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       # taz.de -- Kriegsverbrechen in Libyen: Neun Todesurteile in Tripolis
       
       > Gaddafis Sohn Seif al-Islam wird zusammen mit acht weiteren Beschuldigten
       > zur Höchststrafe verurteilt. Das Verfahren ist umstritten.
       
   IMG Bild: 25. Mai 2015: Saif al-Islam wartet im libyschen Zintan auf eine Anhörung.
       
       Tunis taz | Ein Gericht in der libyschen Haupstadt Tripolis hat Seif
       al-Islam, einen Sohn des ehemaligen Machthabers Muammar al-Gaddafi, zu Tode
       verurteilt. Auch der ehemalige Geheimdienstschef Abdallah Senussi und
       Expremierminister Baghdadi al-Mahmoudi erhielten die Höchststrafe.
       
       Wie sechs weitere Vertreter des alten Regimes soll das Trio wegen
       Kriegsverbrechen während des Volksaufstandes im Jahr 2011 vor ein
       Erschießungskommando gestellt werden. Dreißig Angeklagte müssen lange
       Haftstrafen wegen Korruption verbüßen. In allen Verfahren ist eine Berufung
       möglich.
       
       Der 38 jährige Seif al-Islam wurde lange als Nachfolger seines Vaters
       gehandelt. Senoussi arbeitete vor der Revolution eng mit westlichen
       Geheimdiensten im Kampf gegen religiöse Extremisten zusammen.
       
       Der Massenprozess begann im April 2014. Das Verfahren wurde von
       Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch scharf kritisiert, da
       die Angeklagten meist nur kurz in einem vergitterten Teil des
       Verhandlungsaals vorgeführt wurden und nach internationalem Standard
       verwertbare Beweise im Dunkeln blieben. Oft nur mündlich weitergegebene
       Befehle stellten die größte Herausforderung für die Ankläger dar.
       
       ## Urteil in Abwsenheit
       
       Seif al-Islam, der in Abwesenheit verurteilt wurde, muss im Gegensatz zu
       den anderen Verurteilten vermutlich nicht mit der Vollstreckung seiner
       Strafe rechnen. Er wird in wechselnden Verstecken nahe der Kleinstadt
       Zintan 200 Kilomter südlich von Tripolis festgehalten.
       
       Die Zintanis sind mit der nach Ostlibyen geflohenen Regierung in Beida
       verbündet, während Tripolis fest in der Hand der Milizenallianz Fajr Libya
       ist, die mit religiösen Extremisten in Bengasi paktiert. Al-Mabrouk Ghraira
       Omran von der Regierung in Beida rief die internationale Gemeinschaft auf,
       das Urteil nicht anzuerkennen. Die Richter würden in ständiger Angst vor
       ihrer Entführung und Ermordung durch Milizionäre arbeiten.
       
       ## Streit mit Den Haag
       
       Seif al-Islam war 2012 in der libyschen Sahara von Revolutionären entdeckt
       worden, als er sich in den Niger absetzen wollte. In kurzen
       Videoschaltungen aus dem Zintaner Gericht hielt er immer wieder seine
       verbundene rechte Hand hoch, von der die Revolutionäre ihm drei Finger
       amputiert hatten. Mit ihnen hatte er den Libyern 2011 im staatlichen
       Fernsehen den Verlust von Strom, Wasser und Öl als Preis für den Aufstand
       prophezeit.
       
       Um den Prozeß hatte es auch eine Kontroverse mit dem Internationalen
       Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) gegeben. Dieser warf der libyschen
       Justiz anfangs Rachejustiz vor und forderte die Behörden auf, Abdallah
       Senoussi und Seif al-Islam Gaddafi aus zu liefern.
       
       ## Kritik an der EU
       
       Der aufständische Übergangsrat unter Mustafa Abdeljalil hatte die Richter
       in Den Haag im Frühjahr 2011 zu einer Untersuchung der Verbrechen des
       Regimes aufgerufen, wohl auch, um dem Militäreinsatz gegen Gaddafi neben
       der UN-Resolution 1973 eine moralische Legitimität zu geben.
       
       Doch die neuen Machthaber Libyens weigerten sich, die Angeklagten
       auszuliefern. Inzwischen bezeichnet Chef-Ermittler Fatou Bensouda das
       Verfahren als fair, verlangt aber weiterhin die Überstellung der
       Angeklagten in die Niederlande.
       
       Sahra Senussi, die in London lebende jüngste Tochter des ehemaligen
       Geheimdienstchefs Abdallah Senussi, klagte gegenüber der taz, die EU würde
       der im heutigen Libyen verbreiteten Rachejustiz tatanelos zusehen. Dabei
       hätten viele Behörden in Europa noch vor vier Jahren mit ihrem Vater im
       Kampf gegen die Islamisten zusammen gearbeitet.
       
       28 Jul 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Mirco Keilberth
       
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