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       # taz.de -- Hilfen für Flüchtlinge: Nur noch Sachleistungen
       
       > Die Debatte um einen anderen Umgang mit Asylbewerbern vom Balkan wird zur
       > Kontroverse. Statt Geld soll es Sachleistungen geben.
       
   IMG Bild: Asylbewerber warten auf ihre Registrierung.
       
       Berlin taz || Kann man Asylbewerber vom Balkan rechtlich schlechter stellen
       als Antragsteller aus anderen Ländern? Das befürwortet der Präsident des
       Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt. Denn wenn jemand
       nur nach Deutschland komme, um hier staatliche Leistungen zu erhalten,
       könnten ihm diese laut Gesetz gekürzt werden, sagte Schmidt gegenüber der
       Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Statt Geld könne man insbesondere
       an Asylbewerber vom Balkan auch Fahrscheine oder Gutscheine für
       Lebensmittel ausgeben, regte Schmidt an.
       
       Der Behördenchef springt damit seinem Dienstherren zur Seite,
       Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Der hatte jüngst
       vorgeschlagen, Flüchtlingen das so genannte „Taschengeld“ zu kürzen. Dabei
       hatte er vor allem Flüchtlinge vom Balkan im Blick, die kaum eine Chance
       auf politisches Asyl haben. „Die Höhe unserer Asylbewerberleistungen ist
       teilweise höher als ein Erwerbseinkommen in Albanien und Kosovo“, hatte der
       Innenminister vorgerechnet. Bei Sozialverbänden, der Opposition und beim
       Koalitionspartner, der SPD, war der Vorstoß des Innenministers auf scharfe
       Kritik gestoßen.
       
       Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), nannte
       ihn „ärgerlich“: De Maizière erwecke den falschen Eindruck, Flüchtlinge
       stünden enorme Geldsummen zur Verfügung. In Wirklichkeit reiche das
       Taschengeld von 4,64 Euro pro Tag gerade mal für Telefonate, Fahrkarten
       oder eine Zeitung. Es sei eine „Lebenslüge“, dass sich der Zustrom von
       Flüchtlingen über die Höhe der Leistungen begrenzen ließe, kritisierte die
       Grünen-Vorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Und der Linken-Chef Gregor Gysi
       bezeichnete den Vorschlag des Innenministers als „Schikane“.
       
       Es sei außerdem „rechtlich nicht möglich“, die Leistungen für einzelne
       Gruppen zu kürzen, da sei schon das Bundesverfassungsgericht vor, sagte er
       am Sonntag im Deutschlandfunk. Selbst de Maizières Parteifreund, CDU-Vize
       Armin Laschet, zeigte sich skeptisch und warnte vor „Schnellschüssen“. Der
       Paritätische Wohlfahrtsverband sprach von „Stimmungsmache“, Pro Asyl von
       „Populismus in der Sommerpause“, auch die Diakonie und DGB äußerten sich
       ablehnend.
       
       Unterstützung erhielt de Maizière dagegen von den Kommunen. Es sollte
       geprüft werden, ob das deutsche Asylsystem zu viele Anreize biete, heißt es
       in einem Forderungskatalog des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, der am
       Samstag publik wurde. Darin ist auch von Wiedereinreisesperren für
       abgelehnte Asylbewerber und einer möglichen Visumspflicht für bestimmte
       Balkan-Länder die Rede.
       
       ## Zunächst nur Sachleistungen plus Taschengeld
       
       Wie viel Bargeld ein Flüchtling erhält, hängt davon ab, wie lange er im
       Land ist. In den ersten drei Monaten leben Flüchtlinge gewöhnlich in
       Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen es vorrangig Sachleistungen gibt.
       Zusätzlich erhalten sie dort ein Taschengeld von 143 Euro im Monat. Werden
       sie nach drei Monaten auf die Kommunen verteilt, werden Asylbewerbern
       vorrangig Bargeldleistungen gewährt. Dabei erhalten Alleinstehende 216 Euro
       im Monat für Fahrtkosten, Verpflegung und Telefonate, was zusammen mit dem
       Taschengeld 359 Euro ergibt.
       
       Erst nach 15 Monaten stehen ihnen Leistungen auf dem Niveau der Sozialhilfe
       zu. „Mit dem Geld von einem drei- oder viermonatigen Aufenthalt ließ sich
       das Leben im Herkunftsland neun oder zehn Monate lang bestreiten“, sagte
       Behördenchef Manfred Schmidt trotzdem. Dies sei womöglich ein Grund, warum
       viele Asylbewerber vom Balkan nach einer Ausreise kurze Zeit später wieder
       nach Deutschland eingereist seien.
       
       Das Innenministerium erwägt nun, den maximalen Aufenthalt in den
       Erstaufnahmeeinrichtungen zu verlängern, um möglichst noch während dieser
       Zeit über den Asylantrag zu entscheiden und zu vermeiden, dass an
       aussichtlose Bewerber vom Balkan vorrangig Bargeld ausgezahlt wird. Ein
       großer Teil der zahlenmäßig zunehmenden Gruppe von Menschen, die
       hierzulande Asyl beantragen, stammt vom Balkan.
       
       ## Mehr Asylbewerber erwartet
       
       Das Innenministerium geht davon aus, dass die Zahl der Asylbewerber in
       diesem Jahr „sehr viel höher“ ausfallen dürfte als die 400 000 Menschen,
       von denen man bisher ausgegangen war. Prognosen, die von 600 000
       Asylbewerbern ausgehen, wollte de Maizière aber nicht bestätigen.
       
       Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) plädierte dafür, aufgrund
       des steigenden Asylbewerberzahlen nach Serbien, Mazedonien und Bosnien
       weitere Länder in der Region zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. „30
       bis 40 Prozent der Asylbewerber kommen aus den Ländern des westlichen
       Balkan“ und hätten „keine Chance auf Anerkennung auf Asyl“, sagte der
       SPD-Politiker der Bild am Sonntag. „Diese Lage ist so nicht haltbar“.
       Außerdem sprach er sich dafür aus, abgelehnte Asylbewerber aus der Region
       schneller abzuschieben. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann
       sprach sich am Sonntag dafür aus, Albanien, Montenegro und das Kosovo als
       sichere Herkunftsstaaten einzustufen.
       
       16 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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