URI: 
       # taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Zu doof zum Überleben
       
       > Die Fliege rumst immer wieder an die Scheibe, Motten verbrutzeln ständig
       > an Glühbirnen. Doch der Mensch ist kein Stück schlauer.
       
   IMG Bild: Dieser Lemur war leider dumm genug, sich einfangen zu lassen und landete im Zoo von Tbilisi in Georgien.
       
       Bruummmm – bamm. Stille. Bruummmm – bamm. Stille. Brummmm – bamm.
       
       Sie begreift es nicht. Auch beim vierten Anflug steht die Fensterscheibe
       der Fliege im Weg. Bamm. Wieder knallt sie mit dem Kopf gegen das Glas.
       Kurz krabbelt sie über den Rahmen, träumt von den grünen Bäumen da draußen,
       dann dreht sie um und fliegt aus dem Zimmer. Zur Scheibe der Balkontür.
       Brummmm – bamm.
       
       Wie soll man denn da arbeiten? Ich stehe vom Schreibtisch auf, wo ich einen
       Text über die Wunder unserer Natur verfassen soll. Grashalme als
       architektonische Meisterleistung, Delfine als Weise der Meere, so ’n
       Zeugs.
       
       Nein, ich hole nicht die Fliegenklatsche. Sondern ein Glas. Stülpe es über
       den dicken schwarzen Brummer, als er benommen am Fensterbrett
       entlangtaumelt. Ich öffne die Balkontür und entlasse ihn zwischen dem
       Rosmarin und den komischen roten Blüten daneben. Der Brummer dreht ab.
       Wahrscheinlich nur, um an der nächsten Windschutzscheibe zu zerschellen.
       
       Habe ich dem Tier durch den Rausschmiss unrecht getan? Immerhin ist es eine
       Stubenfliege, die ich in der Wohnung nicht haben wollte. (Nun gut, ich
       akzeptiere auch keine Bettwanzen). Oder habe ich der Evolution ins Handwerk
       gepfuscht, als ich sie rettete? Der Gedanke kommt mir häufig: dass Tiere
       zum Überleben manchmal einfach zu blöd sind.
       
       So wie dieser vertrottelte Rehpinscher letztens im Grunewald. Als ich den
       Weg entlangjogge, kommt er aus dem Unterholz getrabt, ohne nach rechts oder
       links zu gucken. Ich bin größer als er, ich nähere mich schnell. Wäre ich
       ein großes Raubtier, wäre er in höchster Gefahr. Er schnarcht auf den Weg
       und läuft mir vors Knie. Bamm.
       
       Tiere tun häufig Dinge, von denen man schon in der Kita lernt, sie besser
       zu lassen. Motten flattern so lange um die heiße Lampe herum, bis sie an
       ihr verbrutzeln. Igel rollen sich zusammen, wenn sie bei Rot über die
       Straße laufen und ein Auto kommt. Rehe bleiben im Dunkeln stehen, wenn man
       sie blendet. Fische schwimmen nachts mit Vorliebe zu der Lampe, hinter der
       der Fischer lauert. Wale schwimmen auf Strände, wo sie von Umweltschützern
       umständlich gerettet werden – nur, um auf dem nächsten Strand zu sterben.
       
       Was soll das? Normalerweise sind Tiere sehr gut an ihre Umgebung angepasst
       und halten ihre fünf Sinne beisammen. Selbstmord liegt ihnen nicht. Sie
       vollbringen die erstaunlichsten Leistungen, sie fliegen um die halbe Welt,
       schleppen sogar riesige Lasten durch die Gegend oder können täuschend echt
       Handy-Klingeltöne nachmachen.
       
       Warum sind sie manchmal so dumm? Sind sie überfordert? Haben sie die
       falschen Reflexe für das moderne Leben?
       
       Das muss man sich mal vorstellen: eine höher entwickelte Lebensform, die im
       Angesicht der Gefahr nicht reagiert. Oder die genau das tut, was ins
       Verderben führt. Die immer wieder gegen die Scheibe rennt, mit dem Feuer
       spielt und die Verbotenes besonders attraktiv findet. Die den Ast absägt,
       auf dem sie sitzt. Eigentlich unglaublich dämlich, oder?
       
       1 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
       ## TAGS
       
   DIR Tiere
   DIR Dummheit
   DIR Gesundheit
   DIR Evolution
   DIR Landwirtschaft
   DIR Energiewende
   DIR Tierschutz
   DIR Religion
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Parasiten in Flugzeugsitzen: Spürnase gegen Wanzen
       
       Spürhunde sorgen an deutschen Flughäfen dafür, dass Flugzeugsitze nicht von
       Bettwanzen befallen sind. Die Nachfrage nach ihren Diensten ist groß.
       
   DIR Selektionsfaktor Straßenlaternen: Coole Motten meiden Kunstlicht
       
       Provinzmotten streben wie hypnotisiert zum Kunstlicht. Ihre städtischen
       Schwestern hingegen haben sich an die nächtliche Beleuchtung angepasst.
       
   DIR Klimawandel nützt Ökoschweinen: Warme Winter, fettes Fressen
       
       Alle stöhnen über die Wildschweinplage. Bisher hieß es: Schuld sind Bauern
       oder Förster. Jetzt zeigt sich: Es ist vor allem der Klimawandel.
       
   DIR Kolumne Wir retten die Welt: Achtung, Energiewände!
       
       Ökostrom als Exportschlager? Klingt gut! Aber in Frankreich und
       Griechenland stößt eine Energiewende nach deutschem Vorbild auf
       Widerstände.
       
   DIR Kolumne Wir retten die Welt: Der Wolf ist dem Wolf ein Mensch
       
       Wer die Grenze zwischen Tier und Mensch verwischt, hat einen Vogel. Er tut
       damit weder den einen noch den anderen einen Gefallen.
       
   DIR Kolumne Wir retten die Welt: Da hilft nicht mal Beten
       
       Die Weltreligionen wollen die Schöpfung schützen. Da könnten sie doch
       gemeinsam einen Religionskrieg gegen den Kapitalismus führen.