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       # taz.de -- Englische Serie auf Arte: Die Engländer, die können Mini
       
       > „Halb so alt wie sie“ erzählt von normalen Menschen mit normalen
       > Problemen – das aber großartig. Heute laufen alle drei Teile bei Arte.
       
   IMG Bild: Lernen sich bei der Arbeit kennen: Julie (Helen McCrory) und Aaron (Callum Turner).
       
       Da wird einem mal wieder vor Augen geführt, wie viel früher die Engländer
       doch mit Schule und Uni fertig sind. Der Dreiteiler heißt „Halb so alt wie
       sie“: „Sie“, Julie (Helen McCrory), ist, das wird explizit gesagt, 44 – und
       er, Aaron, soll vor drei Jahren schon seinen Uni-Abschluss gemacht haben.
       Sieht aber aus wie 17. Tatsächlich war der Schauspieler Callum Turner, als
       die Miniserie 2012 produziert wurde, 22 Jahre alt. In seiner Schlacksigkeit
       und Verwuscheltheit erinnert er ein bisschen an den blutjungen Eddie
       Redmayne.
       
       Die Eventmanagerin Julie, verheiratet, zwei gerade pubertierende Kinder,
       die in einem Landhotel Hochzeiten organisiert, und der beschäftigungslose
       Jungakademiker Aaron verlieben sich also ineinander. Julie richtet Aarons
       wohlgeratenem Bruder die Hochzeit mit Aarons Ex-Freundin aus und Aaron
       fängt bald darauf bei Julie als überqualifizierter Kellner an, alle Avancen
       der jungen Kolleginnen ausschlagend. So nehmen die Dinge ihren Lauf.
       
       „Tja, tut mir leid, aber es gibt Dinge, die man sich aus dem Kopf schlagen
       soll“, hatte Julie Aaron noch in Bezug auf die Ex-Freundin gesagt. Es
       könnte auch die Moral von der Geschichte oder das Motto des Formats sein.
       Aber damit würde man ihm nicht gerecht. Die Komplikationen, die diese große
       Liebe bewirkt, werden konsequent durchgespielt, ohne – das ist die große
       Stärke von „Leaving“, so der Originaltitel – dass dem etwas irgendwie
       Belehrendes eignete.
       
       Zwischendurch, wenn Julie sich dazu durchgerungen hat, sich zu trauen,
       nimmt das Geturtel ein bisschen Überhand und mancher Zuschauer könnte sich
       schon in einer Pilcher-Schmonzette wähnen. Das gehört möglicherweise sogar
       zum Plan von Tony Marchant (Drehbuch) und Gaby Dellal (Regie). Mit dem Ende
       des zweiten Teils drehen sie dann aber ordentlich auf, die letzte Folge ist
       Familien- und Sozialdrama pur – da gibt es ja eine lange britische
       Traditionslinie. Und wer am Ende welche Entscheidung trifft, ist durchaus
       überraschend.
       
       ## Mieser Miniserien-Standard
       
       Und, ach, apropos Tradition: Wie sieht es eigentlich mit deutschen
       Miniserien aus? Die Abenteuervierteiler des ZDF sind eine ferne
       Kindheitserinnerung, und [1][Helmut Dietl] hinterließ bereits mit seinem
       Wechsel in die Kino-Liga eine Lücke. Dieter Wedel, den einst gefeierten
       Großmeister des sozialkritischen TV-Mehrteilers hatte man zuletzt („Gier“,
       2010) auf zwei Teile runtergehandelt und seither von weiterer Beauftragung
       abgesehen.
       
       Dominik Grafs „[2][Im Angesicht des Verbrechens]“ (Zehn Teile:
       Miniserien-Obergrenze) hat die ARD (auch 2010) lieblos versendet.
       Derzeitiger deutscher Miniserien-Standard ist ein maßlos überfrachteter
       historischer Dreiteiler (Miniserien-Untergrenze) zum Jahresanfang
       (“[3][Unsere Mütter, unsere Väter]“, „[4][Tannbach – Schicksal eines
       Dorfes]“).
       
       Und die Engländer? Allein die in den vergangenen Wochen (hier bei uns) im
       Fernsehen gelaufenen Serien des Regisseurs James Strong („Broadchurch“,
       acht Teile; „Zwei Familien, ein Leben“, drei Teile) waren zum Niederknien –
       und vor Neid erblassen lassen – brillantes Fernsehen, das packende
       Geschichten von ganz normalen, mehr oder weniger gegenwärtigen Menschen
       erzählte. So wie jetzt „Leaving“.
       
       ## „Du weißt doch, wie ich aussehe. Und ich weiß es leider auch.“
       
       Auf Julie lastet kein Weltkrieg, sondern „nur“ der Trott von 22 Jahren Ehe.
       Julie mit ihrem Mann auf dem Bett:
       
       Er: „Können wir das Licht nicht ’n bisschen anlassen?“
       
       Sie: „So ist es viel – romantischer.“
       
       „Ich sehe aber gar nicht, wie du aussiehst.“
       
       „Du weißt doch, wie ich aussehe. Tja, und ich weiß es leider auch.“
       
       „Hey, das ist mir ganz egal.“
       
       „Ja, ich weiß.“
       
       Julie mit Aaron auf dem Bett, in Jonathan Franzens „The Corrections“
       blätternd:
       
       Sie: „Davon hab’ ich noch nie etwas gehört.“
       
       Er: „Das macht doch nichts.“
       
       „Kann ich’s mir mal ausleihen?“
       
       „Wieso denn?“
       
       „Weil du es liest und ich noch nie davon gehört hab’. Wir könnten darüber
       reden.“
       
       „Julie. So wie du bist mag ich dich.“
       
       „Nur ich nicht.“
       
       Die Angst vor dem Älterwerden gehört gewiss auch zu den Dingen, die man
       sich aus dem Kopf schlagen soll. Das weiß vermutlich jeder – ohne dass es
       einen Unterschied macht.
       
       24 Jul 2015
       
       ## LINKS
       
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