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       # taz.de -- Piraten zerrissen und entschlossen: Warten auf das Island-Hoch
       
       > Auch die Wahl des neuen Vorstands hat den Riss, der durch die Partei
       > geht, nicht geheilt: Die Kieler Piraten werden dennoch in den Wahlkampf
       > starten.
       
   IMG Bild: Hat die Partei nicht mehr geschlossen hinter sich: Fraktionsvorsitzender Torge Schmidt
       
       Bilder von Segelschiffen hängen in dem Raum, in dem die Piraten des Kieler
       Parlaments zusammenkommen, um vor den Augen der Landespresse eine
       Fraktionskonferenz zu inszenieren. Der schöne Raum mit seiner gewölbten,
       stuckverzierten Decke gleicht als Repräsentationsraum einer Bühne. An
       diesem Abend treten hier sechs Abgeordnete der Piraten und etwa ebenso
       viele Beschäftigte der Fraktion auf.
       
       Es gilt, einen neuen Vorstand zu wählen. Gut eine Woche zuvor trat die
       bisherige Führung – Vorsitzender, Stellvertreterin, Parlamentarischer
       Geschäftsführer – gemeinsam zurück, nur der stellvertretende
       Geschäftsführer blieb im Amt. An diesem Abend werden alle vier Posten neu
       gewählt, paritätisch besetzt aus alten und neuen Vorstandsmitgliedern.
       Anders gesagt: aus beiden Lagern. Denn der Riss, der durch die Partei geht,
       ist alles andere als geheilt.
       
       Die öffentlichen Fraktionssitzungen gehören quasi zur DNA der Partei:
       Transparenz ersetzt Herrschaftswissen, die Information wird nach Art der
       Liekedeeler zu gleichen Teilen an alle ausgeschenkt. An diesem Abend aber
       ist das Drehbuch zu offensichtlich vorher abgesprochen. Der Mitarbeiterin,
       die als Wahlleiterin überfordert ist, wird souffliert: „Frag, ob die
       Kandidaten etwas sagen wollen.“ Man ist, nach vollzogener Wahl, sehr
       höflich zueinander. Die Zuschauer, die tatsächlich wie ein Theaterpublikum
       in drei engen Reihen an einer Wand sitzen, rutschen in ihren Stühlen hin
       und her, beginnen, zu plaudern, noch bevor der letzte Wahlakt beendet ist.
       
       „Die Streitpunkte, die wir hatten, konnten wir klären“, sagt später der
       alte und neue Fraktionsvorsitzende Torge Schmidt. Es gab einen „guten
       Kompromiss“. Worin genau der bestand, ist etwas unklar, keiner der
       Abgeordneten nennt Details. Der vor einer Woche benannte Hauptwunsch des
       alten Vorstands, mehr vorgeben zu können, wurde nicht erfüllt. Es bleibt
       intern beim gleichberechtigten Umgang. Dennoch seien jetzt Spielregeln und
       Abstimmungsverfahren klarer, so Schmidt, Vertreter des einen Lagers. Und
       Uli König, neuer Parlamentarischer Geschäftsführer und Mitglied des anderen
       Lagers, stellt klar: „Es war ein Kompromiss erster Klasse, niemand geht
       hier mit geballter Faust in der Tasche raus.“
       
       ## Kein schöner Tag für Dudda
       
       Er sollte mal zur Seite schauen, wo sein Fraktionskollege Wolfgang Dudda
       seinen Frust in die Reportermikrofone spricht: „Das ist heute kein schöner
       Tag für mich.“ Nur eines der Lager habe zurückgesteckt, entsprechend schief
       sei der Kompromiss. Details zum Inhalt nennt auch er nicht. Aber Dudda wäre
       gern Fraktionsvorsitzender geworden, aus prinzipiellen Erwägungen: Wer in
       der einen Woche zurücktritt und in der nächsten wiedergewählt wird, macht
       sich nicht glaubwürdiger.
       
       Dudda, so viel wird klar, hätte sich einen personellen Neuanfang gewünscht,
       aber mehr als das abgezirkelte Macht-Mikado ist zurzeit offenbar nicht
       drin. In der Kampfabstimmung erhielt Schmidt eine eindeutige Mehrheit vor
       Dudda. Alle weiteren Kandidaten wurden einstimmig gewählt. Ohne Posten
       bleibt neben Dudda die einzige Frau der Fraktion, Angelika Beer, die als
       ehemalige Grünen-Spitzenfrau die längste politische Erfahrung hat.
       
       Immerhin hat die Fraktion es vermieden, das Vakuum an der Spitze über die
       Sommerpause zu verlängern. Doch die Absprache wird nicht ganz einfach
       gewesen sein: Von beiden Seiten gibt es Stimmen, die Vertreter des anderen
       Lagers als diejenigen sehen, die Druck machten. Dass jemand die Fraktion
       verlässt, schließen alle Beteiligten aus. Dudda wolle „professionell“ mit
       der Niederlage umgehen: Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, sich mit
       politischen Freunden verloben zu wollen.
       
       Nun solle es wieder um Inhalte gehen, wünscht sich Patrick Breyer, der neue
       stellvertretende Fraktionschef. Denn die Piraten wollen nach der
       Sommerpause in den Wahlkampf starten. So nutzen sie die öffentliche
       Fraktionssitzung, um Grundzüge ihres Programms vorzustellen, das die
       Überschrift „Digitaler Kompass“ tragen soll.
       
       ## Revolutionen brauchen Zeit
       
       Die Themen sind die altbekannten – es gehe darum, die „digitale Revolution
       zum Wohle des Menschen zu gestalten“ und „echte politische Mitbestimmung zu
       erreichen“. Damit holten die Piraten im Jahr 2011 ihre Wahlerfolge, aber
       viel erreicht haben sie seither nicht. Breyer sieht das anders: Es habe
       durchaus Durchbrüche gegeben. Aber er weiß nach knapp drei Jahren im
       Landtag auch: Die Möglichkeiten einer kleinen Oppositionspartei sind
       beschränkt. Revolutionen, auch digitale, brauchen Zeit – also wollen die
       Piraten nach der Wahl 2017 wieder in den Landtag einziehen.
       
       Doch obwohl die Fraktion sich ins Parlamentsgeschehen eingearbeitet hat und
       die Apparatur der Kleinen Anfragen und Ausschussarbeit inzwischen souverän
       bedient, hat das öffentliche Interesse stark nachgelassen, die jüngsten
       Wahl- wie auch Umfrageergebnisse sind schlecht. Das drückt auf die
       Stimmung. Die Unsicherheit macht nicht nur den Abgeordneten, sondern auch
       den Beschäftigten der Fraktion zu schaffen. Es gab Kündigungen und freie
       Stellen sind nicht leicht zu besetzen.
       
       Aber bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein könne die politische
       Großwetterlage helfen, denn im Jahr 2017 finden auch andere Wahlen statt,
       sagt Breyer. Nicht die zum Deutschen Bundestag, sondern zum Parlament in
       Island. Dort sehen Umfragen die Píratar ganz vorn.
       
       30 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Esther Geißlinger
       
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       heraus.