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       # taz.de -- Deutsche Fluchthelfer damals und heute: Die guten Schleuser
       
       > Er grub 1962 in Westberlin einen Tunnel, sie transportiert heute
       > Migranten ins Land. Lange verehrt, heute bekämpft: deutsche Fluchthelfer.
       
   IMG Bild: Im französischen Calais überqueren Flüchtlinge einen Zaun, um zum Eurotunnel zu gelangen.
       
       Als der ältere Herr in der Mittagssonne rückwärts von der Ladefläche fällt,
       fährt der Wagen, ein Toyota Land Cruiser mit Allradantrieb, weiter
       geradeaus. Der Aufprall des Körpers im Saharasand ist nicht zu hören.
       Vermutlich ist der Mann sofort tot. Wer weiß das schon.
       
       Auch als der junge Mann aus Äthiopien in der Nacht vom Auto fällt, Stunden
       später, der Himmel ist sternenklar, hält der Wagen nicht an.
       
       Zwei weitere Männer verdursten während dieser Autofahrt auf der Ladefläche
       neben Mohammad al-Khartal. Erinnerungen.
       
       Der 28-Jährige hat diese Fahrt überlebt. 1.500 Dollar hat er bezahlt, damit
       eine Gruppe Fremder ihn von einem kleinen Grenzort im Nordwesten Sudans in
       ein Wüstenlager in der Libyschen Wüste bringt.
       
       Für die nächste Strecke aus diesem Lager in die libysche Küstenstadt
       Tripolis werden weitere 1.500 Dollar fällig. Dann reicht sein Geld nur noch
       für die einfachste Bootsklasse, die die Schleuser im Angebot haben: ein
       kleines graues Schlauchboot, 800 Dollar für die Fahrt über das Mittelmeer
       nach Sizilien. Vier Tage wird al-Khartal schließlich auf offener See
       treiben, bis ein Containerschiff ihn inmitten von rund 100 weiteren
       Passagieren auffinden wird, orientierungslos.
       
       ## Eine exemplarische Geschichte
       
       Zwischen jenem kleinen Ort im Sudan, in dem seine Reise vor sechs Jahren
       begann, und Stuttgart, wo er heute lebt, haben Menschenschmuggler
       al-Khartal auf sieben verschiedenen Routen weitergeholfen.
       
       Die letzte Schmugglerin hieß Kerstin Gmeinwieser. Sie war die einzige, die
       kein Geld nahm.
       
       Während der junge Mann von seiner Odyssee erzählt, liegt ein Smartphone auf
       dem Tisch. Immer wieder wischt er zu neuen Bildern seiner Reise. Mohammad
       al-Khartal heißt in Wirklichkeit anders. Er lebt ohne Papiere in
       Deutschland. Deshalb gibt es in diesem Text einige Namen, die nicht
       stimmen. Und Details, die verändert sind. Zum Beispiel, dass al-Khartal in
       Stuttgart lebt. Es ist eine andere deutsche Großstadt. Es ist für ihn
       wichtig, dass er nicht wiederzuerkennen ist.
       
       Was er erlebt hat, stimmt, sagt er. Seine Geschichte ist die Geschichte
       Zehntausender Menschen. Weit mehr als 220.000 Menschen kamen nach
       UN-Angaben allein in diesem Jahr bereits auf der Flucht über das Mittelmeer
       nach Europa. Nach Recherchen eines europäischen Journalistenkollektivs sind
       in den vergangenen 15 Jahren mehr als 23.000 Menschen bei diesem Versuch
       auf See ums Leben gekommen.
       
       ## Heute ist Schengen eine Mahnung
       
       Phase eins. Rufzeichen: DRAI. Das ist die Funkkennung der
       „Schleswig-Holstein“. Länge: 138,9 Meter. Breite: 16,7 Meter. 6,9 Meter
       Tiefgang. Besatzung: 219 Mann. Die Fregatte steht im Dienst der Deutschen
       Marine. Ihre Mission EU Navfor Med ist eine Militäroperation der
       Europäischen Seestreitkräfte. Ihr Auftrag: die Bekämpfung des
       Menschenschmuggels und der Menschenhandelsnetzwerke vor der libyschen
       Küste. Die Marinesoldaten sollen die Schleuser fangen, mit Seeaufklärern
       und Drohnen, Satellitentechnik und Geheimdienstinformationen.
       
       „Phase eins“ dient der Aufklärung. Geht es nach der Europäischen Union,
       sollen später, in den Phasen zwei bis drei, auch die Boote der Schleuser
       zerstört werden. Folgt man der Bundesregierung, so sind die Schleuser zu
       einer der größten Bedrohungen an Europas Grenzen geworden. Sie bringen all
       die Menschen her.
       
       Schengen ist eine kleine Gemeinde im Großherzogtum Luxemburg. Sie gehört
       zum Kanton Remich und zählt knapp 5.000 Einwohner. Schengen, das ist aber
       auch ein Versprechen gewesen, seit am 14. Juni 1985 zunächst fünf
       EU-Mitgliedstaaten auf einem Moselschiff in der Nähe des Örtchens ein
       Abkommen unterzeichneten, das zu einer Vision von Europa führen sollte:
       einem Raum ohne Grenzkontrollen. Reisefreiheit. Frieden. Heute steht in
       Schengen ein Stück der Berliner Mauer. Es soll eine Mahnung sein.
       
       26 Staaten listet das Auswärtige Amt auf seiner Homepage auf, die das
       Schengener Abkommen vollständig anwenden. Doch der Traum von Schengen hat
       in den vergangenen Monaten Risse bekommen. Seitdem mehr und mehr
       Migrantinnen und Migranten nach Mitteleuropa reisen, ziehen die
       Mitgliedstaaten die Grenzen wieder hoch. Weil allgemeine Grenzkontrollen
       verboten sind, wird gezielt gesucht, werden vor allem dunkelhäutige
       Menschen angehalten, ihre Papiere überprüft, sie im Zweifel festgesetzt.
       
       ## Nur wer mit dem Flugzeug kommt, hat eine Chance
       
       Es gibt ein anderes Wort für dieses Vorgehen: Racial Profiling. In den
       Zügen von Italien nach Deutschland, berichten Flüchtlingsaktivisten, hätten
       dunkelhäutige Menschen kaum eine Chance, die Grenzen ohne Kontrollen zu
       passieren. Wer einen geregelten Aufenthaltsstatus hat, darf weiterfahren.
       Aber was ist mit denen, die erst in Deutschland Asyl beantragen wollen?
       
       Das regelt eine Verordnung, „Dublin II“. Demnach muss das Land das
       Asylverfahren abwickeln, das der Antragssteller zuerst betreten hat. Man
       nennt das Drittstaatenregelung. Für Deutschland ist sie angenehm. Denn wer
       nicht per Flugzeug kommt, hat kaum eine Chance auf ein Asylverfahren in
       Deutschland. Die Bundesregierung hat deshalb im Hinblick auf die
       Fliehenden, die über das Mittelmeer kommen, ein besonderes Interesse daran,
       dass etwa italienische Behörden von möglichst vielen die Fingerabdrücke
       registrieren. Und, natürlich, dass es keine illegalen Weiterreisen gibt.
       
       In einem Café, in dem fettiger Kirschstreuselkuchen serviert wird – sagen
       wir: in Hannover –, sitzt an einem Hochsommertag im Juli eine Frau, die ein
       Kind auf dem Arm trägt. Sie könnte ebenfalls Kerstin Gmeinwieser heißen,
       aber nennen wir sie doch Marie-Luise Börmann, was macht das schon.
       
       Vor einigen Wochen hat Marie-Luise Börmann sich einen Leihwagen gemietet,
       mit einem Münchner Kennzeichen. Sie wählte bewusst eine Limousine, Marke
       BMW. Börmann kam adrett gekleidet zum Mietschalter, dann fuhr sie in einen
       kleinen italienischen Ort kurz hinter der Grenze. Dort holte sie einen Mann
       ohne Papiere ab. Sie hatte die Rückreise penibel geplant, fuhr an einem
       Wochentag im Berufsverkehr an die österreichische Grenze heran, dann an die
       deutsche. Vormittags fuhr sie durch Bayern, mittags war sie in Hessen. „Es
       gibt sonst kaum noch einen Weg für Menschen, die über das Mittelmeer
       geflohen sind, nach Deutschland zu kommen“, sagt Börmann. „Es kommt auf
       jeden Einzelnen an.“
       
       Viermal war Börmann im vorigen Jahr in Italien, um Fluchthilfe zu leisten,
       mal fuhr sie dazu nach Rom, mal nach Venedig. Sie hat damit Straftaten
       begangen.
       
       ## Ein Menschenverachter? Ein Helfer?
       
       Paragraf 96 Aufenthaltsgesetz, „Einschleusen von Ausländern“: Danach macht
       sich strafbar, wer Ausländern wiederholt oder in mehreren Fällen dabei
       hilft, illegal in Deutschland einzureisen. Höchststrafe: fünf Jahre
       Freiheitsentzug. Wer bandenmäßig handelt, dem drohen bis zu zehn Jahren
       Gefängnis. Auch der Versuch ist strafbar.
       
       Gerade erst hat vor dem Berliner Landgericht ein Prozess gegen einen Mann
       begonnen, der als einer der Hauptorganisatoren mehr als 300 Migranten,
       überwiegend aus Afrika, aus Italien nach Nordeuropa gebracht haben soll.
       Die Drehkreuze hießen Mailand und Berlin. 750 Euro pro Person soll der
       30-Jährige für diese Leistung jeweils verlangt haben.
       
       Marie-Luise Börmann verlangt kein Geld für ihre Hilfe. Wenn sie fährt,
       dann, um Leute zu holen, deren Schicksale sie bereits kennt. Sie macht
       Flüchtlingsarbeit, sie ist gut vernetzt. Und sie ist bei Weitem nicht die
       Einzige, die aktive Fluchthilfe leistet. Erst gestern kam eine Freundin von
       ihr aus Italien zurück. Sie brachte einen Mann aus Eritrea mit. Zehn Jahre
       war er zuvor auf der Flucht gewesen, nie kam er irgendwo an, dann hatte er
       Glück. Er kann jetzt in einem Hausprojekt in einer großen deutschen Stadt
       unterkommen. Es gibt sogar eine Frau, die ihn heiraten würde. Eine
       Scheinehe, damit er bleiben kann.
       
       Jeden Tag bekommt Marie-Luise Börmann Anrufe von Menschen, die gern ihre
       Hilfe hätten. Von interessierten Menschen, die wissen wollen, was sie mit
       einer Fluchthilfe riskieren. Manchmal rufen auch Flüchtlinge selbst an,
       teils aus Nordafrika, sagt die junge Frau. Sie wollen dann wissen, ob
       Börmann ihnen bei der Einreise nach Deutschland weiterhelfen kann, falls
       sie es einmal bis nach Italien schaffen. Irgendwann häuften sich diese
       Anrufe so sehr, dass Börmann sich eine neue Telefonnummer zulegte. Sie kann
       nicht für alle da sein, das ginge ja gar nicht.
       
       ## Es gab eine Zeit, da war Fluchthilfe eine Heldentat
       
       Der Zweite Weltkrieg. Millionen von Menschen, Vertriebene, Fliehende, auf
       der Suche nach Unterkunft, auf dem Weg ins Exil. Dann der Fall des Eisernen
       Vorhangs, der Mauerbau. Die Geschichte der DDR ist auch eine große
       Geschichte des Fluchtversuchs, andauernd über Jahrzehnte.
       
       Ekkehard Schirmer, 79 Jahre alt, öffnet gebeugt die Tür seiner
       Eigentumswohnung am Gleisdreieck in Berlin. Er schiebt den kleinen
       schwarzen Rollator, Modell Topro Troja, an den edlen Holztisch in seinem
       Wohnzimmer, dann setzt er sich, schwer atmend, auf den Stuhl mit der
       geschwungenen Rückenlehne. Zwei Dutzend Drucke, Aquarelle und Stiche, fein
       gerahmt, hängen an der Wand über dem Tisch, allesamt Damenporträts. Auf
       einer Anrichte steht eine Engelsfigur. Der Fußboden: feines Parkett.
       
       Zwei Wochen ist es her, dass sie ihm den Hals aufgeschnitten haben, um
       seine Mandeln zu entfernen. Krebs. Die frische Narbe, die sich rechts über
       seinen Hals zieht, pulsiert noch fleischrot. Ekkehard Schirmer ist
       Fluchthelfer.
       
       Berlin in den 1960er Jahren. Zwölf Tunnel wurden damals allein an der
       Bernauer Straße gegraben, wo die frisch errichtete Mauer den Ostteil der
       Stadt vom Westen trennte. Nur drei davon wurden fertiggestellt. Einer hieß
       Tunnel 29. Er begann in einem Fabrikgelände in der Bernauer Straße 78,
       Berlin West, und endete in einem abgelegenem Kellerraum in der Schönholzer
       Straße 7, Berlin Ost. 135 Meter lang, einen Meter hoch, ein Belüftungsrohr,
       das an einen Staubsauger angeschlossen war, stabilisiert mit extra
       herbeigeschafftem Grubenholz aus dem Ruhrgebiet. Im Lauf des Tunnels waren
       Knicke angelegt, damit die DDR-Volkspolizisten im Ernstfall nicht einfach
       hindurchschießen konnten.
       
       ## Die Durchlöcherung der Berliner Mauer
       
       Es gibt über diesen Tunnel einen kleinen Wikipedia-Eintrag. Es gibt sogar
       einen Dokumentarfilm. Wertvoller aber sind sicher die handschriftlichen
       Aufzeichnungen, die Ekkehard Schirmer für dieses Treffen an seinem Esstisch
       mit einem blauen Kugelschreiber zu Papier gebracht hat. Es sind
       Erinnerungen an eine Zeit, in der Fluchthelfer gefeiert wurden.
       
       „Wir waren keine Helden“, sagt Schirmer. „Wir hatten ja nichts zu
       befürchten.“ Die Durchlöcherung der Mauer, das sei doch Ehrensache gewesen.
       „Es war eine gute Tat, die man da vollbrachte.“
       
       Der Tunnel 29: Die Westberliner Feuerwehr kannte ihn, der damalige
       Bürgermeister soll von ihm gewusst haben. „Einmal“, erzählt Schirmer, „war
       sogar die Polizei da. Die haben geguckt, ob mit dem Bau alles in Ordnung
       ist, dann sind sie wieder weggefahren. Fertig.“ Er meint die Westberliner
       Polizei, versteht sich. Das macht all den Unterschied.
       
       Wenn dann im Sommer 1962 der Bus mit den zugeklebten Scheiben vor dem
       Haupteingang der Technischen Universität Berlin anhielt, stieg Schirmer mit
       einigen Kommilitonen ein. Ein paar kannten sich, wer sich noch nicht
       kannte, sollte anonym bleiben. Sechs Meter unter der Erde, an der Bernauer
       Straße, gruben sie dann ein Loch, weiter und weiter. Über viele Wochen,
       täglich zwei bis drei Stunden, lag Schirmer rücklings in feuchten
       Lehmpfützen, trat mit den Füßen seinen Spaten ins Gestein. 29 Menschen
       gelangten durch diesen Tunnel in den Westen. Dann flog er auf, weil
       Beteiligte, so erzählt man sich, die Filmrechte gegen Bargeld an den
       amerikanischen Fernsehsender NBC verkauft haben sollen. Kaum waren die
       Bilder in der Welt, war die Fluchtroute geschlossen.
       
       ## Ostdeutsche kamen durch die Kanalisation
       
       Für ihn selbst, sagt Schirmer, sei das alles mehr so ein Abenteuer gewesen.
       Er machte weiter, auch als der Tunnel 29 dicht war. „Jedes Mal, wenn ein
       Flüchtling durchkam und in unserer WG eintraf, wurde eine große Party
       gefeiert.“ Wer dem Mann länger zuhört, dem dämmert, wie selbstverständlich
       es sein kann, Menschen zu helfen, über Grenzen zu gelangen.
       
       In Schirmers Wohngemeinschaft in der Ansbacher Straße schnitzten
       Kommilitonen aus Kastanien die hoheitlichen Stempel der Bundesrepublik
       Deutschland nach. „Es gab da ein paar Künstler, die hatten beachtliche
       technische Fertigkeiten.“ Dann wurden Pässe gefälscht, Autos umgebaut,
       einige Ostdeutsche kamen durch die Kanalisation nach Westberlin. Andere
       klammerten sich außen an die S-Bahn.
       
       Ekkehard Schirmer sitzt gebeugt an seinem Wohnzimmertisch. Er könne
       manchmal, sagt er, die Schmerzen nicht mehr aushalten. Vor zehn Jahren
       wurde bei ihm Parkinson diagnostiziert, eine unheilbare Krankheit. „Wenn
       ich heute noch könnte, würde ich wieder Fluchthilfe leisten.
       Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien oder aus dem Sudan verdienen doch unsere
       Hilfe.“ Er warte noch, sagt Schirmer, „auf ein Netzwerk, eine Gruppe, eine
       Partei, die da ganz praktisch Hilfe leistet.“
       
       ## Sommerurlauber als Fluchthelfer
       
       Fluchthelfer damals. Fluchthelfer heute. Es gibt sie, die Netzwerke. Es
       gibt sie, die Tricks. Mit der Mitfahrzentrale über Grenzen. Mit dem
       Flugticket – und verkleidet.
       
       Wenn vieles gut geht, dann kann es manchmal gelingen, dass Einwanderer ohne
       Papiere mit dem Flugzeug durch den Schengenraum reisen. Sie bekommen
       vielleicht, so ist zu hören, einen noblen Anzug spendiert. Und sie laufen
       dann mit einer Laptoptasche und einem Handy am Ohr besonders rasch an der
       Passkontrolle vorbei, ihrer wartenden Familie in die Arme. Es ist eine
       künstliche Familie, die da wartet, gecastet von Unterstützern. Neue Zeiten
       erfordern neue Ideen.
       
       Am Timmelsjoch, einem Grenzpass zwischen Italien und Österreich, schlängelt
       sich ein weißer VW Touran die kurvigen Bergstraßen entlang. Vorne im Auto
       ein Ehepaar, hinten im Auto ein Flüchtling.
       
       So zeigt es das Kampagnenvideo, mit dem das Berliner Kollektiv Peng!, ein
       loser Zusammenschluss von Künstlern und Aktivisten, seit Montag eine solche
       Idee präsentiert: Fluchthilfe für jedermann. Mit ihrer Kampagne wollen die
       Aktionskünstler deutsche Sommerurlauber zum zivilen Ungehorsam animieren.
       Die Botschaft: Sie sind gerade ohnehin mit der Familie im Italienurlaub?
       Dann bringen sie doch auf dem Rückweg einen Flüchtling mit nach
       Deutschland.
       
       ## „Wir müssen über unsere Verantwortung reden“
       
       Auf ihrer Homepage gibt die Gruppe rechtliche Hinweise und praktische
       Tipps. Es könne nicht schaden, ein Tramperschild im Auto zu haben. Und
       vorsichtshalber nicht zu viel Bargeld. Nicht dass es am Ende so aussieht,
       als sei bei der Sache Geld geflossen.
       
       Die Rechtseinschätzung des Aktivistenkollektivs lautet: Wer sich nicht
       bezahlen lässt, nur eine Person mitnimmt und nur einmal und erstmalig
       erwischt wird, hat nicht allzu viel zu befürchten. Denn tatsächlich richtet
       sich der sogenannte Schleuserparagraf ganz besonders gegen organisierte und
       gewerbliche Schleuserbanden. Interessant ist die Frage daher schon: Wie
       verhält sich ein Staatsanwalt, wie urteilt ein Gericht, wenn der humanitäre
       Aspekt an erster Stelle steht?
       
       Peng! will nun für Spendengelder werben, mit denen die Rechtshilfe für
       solche Menschen bezahlt werden kann, die bei dem Versuch erwischt werden,
       papierlose Einwanderer mit ins Land zu bringen. „Wir müssen über unsere
       Verantwortung reden“, sagt ein Sprecher, der sich Maximilian Thalbach
       nennt. Sein echter Name ist der Redaktion bekannt. „Was kann jeder von uns
       tun, um Menschen in Not ein Stück weiterzuhelfen?“
       
       Bereits am ersten Tag der Kampagne kamen mehr als 10.000 Euro an
       Spendengeldern zusammen. Die Gruppe will so nicht nur zur Fluchthilfe
       aufrufen und Fluchthelfer unterstützen, sondern auch eine Debatte in Gang
       bringen. Thalbach fragt: „Wieso feiern wir die einen, aber die anderen
       nicht?“ Er meint die DDR-Geschichte. Er meint die Gegenwart.
       
       ## Willst du mitkommen?
       
       Wenn Mohammad al-Khartal seine Erinnerungen schildert, lächelt er. Je
       schlimmer sie sind, desto mehr. Die Männer, die von der Ladefläche fielen –
       ein Lächeln. Die Organhändler aus dem Sinai – ein Lächeln. Natürlich habe
       er Vergewaltigungen mitansehen müssen, sagt er. Er lächelt, fast lacht er.
       Eine Frau, eine Vertraute von ihm, die beim Gespräch seinen Schilderungen
       folgt, beginnt zu weinen. Seit seiner Überfahrt über das Mittelmeer hat
       Mohammad al-Khartal Angst vor Wasser.
       
       „Ich bin sechs Jahre lang durch die Hölle gereist“, sagt al-Khartal. „Wenn
       ich mich noch einmal entscheiden sollte, dann würde ich mich für das
       Sterben entscheiden.“ Er lächelt wieder, während er diesen Satz sagt.
       
       In Calais, einer Stadt in Nordfrankreich, wo der Eurotunnel durch den
       Ärmelkanal das französische Festland mit Großbritannien verbindet, hat der
       Tunnelbetreiber gerade wieder neue Barrieren errichtet. Allein im Jahr 2015
       hat die Betreibergesellschaft nach eigenen Angaben bereits 15 Millionen
       Euro für solche Sicherheitsmaßnahmen ausgegeben. Immer wieder versuchen
       Migranten, die über das Mittelmeer kamen und es bis hierher geschafft
       haben, an diesem Ort auf einen der Güterzüge zu springen, die in den Tunnel
       nach England rollen. Seit Anfang Juni sind dabei bereits neun Menschen ums
       Leben gekommen.
       
       In der Nähe dieses Tunnels traf Mohammad al-Khartal auf Kerstin
       Gmeinwieser. Die Flüchtlingsaktivistin aus Deutschland wollte wissen, was
       dort in Calais los ist. An einem Abend fuhren die beiden ans Meer. Sie
       blies einen rot-weißen Plastikball auf, damit spielten sie Fußball. Dann
       bestellte sie Pommes mit Essig.
       
       „Wenn sich die Wahrnehmung dreht“, sagt Kerstin Gmeinwieser heute, „wenn
       aus dem unbekannten Flüchtling plötzlich ein Mensch wird, dann ändert sich
       ganz plötzlich alles.“ Sie fragte Mohammad al-Khartal, ob er mitkommen
       will. Dann stiegen sie in ihr Auto.
       
       12 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Kaul
       
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       Kontrollzentrum. Die Bürgermeisterin von Calais verlangt derweil eine
       Entschädigung.
       
   DIR Flüchtlingshilfe in Deutschland: Ein Sofa ist gut, Respekt ist besser
       
       Das eigene Sofa einem Flüchtling anzubieten, ist wichtig. Noch wichtiger
       ist aber, dass Flüchtlinge selbst entscheiden, was sie wollen.
       
   DIR Freifunk-Wlan für Asylbewerber: Abgeschnitten vom Zuhause
       
       Flüchtlinge könnten in Schleswig-Holsteins Erstaufnahme kostenlos ins Netz
       – eigentlich. Denn Ministerium und Ausländeramt trödeln.
       
   DIR Flüchtlingsdrama im Mittelmeer: Wieder Hunderte Flüchtlinge gerettet
       
       Internationale Teams suchen Überlebende des Unglücks vom Mittwoch. Auch am
       Freitag wurden Hunderte Flüchtlinge gerettet, etwa 200 werden noch
       vermisst.
       
   DIR Flüchtlingsroute Calais-Dover: Geld für die Abwehr von Flüchtlingen
       
       Großbritannien und Frankreich erhalten von der EU 266 Millionen Euro bis
       zum Jahr 2020, um die Lage am Ärmelkanal unter Kontrolle zu bringen.
       
   DIR Wie Flüchtlinge nach Berlin kommen: „Fluchthelfer oder Schlepper“
       
       Das Bild des Fluchthelfers hat sich gewandelt. Wieso, erklärt Georg
       Classen, Mitarbeiter des Berliner Flüchtlingsrats und Experte für
       Flüchtlingssozialrecht.
       
   DIR Solidarität mit Flüchtlingen in den 70ern: Organisiert das!
       
       Die intellektuelle, künstlerische und Show-Elite mobilisierte 1978. Die
       Solidarität mit den rund 1,5 Millionen „Boatpeople“ war und ist
       beispielhaft.