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       # taz.de -- Wasser-Schau in Bucerius Kunst Forum: Das Sprudelnde und das Statische
       
       > Eine Ausstellung in Hamburg widmet sich dem Wasser und zeigt, dass es als
       > Gegenstand der künstlerischen Beschäftigung widerspenstig ist.
       
   IMG Bild: Hokusais Schrecken: „Große Welle von Kanagawa“.
       
       HAMBURG taz |Ausstellungstitel sind stets auch ein werbend lockendes
       Versprechen – oft allerdings bloß eine Klammer für disparate Dinge. Im
       Sommer in Hamburg eine Ausstellung „Über Wasser“ zu nennen, scheint
       irgendwo zwischen Alstervergnügen, Elbschifffahrt und Freibadspaß
       angesiedelt und also nicht gerade superoriginell. Doch das [1][Bucerius
       Kunst Forum] schafft es immer wieder, mit der Qualität seiner Auswahl zu
       überzeugen.
       
       Die zusätzliche Anbindung an die Hamburger Triennale der Photographie sorgt
       nun für eine ziemlich gelungene Tour de Horizon in Bildern nasser Momente:
       In 150 Exponaten wird der Weg von den naturschwärmerischen Ansichten des
       19. Jahrhunderts zu klimawandelbewussten Bildkonzepten von heute gegangen.
       
       Wasser ist ein lebensnotwendiges Grundelement, der betrachtende Mensch
       selbst besteht zu rund 70 Prozent daraus. Um biologische, physikalische
       oder ökonomische Fakten aber geht es hier nur indirekt: Wasserfall und
       Meeresbrandung, Regentropfen, Reflexionen, Schnee und Eis dienen vorrangig
       einem Medienvergleich: Wie ist ein ständig in Bewegung befindliches, ein
       brodelndes, strudelndes, dampfendes und tropfendes, dabei auch noch
       transparentes Element darzustellen – in notwendigerweise statischen
       Bildern?
       
       Sehr schön ist in der Ausstellung der Wettkampf nachzuempfinden, den sich
       die frühe Fotografie mit der Malerei geliefert hat: Eine Brandungswelle
       oder ein Wasserfall sind im Ölbild weitaus dramatischer. Das Foto kann
       anfangs das Element nicht abbilden, zeigt immer wieder nur eine wie weiße
       Verwischung, wirkend wie ein weich fallender Stoff, wo das handgemachte
       Bild die Wassermassen nach der Erfahrung feiner ausdifferenzieren kann.
       
       Trotz immer kürzerer Belichtungszeiten oder Versuchen mit in Reihe
       geschalteten Objektiven: Bis Ende des 19. Jahrhunderts bleibt die
       Fotografie in diesem Bereich der Malerei unterlegen.
       
       ## Malerei und frühes Foto konkurrieren
       
       Vielleicht kommen die Kraft und das Wesen des Wassers im symbolischen
       Zeichen ohnehin besser zum Ausdruck? Noch die eindrucksvollsten Fotos von
       Wellen bleiben eher ein Spezialfall, Katsushika Hokusais Holzschnitt „Die
       große Welle von Kanaga wa“ (1830) aber taugt als Urbild. Auch Regen lässt
       sich kaum so fotografieren, dass er der eigenen Erfahrung ein Bild gibt.
       Wieder ist es wohl ein Japaner, der zuerst eine Überzeichnung mit
       parallelen Strichen als Motiv für Regen in die Kunst eingeführt hat:
       Utagawa Hiroshige.
       
       Einzelne Kunstfotografen haben Entsprechendes später durch nachträgliche
       Kratzer zu erreichen versucht. Je besser die Optiken werden, desto genauer
       sind den flüchtigen Wasserformen auch kleinste Details zu entnehmen. So
       gibt jeder Wassertropfen seine Umwelt tausendfach wieder: Ein Bild Peter
       Keetmanns aus dem Jahr 1957 zeigt diesen ohne vergrößernd-fokussierende
       Kamera kaum wahrzunehmenden Effekt.
       
       Zwar verändern neue Medien den Blick auf die Welt, aber neuen Medien geht
       auch eine veränderte Wahrnehmung voraus. So entstand die Fotografie aus
       zahlreichen Experimenten in verschieden Ländern über Jahre hinweg. Und die
       Wellenstudien von Johann Wilhelm Schirmer, gemalt drei Jahre vor der
       offiziellen Verkündung der Erfindung der Fotografie 1839 in Paris,
       erscheinen in ihrer uninszenierten Direktheit heute ganz „fotografisch“.
       
       Dass es über den – für das 19. Jahrhundert typischen – Willen zur
       wissenschaftlichen Erfassung hinaus vielleicht weniger auf die exakte
       Wiedergabe der Realität ankommt, sondern auf den subjektiven Eindruck,
       machen dann die Impressionisten und erst recht die Expressionisten klar.
       
       Am genre- und periodenübergreifenden Bezugspunkt Wasser ist so jetzt auch
       gut zu sehen, wie später konstruktive und abstrakte Vorstellungen die
       Lichtbildnerei beeinflussen, und umgekehrt fotografische Effekte auf die
       Malerei zurückwirken; Gerhard Richters „Seestück (bewölkt)“ ist in der
       Austellung ein brillantes Beispiel für das Zitat der Unschärfe.
       
       Kontemplative, beinahe leere, schwarz-weiße Aufnahmen des Meeres von
       Hiroshi Sugimoto stehen neben bunten Bildern der Nutzung des Wassers durch
       Menschen zum Badevergnügen an der See, im Freibad oder in komplett
       künstlichen Welten. Dabei wird auch nicht vergessen, wenigstens einmal das
       Ertrinken zu zeigen. Kühler wird es vor Eisschollen, wie sie Caspar David
       Friedrich skizziert hat, den Bildern aus dem Packeis und dem Konzept von
       Olafur Eliasson, eine Eisskulptur langsam beim Abschmelzen zu
       dokumentieren.
       
       ## Horror, der sich nicht abbilden lassen mag
       
       Wasser tritt aber nicht nur als festes, flüssiges und gasförmiges Material
       auf, es ist auch ein trügerischer Spiegel. So finden sich in der
       Ausstellung auch Bildgestaltungen mit Reflexionen von der „Blauen Grotte“
       bis zum Neonlicht in Pfützen und Kanälen – bunt sind aber auch die
       Abwasserteiche.
       
       Eine noch dramatischere Welle als jene Hokusais zeigt Robert Longo: Sie
       zeigt sich als Drachenkopf. Aber die eigentliche Bedrohung ist inzwischen
       wohl die des Wassers durch den Menschen: Statt mythischer Monster dräuen
       Verschwendung und Vergiftung.
       
       Doch oft entzieht sich der Horror der Abbildung: Es ist ohne Weiteres nicht
       zu erkennen, dass der einsame Surfer sich am Strand nahe Fukushima
       befindet; oder dass das scheinbar so ruhige Meer vor Lampedusa aufgenommen
       wurde und Zeuge menschlicher Dramen war. Und der surrealistisch wirkende,
       meterhohe Zaun am Pazifik-Strand, die Grenze zwischen Mexiko und den USA,
       lässt sich auch weiter draußen nicht von den Fluten erweichen.
       
       31 Jul 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.buceriuskunstforum.de/ausstellung/ueber-wasser-photographie-und-malerei-1800-bis-heute/?cHash=4c0bac741e72c6f72c19a601ed9aaf01
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hajo Schiff
       
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