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       # taz.de -- Ulrich Tukur in „Houston“: Apokalypse eines Personalers
       
       > Alkoholkranker und bedauernswerter Headhunter in Texas: Ulrich Tukur
       > verfolgt im ARD-Film „Houston“ aber keine schweren Jungs, sondern
       > Topmanager.
       
   IMG Bild: Zur Abwechslung mal mit Wasser: Ulrich Tukur in „Houston“.
       
       Kopfgeldjäger in Amerika, sei es auch nur im Film, das war mal ein Job für
       echte Kerle mit Namen Lee: Lee Majors oder Lee Van Cleef. Vorbei. Da hilft
       es auch nichts, aus Clemens Trunschka „Clem“ zu machen. Der Headhunter von
       heute ist nicht mit Colt und Handschellen ausgerüstet, sondern mit Handy
       und Laptop. Seine Beute sind keine schweren Jungs, sondern Topmanager. Er
       trinkt Whisky, das macht ihn zu einer noch bedauernswerteren Gestalt.
       
       Es ist wirklich zum Heulen, eindreiviertel Stunden lang mitansehen zu
       müssen, wie der Headhunter (Ulrich Tukur) sich immer weiter reinreitet.
       Gute Anzüge, gediegene Limousinen, komfortable Business-Hotels – alles nur
       Fassade. Zu sehen an der einen Träne, die seiner Frau (Jenny Schily) über
       die Wange läuft, als sie ihn nach einer Party heimfährt.
       
       Er hat so viel Rotwein in sich reingekippt, dass sie ihn im Auto in der
       Garage sitzen lassen muss. Da kommt von einem großen deutschen
       Automobilkonzern der Wunsch, den amerikanischen CEO von Houston Petrol,
       Steve Ringer, als neuen Vorstandsvorsitzenden anzuwerben: „Auf so einen
       Auftrag habe ich lange gewartet“, erklärt Clemens seiner Frau in Minute 22.
       Der Rest des Films spielt in Houston, Texas.
       
       Houston als Handlungsort ist eine interessante Wahl. Immerhin viertgrößte
       Stadt der USA. Die Ölgeschäfte werden nicht auf einer Southfork Ranch
       eingefädelt, sondern in den üblichen Türmen aus Stahl und Glas. Sie sind in
       dem Film so präsent wie ihre Frankfurter Pendants in Christoph Hochhäuslers
       „Unter dir die Stadt“. Das war der eine Film über den modernen Kapitalismus
       von einem der Berliner Schule zugeordneten Filmemacher.
       
       Der andere war „Yella“ von Christian Petzold, in dem ziemlich viel Auto
       gefahren wird. Das passiert nun auch in Houston, und es wundert nicht, wenn
       in des Regisseurs Vita nachzulesen ist, dass Bastian Günther einmal
       Regieassistent bei Petzold war.
       
       ## Baseballschläger schwingenden Rednecks
       
       Die Motive kommen bekannt vor. Auch Robert Wagner, der überhaupt nicht
       stille Over-the-top-Klischee-Amerikaner (Garret Dillahunt), der sich dem
       Headhunter als Buddy aufdrängt, auch wenn der Clemens heißt. Auch die
       Baseballschläger schwingenden Rednecks. Auch die Bilder vom Trinker, etwa
       wenn er die Spirituosenflaschen ins Waschbecken kippt. Auch das eine,
       schräg von oben aufgenommene Bild, wenn er mit Hemd und Krawatte bewusstlos
       in der Hotelbadewanne liegt – wer je das Foto vom toten Uwe Barschel
       gesehen hat, kann das nicht nicht sehen.
       
       Der moderne Kapitalismus: Der Headhunter legt immer wieder eine CD ein –
       ein männlicher Sprecher verkündet eine quasireligiöse Heilslehre à la Ayn
       Rand: „Wir können nicht zum größtmöglichen Grad der Entwicklung unserer
       Talente und der Entfaltung unserer Seele gelangen, wenn wir nicht sehr viel
       Geld besitzen.“ So motiviert unternimmt der Headhunter einen Versuch nach
       dem anderen, entwickelt immer neue, nicht nur legale Strategien.
       Vergeblich. Der abgeschirmte Steve Ringer ist nicht zu fassen. Noch ein
       Motiv – das zentrale vielleicht. Die Suche nach einem anderen wird zum
       zunehmend surrealen Trip in das eigene Herz der Finsternis.
       
       Die ARD zeigt „Houston“ in der Reihe FilmDebüt im Ersten – obwohl doch
       Bastian Günthers Spielfilmdebut 2007 „Autopiloten“ hieß. Die Vielzahl der
       Motive, Referenzen, Assoziationen legt den Verdacht nahe, er könnte sich
       bei seinem zweiten Film verzettelt haben. Dass der Verdacht beim Angucken
       nicht aufkommt, könnte auch mit dem Hauptdarsteller – sämtlicher Szenen –
       zu tun haben. Ulrich Tukur ist als alkoholkranker Headhunter zwar kein
       echter Kerl, aber als Schauspieler eine Wucht.
       
       Der Film: „Houston“, ARD, Mittwoch, 22.45 Uhr
       
       12 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Müller
       
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