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       # taz.de -- Kolumne Vollbart: Geschichte wird gemacht
       
       > Partytalk in Berlin: Was der Trailer zum neuen Roland-Emmerich-Film
       > „Stonewall“ alles auslösen kann.
       
   IMG Bild: Hier wird auch heute noch wild geknutscht, nicht nur im Film: CSD vor dem echten Stonewall-Inn in New York.
       
       Partytalk in Berlin. „Hattest du schon immer den Salafistenbart?“. Ich
       verdrehe die Augen. Mein Gegenüber merkt, es ist besser, das Thema zu
       wechseln. „Hast du den neuen Trailer zu Roland Emmerichs „Stonewall“
       gesehen?“
       
       Hab ich. Während ich meinen Standpunkt erläutere, hört mir mein Gegenüber
       nicht mehr zu, schaut die ganze Zeit zu den Getränken rüber, zupft an
       seinem Tanktop und offenbart seine muskulöse, haarlose Brust für einen
       Augenblick, sagt dann: „Ich finde es ja super. Endlich werden Schwule auch
       mal als politische Akteure in Filmen repräsentiert.“ Ich verdrehe wieder
       die Augen und murmele: „Klar, solange sie weiß und süß sind.“
       
       Ausgang von Emmerichs Film sind die „Stonewall Riots“: 1969 ereignete sich
       der bis dahin größte queere Aufstand in New York. Polizisten führten
       Razzien im New Yorker Stonewall Inn durch.
       
       Das Stonewall Inn war eine Bar, die vor allem von Trans*, Strichern, Drags,
       homosexuellen Obdachlosen und anderen Marginalisierten besucht wurde. Also
       Marginalisierten in einer marginalsierten Community. Sie alle hatten es
       satt, ständig diskriminiert zu werden – und haben sich gegen die Polizei
       gewehrt. Dieser Tag gilt heute als einer der Wendepunkte queerer
       Geschichte.
       
       An der Front der „Stonewall Riots“ standen die beiden Drag- und
       Transaktivist_innen Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera – und eben nicht
       ein süßer, kleiner, cis-gendered, weißer Junge. Den ersten Stein gegen die
       Polizei soll übrigens auch Johnson geworfen haben.
       
       Zurück zur Party. „Es ist doch egal, wer vorkommt und wer nicht. Das wird
       bestimmt ein super Film, der vielen jungen homosexuellen Menschen hilft.“
       Jetzt fuchtele ich mit meinen Händen, während ich spreche. „Ja, es hilft
       vor allem braven, weißen, jungen homosexuellen Männern. Den Konformen. Was
       ist mit den anderen?“.
       
       Es ist albern, sich über einen Trailer aufzuregen. Es ist aber dann nicht
       mehr albern, wenn eben der Film suggeriert, die wahre Geschichte erzählen
       zu wollen – und dabei die Hauptpersonen dieser Geschichte negiert.
       
       „Wir haben schlimmere Probleme als einen Trailer. Schau dir mal an, wie wir
       Schwulen in Deutschland diskriminiert werden, nur weil wir heiraten
       wollen.“ Jetzt kann ich nicht mehr aufhören, die Augen zu verdrehen und
       fuchtele noch mehr mit den Händen. „Das ist nicht unbedingt das
       dringlichste Problem.“ Er: „Na klar, du mit deiner Antihaltung. Spielst
       damit wieder schön den Rechten in die Hände“. Ich: „Willst du mich
       eigentlich verarschen? Nur weil du auf Twitter #ehefüralle oder dein
       Profilfoto in Regenfarben postest, weißt du alles besser?“
       
       Am Ende war ich aber wahrscheinlich einfach nur zu laut, zu aufbrausend und
       habe zu viel gefuchtelt. Ich, mein Salafistenbart und mein schwabbliger
       Körper gehen nach Hause. Genug Kartoffeltalk für einen Abend.
       
       9 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Enrico Ippolito
       
       ## TAGS
       
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