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       # taz.de -- Kolumne Über Ball und die Welt: Aufgeklärte Öffentlichkeit, wo bist du?
       
       > Manuel Neuer hat eine seltsame Sicht auf seine Biografie. Als authentisch
       > wird nur akzeptiert, was zum von PR-Beratern geschaffenen Image passt.
       
   IMG Bild: Weiß, wo‘s langgeht: Manuel Neuer.
       
       So verschiebt sich Sportjournalismus. „In den nächsten Tagen soll eine
       Biografie über mich auf den Markt kommen“, teilt Manuel Neuer den Menschen
       mit, die er „meine Fans“ nennt, und fügt hinzu, „dass ich den Autor nicht
       kenne und er mich nicht“. Und weiter: „Der Wahrheitsgehalt könnte deshalb
       zweifelhaft sein.“ Deshalb.
       
       In diesen Tagen erscheinen sogar gleich zwei Bücher über Neuer: Eines will
       mit privaten Details aufwarten, etwa Hintergründen zur Trennung von seiner
       langjährigen Freundin. Das andere beschäftigt sich explizit mit dem Torwart
       Neuer, wie er sich sportlich entwickelt hat, welche Auffassung von Fußball
       er hat und welche Bedeutung seinem sehr modernen Stellungsspiel im
       aktuellen Profifußball zukommt.
       
       Nicht mit Neuer gesprochen zu haben, ist in beiden Fällen gewiss ein Manko
       – bei dem boulevardesken Werk mehr als bei dem fußballtheoretischen. (Damit
       man die auseinanderhalten kann, seien sie hier kurz erwähnt: Das Buch übers
       Private stammt von Alexander Kords und heißt: „Manuel Neuer. Biografie“,
       CBX-Verlag. Das Buch übers Fachliche stammt von Dietrich Schulze-Marmeling
       und heißt „Neuer. Der Welttorhüter“, Verlag Die Werkstatt.)
       
       Aber darf man nur dann über jemand schreiben, wenn dieser Jemand mit einem
       spricht? Da muss man gar nicht an Bismarck- oder Kaiser-Wilhelm-Biografien
       denken, um zu erkennen, dass das in vielen Fällen nicht geht. Schon der
       Umstand, dass sich ein Prominenter weigert, mit einem Journalisten zu
       sprechen, würde ja eine kritische Sicht auf ihn verhindern. Und selbst nach
       Interviews ist ja die sogenannte Autorisierung der zitierten Aussagen
       üblich.
       
       ## PR-Gelaber
       
       In einem mit Manuel Neuer jüngst im Kicker geführten Interview wurde er zur
       Wahl seiner Werbepartner so zitiert: „Allianz zum Beispiel steht für
       Rückhalt, wie ich als Torwart auch. Coke Zero steht für das Zu-null, das
       ich immer schaffen will; Sony für die Schärfe des Bildes, die ich auch
       benötige.“ Dass diese schmierige Werberprosa Neuer im Gespräch eingefallen
       sein soll, glaubt niemand.
       
       Wir stehen also vor dem Phänomen, dass nicht einmal mehr das, was ein Neuer
       wirklich gesagt hat, als Wahrheit gilt (was an sich schon eine aberwitzige
       Vorstellung ist), sondern dass vielmehr nur das als authentische Äußerung
       akzeptiert wird, was Neuers PR-Berater so formulieren, dass es zum
       ausgetüftelten Image des Profis passt.
       
       So etwas geht bei Redaktionen, Verlagen und LeserInnen tatsächlich durch.
       Erst die „autorisierte Biografie“ verspricht Verlagen Absatzchancen für ein
       Buch. Wo eine aufgeklärte Öffentlichkeit lieber eine kritische und
       unabhängige Annäherung an eine prominente Persönlichkeit wünschte, vertraut
       der hiesige Markt mehr auf die vorgegaukelte Authentizität.
       
       ## Weder neu noch Neuer
       
       Das ist weder neu noch Neuer. Schon sein einstiger Chef Uli Hoeneß beklagte
       sich noch vor seiner Verurteilung, dass sich Journalisten mit seiner
       Steuerstraftat befassten. „Es werden fünf Bücher über mich geschrieben,
       alle diese Leute haben mit mir kein Wort gewechselt“, sagte er unter
       tosendem Applaus der Bayern-Mitglieder. „Es wird nicht darum gehen, dass
       man informieren will, nein, man will Kohle verdienen – und das ist
       frevelhaft.“
       
       Eines der von ihm kritisierten Bücher heißt „Die Akte Hoeneß. Portrait
       eines Potentaten“ und stammt von Thilo Komma-Pöllath (CBX-Verlag). Der hat
       das gemacht, was man als Journalist tun muss: Mit möglichst vielen Menschen
       gesprochen, die Auskunft geben können. Komma-Pöllath geht es nicht um
       Privates und Affärchen. Er bemüht sich darum, nachzuzeichnen, wie Hoeneß
       eine derartige Macht zuwachsen konnte, dass man ihm nur noch mit den
       Mitteln des Strafrechts beikam.
       
       Neuer ist nicht Hoeneß, und niemand behauptet Ähnliches. Aber die
       Selbstverständlichkeit, mit der alle – sowohl die, über die geschrieben
       wird, als auch die, die es lesen könnten – darauf beharren, dass nur das
       wahr ist, was vorher vom Porträtierten weichgespült wurde, deutet doch in
       eine seltsame Richtung.
       
       13 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauss
       
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