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       # taz.de -- Russische Sanktionen gegen EU und USA: Brenne, Apfel, brenne
       
       > Vor einem Jahr verhängte Moskau einen Einfuhrstopp gegen westliche Waren.
       > Jetzt will Putin das Zeug gleich an der Grenze vernichten.
       
   IMG Bild: Vor einem Jahr: Kunden in einem französischen Supermarkt in Moskau.
       
       MOSKAU taz | Ab dem 6. August sollen westliche Waren gleich an der Grenze
       brennen: Per Dekret verfügte der russische Präsident Wladimir Putin Ende
       Juli, Schmugglerware ab nächster Woche direkt an den Kontrollposten zu
       vernichten – in extra angeschafften Verbrennungsöfen.
       
       Es ist die neueste Volte im Sanktionsstreit zwischen Russland auf der
       einen, den USA und der EU auf der anderen Seite. Die US-Regierung kündigte
       zudem neue Strafmaßnahmen gegen 15 Organisationen und Personen an, die
       Sanktionen im Rüstungssektor umgangen haben sollen. Moskau boykottiert vor
       allem Agrargüter, im ersten Halbjahr 2015 beschlagnahmte der Zoll 552
       Tonnen illegaler Lebensmittel.
       
       Viele Waren gelangten dennoch in russische Läden. Käse, Mozarella, Hummern
       und Lachs fanden über Weißrussland, Kasachstan und zuletzt auch Armenien
       ins Land. Originäre Waren, die von den Nachbarn lediglich umetikettiert
       werden mussten.
       
       Besonders die Mitglieder der neuen Eurasischen Wirtschaftsunion taten sich
       dabei hervor und nutzten die Chance, um an den Sanktionen mitzuverdienen.
       Gesetzlich ist zwar die Einfuhr verboten nicht aber deren Verkauf. Dem will
       der Kreml nun durch Entsorgung einen Riegel vorschieben.
       
       Eine jugendliche Vorhut machte sich schon im Vorfeld auf die Suche nach
       europäischen Lebensmitteln in russischen Supermärkten, begleitet von einer
       Kamera des staatlichen Fernsehens. „Iss russisch“ heißt das Projekt der
       Organisation „chriuschi protiv“, was soviel bedeutet wie „Ferkel sind
       dagegen“.
       
       ## Tadellose Schweinchen
       
       Dahinter verbirgt sich eine Anspielung auf ein tadel- und makelloses
       Schweinchen aus der Sendung des Sandmännchens. Die jugendlichen Eiferer
       sind jedoch eine Erfindung der chauvinistischen Kremljugend „Naschi“ – die
       Unsrigen.
       
       Der Aufkleber zur Kennzeichnung der Schmugglerware ist ein mit fletschenden
       Zähnen nach einer US-Flagge schnappender Bär mit der Aufschrift „Produkt
       sanktioniert“. Die jungen Leute sind begeistert.
       
       Gelegentlich geraten auch mal Produkte aus westlichen, von Sanktionen
       ausgenommenen Ländern wie der Schweiz, in die Hände der Kontrolleure. Mit
       100.000 Euro unterstützt der Kreml die Gruppe in diesem Jahr aus dem
       präsidialen Fonds für Zivilgesellschaft. Iphones gehören bei den Wächtern
       des Importverbots zur Grundausstattung.
       
       Ein Jahr nach Verhängung der Sanktionen steht fest: Russland ließ sich
       weder in der Krimfrage noch in der Ostukraine durch die Maßnahmen zum
       Einlenken bewegen. Die Sanktionen haben stattdessen politische Führung und
       Bevölkerung noch enger zusammengeschweißt.
       
       ## Ursache der Krise liegen tiefer
       
       Da Ölpreisverfall, strukturelle Wirtschaftskrise und Sanktionen
       zusammenfielen, verfestigte sich bei der Bevölkerung der Eindruck, dass die
       Sanktionen sich nicht wie angekündigt gegen einzelne Personen und Betriebe
       richten, sondern gegen das ganze Land. Die Sanktionen verstärkten die
       negativen Trends der russischen Wirtschaft, verursacht haben sie die Krise
       aber nicht, meinen auch russische Beobachter.
       
       Am härtesten treffen Russland die Beschränkungen auf dem Kapitalmarkt.
       Moskau erhält keine Kredite mehr, um Schulden zu bedienen. Obwohl die
       Einschränkung zunächst nur für staatliche Banken und Energiekonzerne galt,
       sind die meisten westlichen Banken und Handelsorganisationen wegen der
       hohen Risiken auch nicht mehr zur Kreditvergabe bereit.
       
       Überdies sind Direktinvestitionen drastisch gesunken. Der Kreml machte
       zunächst aus der Not eine Tugend: Er deklarierte die Sanktionen als Chance,
       sich auf eigene Kräfte zu besinnen und die Diversifizierung der Wirtschaft
       in Angriff zu nehmen. Die Ergebnisse sind bislang bescheiden. Laut Experten
       braucht der Agrarsektor mindestens fünf Jahre für gleichwertigen Ersatz.
       
       In vielen Bereichen wird dies auch nur unter Beteiligung in Russland
       angesiedelter westlicher Großunternehmen möglich sein. Noch ist es auch zu
       früh, um einzuschätzen, wie sich die wichtige russische Energiebranche
       entwickelt, die von wichtiger westlicher Hochtechnologie abgeschnitten ist.
       
       31 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
       ## TAGS
       
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