfähige, die den Hartz-IV-Leistungen entspricht. Durch das
       erhöhte Wohngeld könnte ihr Anspruch auf die Grundsicherung erlöschen – mit
       gravierenden Folgen.
       
       Das Wohngeld soll im Schnitt um 39 Prozent steigen, davon werden Berechnung
       des Bundesbauministeriums rund 870.000 Haushalte profitieren. Darunter sind
       90.000 Empfänger von Grundsicherung, meist Hartz-IV-Bezieher, die durch das
       höhere Wohngeld aus dem Hartz-IV-Bezug herausgeholt werden könnten.
       
       Das liegt an der Art der Berechnung von Hartz IV, das als nachrangige
       Leistung gilt: Wenn der Anspruch auf Wohngeld künftig so hoch ist, dass die
       Empfängerin damit und mit dem kleinen Erwerbseinkommen oder der kleinen
       Rente über der Bedarfsgrenze für Hartz-IV-Leistungen liegt, bekommt sie
       künftig keine ergänzenden Hartz-IV-Leistungen mehr, sondern nur das
       Wohngeld.
       
       Als Beispiel nennt das Ministerium eine fiktive Rentnerin in Hamburg, die
       eine Kaltmiete von 510 Euro hat und eine Rente von 950 Euro. Bisher bezieht
       sie 96 Euro Leistungen der Grundsicherung im Alter, was etwa den
       Hartz-IV-Leistungen entspricht. Ab 2016 hat sie einen Wohngeldanspruch von
       120 Euro und „ist damit nicht mehr auf Grundsicherung angewiesen“, heißt es
       in der Musterrechnung, „im Ergebnis hat sie jeden Monat 24 Euro mehr zur
       Verfügung“.
       
       ## Nahverkehr wird teurer
       
       Lotte K., die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, macht
       eine andere Rechnung auf. Im Beispiel der Hamburger Rentnerin werde
       „übersehen, welche Vergünstigungen dann wegfallen“, sagt Frau K., „für die
       90.000 betroffenen Grundsicherungsempfänger könnte die geplante Reform ein
       Minusgeschäft werden“.
       
       Von den 24 Euro mehr im Monat gingen 18 Euro an die Gebühreneinzugszentrale
       für Rundfunk und Fernsehen, denn als Grundsicherungsempfängerin ist man
       befreit von diesen Gebühren, rechnet K. vor. In Berlin verliert man auch
       den Anspruch auf das Sozialticket des öffentlichen Nahverkehrs für 36 Euro
       und muss eine um 44 Euro teurere Umweltkarte kaufen.
       
       Auch die monatlich 10 Euro Hausrat- und Haftpflichtversicherung, die man
       bei der Hartz-IV-Berechnung absetzen kann, werden wieder fällig.
       Desgleichen muss man auch die Nachzahlungen für die Heiz- und
       Betriebskosten der Wohnung selbst tragen, die sonst der Staat übernimmt.
       Auch die Vergünstigungen bei Bibliotheken und Kinos bekommt man nicht mehr.
       
       ## Experte fordert Wahlrecht
       
       Das Problem mit neuen Sozialleistungen, die den Anspruch auf andere
       Sozialleistungen wegfallen lassen, kennt auch Harald Thomé, Referent für
       Sozialrecht in Wuppertal. „Man müsste den Betroffenen ein Wahlrecht
       einräumen, bei wirtschaftlichen Nachteilen auch auf bestimmte
       Sozialleistungen verzichten zu können“, sagt Thomé. Ein solches Wahlrecht
       gibt es beim Wohngeld nicht, da das Wohngeld als vorrangige Leistung
       gilt,wenn man dadurch den Hartz-IV-Bezug vermeiden kann.
       
       Beim sogenannten Kinderzuschlag für Geringverdiener hingegen gebe es ein
       solches gesetzlich verbrieftes Wahlrecht, erklärt Thomé. Er nennt das
       Beispiel eines unverheirateten Paares mit Kind, das Hartz IV bezieht. Wenn
       einer der Partner nun einen Job findet und Geld verdient und das Paar
       überdies Anspruch auf den Kinderzuschlag hat, käme es möglicherweise aus
       dem Hartz-IV-Bezug heraus.
       
       Damit müsste sich aber der nichtarbeitende Partner alleine
       krankenversichern, was teuer ist. Das Erwerbseinkommen des Partners plus
       ergänzende Hartz-IV-Leistungen sind dann möglicherweise günstiger. Das Paar
       kann sich also dafür entscheiden und den Kinderzuschlag ablehnen.
       
       Für viele Empfänger dürfte das höhere Wohngeld aber dennoch ein Segen sein:
       Wenn man damit aus dem Bezug von Hartz IV herauskommt, darf man mehr
       eigenes Vermögen haben, die oft demütigenden Hartz-IV-Anträge entfallen.
       Wohngeld vom Wohngeldamt zu beziehen ist erheblich unbürokratischer als zum
       Jobcenter gehen zu müssen.
       
       26 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Barbara Dribbusch
       
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