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       > HIPHOP Der 21-jährige Hamburger Rapper Disarstar und sein gelungenes
       > Debüt „Kontraste“
       
   IMG Bild: Lässt sich nicht brutzeln: Disarstar
       
       Eine Zeile wie „Die Sonne hat nie herrlicher geschienen“ würde man wohl
       vielem zuordnen – einem Werbeslogan für einen Reiseanbieter, einem Schlager
       oder naturverliebter Poesie.
       
       Dass sie in einem Rapsong vorkommt, ist eher ungewöhnlich. Seit sich
       Deutschrap durch eine neue, junge HipHop-Generation seines unerbittlichen
       Coolnessimperativs entledigt hat, darf selbst über die Sonne und die
       Schönheit des Lebens getextet werden – so tut es auch der Hamburger Rapper
       Disarstar auf seinem melancholischen Song „Lange isses her“, zu dem die
       besagte Zeile gehört.
       
       „Lange isses her“ ist einer von 14 Songs des Debütalbums „Kontraste“ von
       Disarstar, der mit bürgerlichem Namen Gerrit Falius heißt und gerade
       einmal 21 Jahre alt ist. Auf „Kontraste“ regiert nicht nur heiter
       Sonnenschein, wie es der Albumtitel schon vermuten lässt. Es geht vor
       allem um die Abgründe des Lebens, und um Politik und Gesellschaft, kurzum:
       alles, was Falius so beschäftigt.
       
       Einprägendes Soundmerkmal ist dabei seine tiefe, klare Stimme, die über
       unaufdringliche, fast zurückhaltende Beats mit Synthie-Sounds oder
       Klavierakkorden hinwegrappt. Eine Woche nach Veröffentlichung stieg
       „Kontraste“ auf Platz 19 der Albumcharts ein – obwohl Erfolge schon lange
       nicht mehr nur in Verkaufszahlen berechnet werden, ist das doch ein feines
       Gefühl für ein Raptalent: Die Leute klicken nicht nur, sie kaufen auch
       noch. „Damit habe ich gar nicht gerechnet“, sagt Falius.
       
       Vor 10 Jahren fing er mit dem Rappen an. Das klingt schon für sich genommen
       nach Erfahrung, doch erstaunlicher wird es noch, wenn man 10 Jahre in
       seinem Leben zurückrechnet und auf das zarte Alter von 11 Jahren kommt.
       „Ach, das war damals überhaupt nicht cool“, winkt er ab. In seiner Jugend
       dann baute er ein bisschen Scheiße und zog mit 16 von zu Hause aus.
       Schreiben und Rappen aber behielt er bei, es half ihm, Erlebtes zu
       reflektieren und zu verarbeiten. Mit 17 landete er seinen ersten
       YouTube-Hit – der Song „Vergiss mein nicht“, ein Abgesang auf eine
       verlorene Liebe und harte Zeit, schaffte es in kurzer Zeit auf mehr als
       200.000 Klicks. Prompt kam das Interesse von Labels, auch Majors, doch
       Disarstar blieb skeptisch: „Ich bin ja nicht blöd“, sagt er. „Ich wusste
       schon, dass die in einem 17-jährigen Rapper Frischfleisch sehen, das sie
       brutzeln können.“
       
       Er entschied sich also dagegen, zog weiter sein eigenes Ding durch und
       veröffentlichte 2013 ein Mixtape, das erneut für große Aufmerksamkeit
       sorgte. Dieses Mal wehrte sich Disarstar nicht mehr gegen die
       Vereinnahmung. „All in“, sagt er und grinst. Kritische Distanz zum Kommerz
       bewahrt er sich trotzdem – Kapitalismus- und Systemkritik macht er auch zum
       Gegenstand seiner Songs. Subtilität ist dabei nicht seine Stärke, trotzdem
       wirken die Zeilen nicht gestelzt. „Wir haben Fehler im System / Wirklich
       jeder, den ich kenne, ist umgeben von Problemen“, rappt er etwa in
       „Kaleidoskop“. Der Song handelt von Menschen, die nicht reinpassen: dem
       Rentner von nebenan, der Pfandflaschen sammeln muss, um sein Essen bezahlen
       zu können. Der Flüchtling, der gerade erst in Deutschland angekommen ist
       und um Hilfe bittet.
       
       Die Ich-Perspektive, aus der Disarstar rappend erzählt, wirkt zwar manchmal
       etwas egozentrisch, rettet seine Songs aber auch vor plumpem
       Vor-sich-hin-Sinnieren über die Übel dieser Welt. „Es dauert viel länger,
       einen kritischen Text zu schreiben als einen Angebertext, der davon
       handelt, dass ich der Geilste bin“, sagt Falius. „Aber nur so Battlekram zu
       machen, das wäre gar nicht mein Ding.“
       
       Und die Texte müssen sitzen, denn sie stehen auf „Kontraste“ zu jedem
       Zeitpunkt im Vordergrund. Die Beats sind so vorsichtig um Falius’Stimme
       herum arrangiert, dass sie nur der Hervorhebung der Punchlines und ihres
       Inhalts dienen. Der einzige Song des Albums, der auf sehr melodischen
       Refrain setzt, tappt dann auch gleich in die Kitsch-Falle: Auf „Mein
       Palast“ kollaboriert Disarstar mit dem R&B-Sänger und Rapper Teesy und der
       verpasst ihm im Handumdrehen eine ordentliche Portion Schmalz, die so gar
       nicht zum Rest der Musik passen will.
       
       Solche Patzer sind aber zu verzeihen, wenn man sie als Resultat einer
       Selbstfindungsphase von Disarstar betrachtet, die anhaltend produktiv
       scheint. Seit Veröffentlichung seines Debüts hat sich Falius jedenfalls
       nicht ausgeruht, sondern produziert weiter an neuen Songs und verbringt
       ganze Nächte in seinem Studio. Es geht ihm gut, und er will den Flow
       nutzen. Letztens, sagt er, habe ihn eine Radiomoderatorin gefragt, was er
       sich für die Zukunft wünsche. „Da habe ich einen richtigen Kloß im Hals
       bekommen“, sagt Falius, „weil mir bewusst geworden ist, dass ich zum ersten
       Mal in meinem Leben jetzt gerade alles am besten finde.“ Carla Baum
       
       Disarstar: „Kontraste“ (Showdown Records/Warner)
       
       24 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carla Baum
       
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