# taz.de -- Streit um „sichere Herkunftsländer“: Grüne gegen „Asylkompromiss“
> Der Grüne Winfried Kretschmann würde wohl weiteren sicheren
> Herkunftsländern zustimmen. Doch seine Partei sieht das ganz anders.
IMG Bild: Ein aus dem Kosovo geflüchteter Mann in einer Unterkunft in Sigmaringen.
Berlin taz | Vor knapp einem Jahr hat es funktioniert. Damals, am 19.
September, stimmte der Bundesrat in Berlin dem sogenannten Asylkompromiss
zu. Dass seither Asylanträge von Menschen aus Serbien, Mazedonien und
Bosnien-Herzegowina nach Paragraph 29a Asylgesetz als „offensichtlich
unbegründet“ abgelehnt werden, ist vor allem die Verantwortung eines
Politikers: des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Zum
Entsetzen vieler Parteifreunde hatte auch er an jenem Freitag für die
Gesetzesänderung gestimmt.
Mittlerweile drängt Schwarz-Rot darauf, weitere Staaten zu sicheren
Herkunftsländern zu erklären. Diesmal will man Ankömmlinge aus Albanien,
Montenegro und dem Kosovo zurückschicken. Aber seit dem Eklat im Bundesrat
haben sich dort die Mehrheitsverhältnisse verändert. In Thüringen regiert
mittlerweile ein linker Ministerpräsident mit den Grünen und der SPD.
Nicht nur rechnerisch, sondern auch politisch ist es deutlich schwieriger
geworden, eine Mehrheit im Verfassungsorgan zu organisieren. Mindestens ein
weiteres großes Bundesland, in dem die Grünen mitregieren, müsste
zustimmen. Doch von dort ist einhellige Ablehnung zu vernehmen.
Der rheinland-pfälzische Grünen-Fraktionschef Daniel Köbler sagte der Welt,
man lehne „das Konstrukt ‚sichere Herkunftsstaaten‘“ als diskriminierend
ab. Das Asylrecht könne nicht „für ganze Gruppen abgeschafft werden“.
Ähnlich äußerten sich andere Spitzenpolitiker der Grünen aus Hamburg und
Nordrhein-Westfalen. Ein Sprecher der hessischen Grünen erklärte gegenüber
der Welt, das schwarz-grün regierte Hessen habe schon dem Asylkompromiss
vom letzten Jahr nicht zugestimmt. Einen „neuen Diskussionsstand“ gebe es
nicht.
## Ablehnungsquote von 90 Prozent
Die Grünen-Chefin Simone Peter sagte der Frankfurter Rundschau, die Zahl
der Asylsuchenden aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien sei seit
der Einstufung als „sichere Herkunftsländer“ nicht relevant zurückgegangen
– diese Haltung hat auch Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt jüngst
vertreten.
Für dieses Jahr rechnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
laut neuesten Prognosen mit 600.000 Erstanträgen auf Asyl. Mehr als 40
Prozent davon werden derzeit von Menschen aus westlichen Balkanländern
gestellt. Ihre Ablehnungsquote liegt bei 90 Prozent. Die Bearbeitung eines
Antrags dauert derzeit im Schnitt 5,3 Monate. Bei den „sicheren“
Herkunftsstaaten dauert das Verfahren 3,6 bis 4,8 Monate.
BAMF-Präsident Manfred Schmidt sprach sich am Mittwoch in der ARD für die
Deklarierung weiterer „sicherer“ Herkunftsländer und eine befristete
Wiedereinreise-Sperre für bereits abgelehnte AsylbewerberInnen aus. Dass
Menschen sich aus Armut auf den Weg nach Deutschland machten, sei
nachvollziehbar, sagte Schmidt. Doch laut der Genfer Flüchtlingskonvention
sei Armut kein Asylgrund.
Aus dem SPD-regierten Brandenburg meldete sich am Mittwoch Innenminister
Karl-Heinz Schröter zu Wort. „Wenn Armutsflüchtlinge aus sicheren
Herkunftsländern die Erstaufnahme nach drei Monaten verlassen, sollten sie
statt Bargeld wieder Gutscheine und Sachleistungen erhalten“, sagte
Schröter der Bild. Damit weiß sich der SPD-Politiker in guter Gesellschaft
von CDU-Mann Volker Bouffier.
Auch der hessische Ministerpräsident hat gerade Sachleistungen statt
Bargeld für Flüchtlinge befürwortet. Ein Lehrer aus Albanien bekomme in
Deutschland in drei, vier, fünf Monaten mehr Geld als in zwei bis drei
Jahren in seiner Heimat. Wie jemand, der mit den Grünen im Bundesrat mehr
sichere Herkunftsländer verhindern würde, klang er dabei nicht.
29 Jul 2015
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DIR Anja Maier
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