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       # taz.de -- Verfassungsschutzchef Maaßen: Der angezählte Unruhestifter
       
       > Der Verfassungsschutzchef provozierte mit der Anzeige gegen
       > netzpolitik.org bewusst einen Warnschuss – ohne Rücksicht auf die
       > politischen Folgen.
       
   IMG Bild: In der Netzpolitik-Affäre derzeit untergetaucht: Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen.
       
       Berlin taz | Das Interview ist schon ein paar Tage alt, der
       Verfassungsschutz aber stellte es erst am Mittwoch auf seine Internetseite
       – auf dem Höhepunkt der Netzpolitik-Affäre. Was er, der
       Verfassungsschutzpräsident, davon halte, dass „immer wieder vertrauliche
       Informationen über die Arbeit der Nachrichtendienste“ im Internet landeten,
       erkundigt sich der Fragesteller, der Beamtenverband für Bundesbehörden. „Da
       sprechen Sie in der Tat gravierende Vorgänge an, die mich sehr
       beschäftigen“, greift Maaßen die Vorlage gern auf.
       
       Dann grollt er: „Terroristische Netzwerke oder uns feindlich gesinnte
       Staaten brauchen gar nicht mehr groß zu spionieren, wenn sie hochsensible
       Informationen aus den deutschen Nachrichtendiensten einfach in
       Internetportalen nachlesen können.“ Das, so Maaßen, sei „ein fast
       alltäglicher Skandal“, der unsichtbar bleibe.
       
       Es ist die jüngste Unmutsbekundung von Maaßen über Durchstecherei. Aber bei
       Weitem nicht die erste. Mit seiner Anzeige gegen die Netzpolitik-Artikel
       versuchte der Verfassungsschutzchef nun den Warnschuss – und brachte eine
       Affäre ins Rollen. Sie hat Generalbundesanwalt Harald Range das Amt
       gekostet. Justizminister Heiko Maas (SPD) strauchelte, Innenminister Thomas
       de Maizière (CDU) ist angezählt. Nun erreicht die Kritik auch Maaßen. Der
       Warnschuss wird zum Bumerang.
       
       Markus Beckedahl, einer der beiden Netzpolitik-Journalisten, gegen die
       ermittelt wird, nennt den Verfassungsschutzchef den „eigentlich
       Schuldigen“, der alles „in Gang gesetzt“ habe. Linkspartei-Chef Bernd
       Riexinger fordert seine Entlassung: Druck auf unliebsame Journalisten
       auszuüben sei mit dessen Amt „nicht vereinbar“. Auch die Grünen stellen
       Maaßens „Amtsverständnis“ infrage, seine Anzeige sei „abwegig“.
       
       Von dem obersten Verfassungsschützer selbst ist derzeit wenig zu hören. Die
       Vorwürfe blieben „unwahr“, sagte ein Sprecher des Amtes am Donnerstag nur.
       Man habe nie Anzeigen gegen Journalisten, sondern nur gegen unbekannt
       gestellt. Aber Maaßen weiß: Ausgestanden ist die Sache noch nicht.
       
       ## Landesverrat? Nie die Rede von gewesen
       
       Im Frühjahr hatte Maaßen Anzeige erstattet, weil das Blog netzpolitik.org
       den Haushaltsplan des Verfassungsschutzes von 2013 und Pläne für eine
       75-köpfige Internet-Taskforce veröffentlicht hatte. Von Landesverrat, heißt
       es aus dem Amt, sei aber nie die Rede gewesen. Soll heißen: Es war Range,
       der die Sache so hoch hängte. Nur stimmt das nicht ganz.
       
       Denn als die Bundesanwaltschaft die Anzeige in Zweifel zog, lieferte Maaßen
       im Mai auf Anfrage ein Gutachten nach. Es gehe um „Staatsgeheimnisse“,
       hielt dieses fest. Veröffentlicht wurden „hochkonspirative Methoden“, aus
       denen ausländische Dienste „Rückschlüsse“ ziehen könnten. Aus dem
       Dienstgeheimnis wurde nun Landesverrat. Dieser Vorwurf richtete sich aber
       nicht mehr nur gegen die Informanten, sondern auch gegen die
       Veröffentlicher – die Netzpolitik-Journalisten.
       
       Maaßen nahm das in Kauf, mindestens. Schon 2012, als im Bundestag der
       Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden tagte und Medien vertrauliche
       Dokumente zitierten, ärgerte er sich. Dann kam die NSA-Affäre, wieder
       wurden interne Akten öffentlich. Maaßen warnte Abgeordnete, beklagte in
       Interviews, das Vertrauen zu den US-Partnern habe „gelitten“.
       
       Als Maaßen im Mai in Berlin ein Symposium seines Amtes eröffnete, hielt er
       eine Brandrede. Er habe den Eindruck, „bestimmte Kreise“ wollten die
       deutschen Dienste „sturmreif schießen“. Nicht alles sei ein Skandal, „nur
       weil es den Medien unbekannt war“. Ein Skandal sei vielmehr, wenn „der
       geheime Wirtschaftsplan“ seines Amtes abgedruckt werde. Nur wenige im Saal
       verstanden, worauf sich dieser Verweis bezog. Maaßen aber hatte da bereits
       seine Anzeigen wegen der Netzpolitik-Artikel gestellt.
       
       ## Das Image wieder richten
       
       Seine Berliner Rede hatte einen Ton, den man von Maaßen bisher nicht
       kannte. Stets nüchtern, aber zielbewusst, tritt der Jurist auf, der 21
       Jahre im Bundesinnenministerium arbeitete. 2012 wurde er
       Verfassungsschutzchef. Da stand das Amt maximal ramponiert da: Maaßens
       Vorgänger war wegen der NSU-Mordserie zurückgetreten. Der Geheimdienst war
       trotz etlicher V-Leute den untergetauchten Rechtsterroristen nicht auf die
       Schliche gekommen, Mitarbeiter hatten Akten geschreddert.
       
       Maaßen wollte das Image wieder richten. Er versprach eine Reform und
       Transparenz, wollte „Vertrauen zurückgewinnen“. Die Opposition zweifelte:
       Der „empathielose Technokrat“ stehe nicht für einen Neustart.
       
       Dieser Ruf war vor allem Maaßens Rolle um den deutschtürkischen
       Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz geschuldet. Obwohl die USA Kurnaz
       unschuldig sahen, verhinderte ein Gutachten von Maaßen, damals Leiter des
       Referats für Aufenthaltsrecht im Innenministerium, seine Rückkehr: Kurnaz
       habe durch die lange Haft seine Aufenthaltsgenehmigung verwirkt.
       
       Es war eine Geste der Loyalität für seinen Vorgesetzten, Innenminister Otto
       Schily (SPD). Sie zeigte aber bereits, dass Maaßen weiß, wie man Paragrafen
       zielgerichtet einsetzt. Sie zeigte aber auch, was ihm bisweilen fehlt:
       politisches Gespür. Als die NSA-Affäre hochkochte, nannte Maaßen den
       Whistleblower Edward Snowden einen „Verräter“. Bei den NSU-Verbrechen sah
       er Fehler bei Polizei, Staatsanwaltschaften und den Thüringer
       Verfassungsschutz, nicht aber bei seinem Bundesamt. Und nun die
       Netzpolitik-Affäre.
       
       ## Linke: Verfassungsschutzreform gescheitert
       
       Maaßen sieht sich bei alldem nur als Dienstherrn in der Pflicht, als erster
       Verteidiger seines Amtes. Nützen tut es ihm nicht. Dass Maaßen reagiert,
       wenn Vertrauliches aus seinem Amt sickert, ist das eine. Dass er aber nicht
       kalkuliert, was es politisch bewirkt, wenn er dafür die größtmögliche
       Attacke wählt, das andere. Die Linke erklärte am Donnerstag die
       Verfassungsschutzreform für gescheitert. „Wenn es sie überhaupt gegeben
       hat“, sagt Fraktionsvize Jan Korte.
       
       Noch steht Maaßens Vorgesetzter, Innenminister de Maizière, hinter ihm.
       Eine Amtsgarantie aber ist das nicht. Sollte die Affäre noch anschwellen,
       wird er eher Maaßen gehen lassen, als dass es für ihn selbst eng wird.
       Verloren hat Maaßen schon jetzt. Die Netzpolitik-Journalisten stehen
       gestärkt und sind bekannter denn je. Die Bundesanwaltschaft wird sich sehr
       genau überlegen, ob sie in solch einem Fall noch mal ermittelt. Und das von
       Maaßen erhoffte Vertrauen für sein Amt, es rückt wieder in weite Ferne.
       
       6 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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