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       # taz.de -- High Diving bei der Schwimm-WM: „Sterbe ich, kann ich nicht meckern“
       
       > Aus einer Höhe von fast 30 Metern stürzen sich die High Diver in einen
       > Nebenfluss der Wolga. Das Spektakel hat es zur offiziellen WM-Disziplin
       > geschafft.
       
   IMG Bild: Nichts für schwache Nerven: High-Diving-Wettbewerb am 31. Juli im tschechischen Hřiměždice.
       
       Klippenspringen sagt man im Deutschen, auch wenn bei der Schwimm-WM in
       Kasan weder Klippe noch Meer da ist. „High Diving“, das englische Wort,
       umschreibt den Wettbewerb, der daraus besteht, dass von einem hohen Turm in
       die Kasanka, einen Nebenfluss der Wolga, gesprungen wird, etwas genauer.
       Aus 27 Metern Höhe springen die Männer, aus 20 Metern die Frauen, und die
       Finale finden von Montag bis Mittwoch statt.
       
       Gute Bilder sind das, die aus Russland gesendet werden, spektakuläre
       Aufnahmen, die ältere Fernsehzuschauer noch an die „Cliff“-Werbung für
       Duschgel erinnern. Seit zwei Jahren, seit der Schwimm-WM in Barcelona, als
       in ein Hafenbecken gesprungen wurde, gehört High Diving zum offiziellen
       Programm von Schwimm-WMs.
       
       Deutsche WM-Hoffnung ist Anna Bader aus Freiburg, vor zwei Jahren in
       Barcelona noch Bronzemedaillengewinnerin. Sie hat ihr Referendariat als
       Englisch-, Spanisch- und Geografielehrerin für die Sekundarstufe zwei
       unterbrochen und gehört mit sieben Europameistertiteln zu den Favoritinnen
       des Frauenwettbewerbs.
       
       „Sterbe ich, kann ich nicht meckern“, zitiert sie sich selbst auf ihrer
       Website. Und sogar die Regelwächter des Weltschwimmverbandes Fina wollen
       die Todesnähe dieser Sportart nicht leugnen. Wenn einer ins Wasser
       gesprungen und wieder aufgetaucht ist, muss er – so ist es vorgeschrieben –
       mit einem zum Ring geformten Zeigefinger und Daumen zwei Rettungstauchern
       signalisieren, dass alles in Ordnung ist.
       
       ## Fast 90 Stundenkilometer
       
       Die Männer, die aus 27 Metern in die Tiefe rasen, donnern mit fast 90
       Stundenkilometern auf die Wasserfläche, die desto härter wird, je höher die
       Aufprallgeschwindigkeit ist. Zum Vergleich: Beim Sprung vom Zehnmeterturm
       sind es nur 50 Stundenkilometer.
       
       Anders als der Klippenspringer in der „Cliff“-Werbung versuchen die
       Spitzensportler die Belastung beim High Diving für die Kopf- und
       Nackenmuskulatur niedrig zu halten. Daher ist eine Landung mit den Füßen
       voran vorgeschrieben. Die Flugzeit von drei Sekunden erlaubt es aber,
       einige spektakuläre Drehfiguren zu zeigen; beim Sprung vom Zehnmeterturm
       beträgt sie nur etwa eine Sekunde.
       
       Zur anerkannten Sportart wurde High Diving erst durch den österreichischen
       Getränkekonzern Red Bull. Seit 2009 veranstaltet Red Bull die World Series
       der Cliff Diver. Die schon länger existierenden, inoffziellen
       Weltmeisterschaften trägt er seither ebenfalls aus, und auch das Regelwerk
       ist von den Vermarktungsinteressen des Konzerns geprägt: Vier Sprünge sind
       zu absolvieren, Punktrichter bewerten die gezeigten Figuren nach
       vorgegebenen Schwierigkeitsgraden.
       
       ## Beeindruckende Kulisse
       
       Es ist nicht nur der spektakuläre Sprung und auch nicht die spätestens von
       den Rettungstauchern symbolisierte Todesnähe, die Zuschauer fasziniert und
       die so gut in die Red-Bull-Ästhetik passt. Es sind auch die Bilder vor
       beeindruckender Kulisse, die den Sport vom bislang bekannten Springen in
       Hallenbädern deutlich unterscheidet. Als die Red Bull Cliff Diving World
       Series 2009 in Deutschland Station machten, wählte man im Hamburger Hafen
       das dort liegende Segelschiff „Rickmer Rickmers“, von dessen 25 Meter hohem
       Mast die Profis ins Wasser sprangen.
       
       Mit High Diving hat es nun erstmals eine Disziplin, die von einem Konzern
       zu Marketingzwecken entwickelt wurde und die perfekt in dessen
       Werbeästhetik passt, geschafft, ins reguläre Programm der WM einer
       olympischen Kernsportart aufgenommen zu werden.
       
       Erfunden hat Red Bull das High Diving aber nicht. Klippenspringen gibt es
       in Küstengegenden oft, berühmt etwa im mexikanischen Acapulco. Es waren
       ursprünglich Perlentaucher, die sprangen, aber mittlerweile ist die
       Eleganz, mit der die Springer ins Meer gleiten, eine Touristenattraktion.
       Auch in Deutschland hat das Wasserspringen Tradition.
       
       ## Schon vor dem Dreißigjährigen Krieg
       
       Die Halloren, also die Salzwirker aus Halle und Umgebung, die schon vor dem
       Dreißigjährigen Krieg das Schwimmen popularisierten, trugen schon früh
       Wettkämpfe im Wasserspringen aus. „Bereits sechsjährige Knaben sprangen von
       hohen Brücken und schwammen geschmeidig ans Ufer“, schreibt der
       DDR-Sporthistoriker Wolfgang Pahncke in seiner Geschichte des Schwimmens.
       
       Aus der Zeit weit vor Red Bull stammt auch der Weltrekord im
       Wasserspringen. Der deutsche Stuntman Harry Froboess sprang, dokumentiert
       im „Guinness-Buch der Rekorde“, am 22. Juni 1936 aus dem Zeppelin „Graf
       Hindenburg“ in den Lake Constance – aus 110 Meter Höhe.
       
       Froboess spielte in über 400 Filmen mit, unter anderem im Klassiker „Das
       Cabinet des Dr. Caligari“, und stolz trug er den großartigen Beinamen
       „Bademeister der Herzen“. 1985 starb Froboess in der Schweiz. Sein
       Weltrekord ist erst mal nicht in Gefahr.
       
       3 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauss
       
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