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       # taz.de -- Filmstart „Taxi Teheran“: Eine Irrfahrt ohne Abspann
       
       > „Taxi Teheran“ ist der dritte Film, den der Regisseur Jafar Panahi dreht,
       > obwohl ihm das Arbeiten im Iran gerichtlich verboten ist.
       
   IMG Bild: Zwei Damen mit Goldfisch steigen in Jafar Panahis Taxi ein.
       
       Erinnern Sie sich an die Geschichte von Odysseus und Polyphem? Der
       griechische Seefahrer betritt mit seinen Gefährten die Höhle des Zyklopen.
       Der setzt die Eindringlinge fest, indem er einen Felsblock vor den Eingang
       wuchtet, und es dauert nicht lange, bis er die ersten Seeleute verspeist.
       Odysseus wagt es trotzdem, sich vorzustellen. Er heiße Outis, niemand. In
       der Nacht gelingt es ihm, den Riesen betrunken zu machen. Als der tief
       schläft, blenden ihn die Griechen mit einem Schwert, das sie im Feuer
       erhitzt haben. Rasend vor Schmerz ruft Polyphem die anderen Zyklopen
       herbei.
       
       „Niemand hat mich geblendet, niemand hat versucht, mich zu töten“, schreit
       er, wovon sich die anderen Zyklopen beruhigen lassen; sie ziehen ab. Als
       der Riese am nächsten Morgen den Fels vom Eingang der Höhle wegschiebt und
       seine Schafe zum Weiden nach draußen schickt, glückt den Griechen die
       Flucht; sie klammern sich an die Schafsbäuche und bleiben unentdeckt, weil
       Polyphem nur die Rücken der Tiere abtastet.
       
       Seit Homers Zeiten üben Geschichten von geglückter List einen großen Reiz
       aus. Vermutlich liegt das daran, dass von allen Formen der Gegenwehr, die
       ein Schwächerer gegen einen Stärkeren leisten mag, die List diejenige ist,
       die am wenigsten von dem, wogegen sie sich richtet, infiziert ist. Wer
       Riesen und Tyrannen austrickst, statt sich im Kampf mit ihnen zu messen,
       hält sich von dem, was er bekämpft, frei, da er sich seinem Gegner und
       dessen Gewalttätigkeit nicht anverwandelt.
       
       Er bleibt weich und wendig, klug und verschmitzt. Und er kann sich etwas
       vorstellen, was nicht ist. Das heißt, er lässt sich vom Wirklichkeitssinn
       nicht lähmen, hat die Chuzpe, wider alle Wahrscheinlichkeit zu handeln, und
       beweist dabei genug Möglichkeitssinn, um das Verhältnis von Macht und
       Ohnmacht anders zu denken, als es bisher verfügt ist. Trickster und Schelme
       sind desto reizvollere Figuren, je mehr sie das Versprechen bergen, man
       könne eine Position der Ohnmacht qua Witz und Willen überwinden.
       
       Vermutlich ist dies einer der wesentlichen Gründe, warum „Taxi Teheran“,
       der jüngste Film des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, besticht: Weil der
       Film von der ersten Szene, dem Bild einer Straßenkreuzung in Teheran, bis
       zur letzten Szene, dem Schwarzbild, das den Abspann verweigert, eine List
       ist, ein fintenreiches Aufbegehren gegen rigide Umstände.
       
       Diese Umstände sind Folgende: Nachdem er mit der oppositionellen Grünen
       Bewegung sympathisiert hatte, wurde Panahi im März 2010 festgenommen, bis
       Mai 2010 saß er im Gefängnis, im Dezember 2010 wurde er zu sechs Jahren
       Haft sowie zu einem 20 Jahre währenden Ausreise-, Berufs- und
       Interviewverbot verurteilt; das Revisionsverfahren hat das Urteil
       bestätigt. Die Richter legten ihm zur Last, er arbeite zusammen mit dem
       Regisseur Mohammad Rasoulof an einem Dokumentarfilm, der „Propaganda gegen
       das System“ verbreite.
       
       Rasoulof wurde zu einer milderen Strafe verurteilt und lebt inzwischen
       nicht mehr nur in Teheran, sondern auch in Hamburg; sein jüngster Film
       „Manuscripts Don’t Burn“ startet im August in einigen deutschen Kinos.
       Panahi dagegen darf Iran nicht verlassen. Die Haftstrafe hat er bisher
       nicht antreten müssen. Obwohl es ihm untersagt ist, Filme zu drehen, tut er
       es. Drei sind es seit der Verkündung des Urteils: „In film nist“ (“Dies ist
       kein Film“, 2011, zusammen mit Mojtaba Mirtahmasb), „Pardé“ (“Closed
       Curtain“, 2013, zusammen mit Kambozia Partovi) und nun „Taxi Teheran“.
       
       ## Abenteuerlicher Schmuggel
       
       Alle drei Filme wurden auf internationalen Filmfestivals präsentiert, zum
       Teil, nachdem abenteuerliche Schmuggelaktionen vorausgegangen waren. So
       wird kolportiert, „In Film nist“ sei auf einem in einer Torte versteckten
       USB-Stick nach Cannes gelangt, auch dies natürlich eine List – wie der
       Titel, der sich an René Magrittes berühmtes Gemälde „Ceci n’est pas une
       pipe“ anlehnt, wobei Panahi handfestere Gründen antreiben als die
       Repräsentationsskepsis des Malers.
       
       Ein Filmemacher, der keine Filme drehen darf, sagt von dem Film, den er
       gedreht hat, vorsichtshalber, es sei kein Film. „Pardé“ erhielt 2013 bei
       der Berlinale einen Silbernen Bären fürs beste Drehbuch, „Taxi Teheran“ im
       Winter dieses Jahres den Goldenen Bären, damals lautete der Titel schlicht
       „Taxi“. Die internationale Anerkennung trägt sicherlich dazu bei, dass
       Panahi zu Hause etwas geschützter ist.
       
       Noch etwas eint die drei Filme: Sie sind in hohem Maße selbstreflexiv, da
       sie die heikle Lage, in der sich Panahi befindet, zu ihrem Gegenstand
       machen. Einschränkungen, die ihre Entstehung erschweren, sind bei allen
       dreien präsent, mal werden sie – wie in „Pardé“ – eher verzagt und
       resignativ thematisiert, mal selbstbewusst wie in „Taxi Teheran“. Sie
       betreffen in erster Linie den filmischen Raum. „In film nist“ wurde
       gedreht, während der Regisseur unter Hausarrest stand, dementsprechend gut
       lernt man das Wohnzimmer der Teheraner Wohnung kennen.
       
       ## „Regie führen ist mir verboten“
       
       In einer Szene blättert Panahi in einem nicht genehmigten Drehbuch, auf
       seinem Wohnzimmerteppich rekonstruiert er das Filmset. Mit wenigen
       Requisiten macht er den Film, der in seinem Kopf existiert, anschaulich.
       „Regie führen ist mir verboten“, sagt er und ergänzt, wiederum voller List
       (aber auch voller Wehmut): „Schauspielen und Drehbücher vorlesen nicht.“
       
       Auch „Pardé“ ist ein huis clos, der Film spielt zu weiten Teilen in einem
       Ferienhaus am Kaspischen Meer, dessen Jalousien meist verschlossen bleiben,
       so dass die Außenwelt, wenn überhaupt, über Geräusche eindringt. „Taxi
       Teheran“ nun wendet einen raffinierten Kniff an, um die bisher abwesende
       Außenwelt in den Film hineinzuholen: Die Kamera befindet sich auf dem
       Armaturenbrett eines Taxis, das Panahi selbst durch die Straßen Teherans
       lenkt. Sie bleibt dort den ganzen Film über, und auch wenn zusätzliche
       Kameras ins Spiel kommen und Bilder generieren, die für Augenblicke den
       Film kapern – das iPhone Panahis, die Digitalkamera seiner Nichte –, ist
       die Kamera auf dem Armaturenbrett der Dreh- und Angelpunkt für die
       Bildproduktion.
       
       Das heißt: Man sieht entweder, was zwischen den Passagieren im Wagen vor
       sich geht, oder man blickt nach draußen auf die Straße. Wer sich ein wenig
       im iranischen Kino auskennt, wird sich davon an „Ten“ erinnert fühlen,
       einen Film von Abbas Kiarostami aus dem Jahr 2002, der einer Frau bei ihren
       Fahrten durch die Stadt zuschaute und dabei en passant Nöte und
       Befindlichkeiten der meist weiblichen Beifahrerinnen einfing.
       
       ## Bilder einer Großstadt
       
       In „Taxi Teheran“ ist das schon allein deswegen interessant, weil man einen
       Eindruck von Teheran als moderner Großstadt erhält, mit funktionaler
       Architektur, Ausfallstraßen, Parkplätzen, Tankstellen, Zebrastreifen und
       Coffeeshops. Wenn es einen signifikanten Unterschied zu westlichen
       Metropolen gibt, dann den: Die Autos haben hier noch nicht die dreisten
       Ausmaße von SUVs. Die Begegnungen im Inneren des Taxis bieten einen
       Querschnitt durch den Alltag, der Film sammelt Momentaufnahmen, die in
       freundlicher Deutlichkeit – an Subtilität liegt Panahi wenig – auf
       verschiedene Miseren hinweisen.
       
       Gegen Ende zum Beispiel steigt eine Anwältin zu, die eine Frau verteidigt,
       die unzulässigerweise ein Volleyballspiel im Stadion besucht hat und sich
       nun im Hungerstreik befindet; der Anwältin droht ein Berufsverbot. Ein
       anderer Fahrgast ist Händler von raubkopierten DVDs, sein Angebot umfasst
       „Midnight in Paris“ von Woody Allen, „Once Upon a Time in Anatolia“ von
       Nuri Bilge Ceylan oder „Der Tod des Herrn Lazarescu“ von Cristi Puiu. Diese
       schwarz gebrannten DVDs sind wie Wurmlöcher, durch die man sich aus der
       Enge der Umstände auf andere Ebenen katapultieren lassen kann; auch sie
       sind Ausdruck des Wunsches, qua Erfindungsreichtum einen Weg ins Offene zu
       beschreiten.
       
       Mehrmals werden Panahis Filme zitiert, die Geschichte der Hungerstreikenden
       erinnert an „Offside“ (2006), in dem junge Frauen unerlaubterweise ein
       Fußballspiel im Stadion sehen möchten, und „Ayneh“ (“Der Spiegel“, 1997)
       handelt von einem vifen Mädchen, dessen Mutter versäumt, es von der Schule
       abzuholen, so wie in „Taxi Teheran“ die Nichte Panahis vor dem Schultor
       wartet, weil ihr Onkel zu spät kommt. Sobald dieses etwa zehn Jahre alte
       Mädchen auf dem Beifahrersitz Platz nimmt, erreicht der Film seinen
       Höhepunkt.
       
       ## Reflexion auf Hochtouren
       
       Ab dann läuft die Selbstreflexion über die erlaubten, die verbotenen, die
       gewünschten und die möglichen Bilder auf Hochtouren. Die Nichte belegt
       einen Filmkurs, übereifrig trägt sie die Regeln vor, die ihr die Lehrerin
       diktiert hat. Frauen müssen ihr Haar bedecken, Körperkontakt zwischen
       Männern und Frauen ist verboten, Krawatten haben an den Hälsen guter
       Figuren nichts verloren, weil sie als westliches Kleidungsstück den
       Bösewichtern vorbehalten bleiben. Am wichtigsten ist, jede Form von
       „Schwarzmalerei“ zu unterlassen.
       
       Während Panahi müde lächelt, verteidigt das Mädchen die Regeln wortreich.
       Doch bei der ersten praktischen Anwendung stößt es an eine Grenze, weil die
       Szene, die sie filmt, partout nicht zur von der Lehrerin verlangten
       Erbaulichkeit passt. Listig ist eben nicht nur der, der einer erdrückenden
       Realität eine Fiktion entgegensetzt. Listig ist auch die Realität, wenn sie
       einer uniformen, glättenden, Widersprüche ausschließenden Weltanschauung
       die Nase dreht.
       
       Bevor Panahis Geschichte von der Überwindung der Repression durch die List
       beginnt, ihrerseits glatt zu werden und Widersprüche auszuschließen, lässt
       der Regisseur sie abbrechen. Der Abspann fehlt, weil die Nennung von Namen
       die Crew kompromittieren könnte. Und vielleicht schützt sich auch der
       Regisseur, indem er seinen Namen weglässt und behauptet, niemand habe
       diesen Film gemacht. Zugleich ist die Szene, die dem Schwarzbild
       vorausgeht, auch als Mahnung zu verstehen. Eine geglückte List bedeutet
       eben nicht, dass man auf immer über widrige Gegebenheiten triumphiert.
       
       Das muss auch Odysseus erleben, der, nachdem er die Höhle Polyphems
       verlassen hat, von Poseidon, dem Vater des Zyklopen, verflucht wird und in
       der Folge zehn Jahre über die Meere irrt.
       
       22 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cristina Nord
       
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