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       # taz.de -- Flüchtlingslager Saatari in Jordanien: Die neuntgrößte Stadt im Land
       
       > Im jordanischen Flüchtlingslager Saatari leben 81.000 Menschen. Nun
       > bekommt es Wassernetz und Kraftwerk – aber die Menschen haben kaum
       > Perspektiven.
       
   IMG Bild: Einst aus Not errichtet, jetzt wohl eine permanente Siedlung: Saatari.
       
       Saatari ap | Noch vor drei Jahren war hier nur Wüste. Inzwischen hat sich
       das größte Camp für Flüchtlinge des syrischen Bürgerkriegs im Nahen Osten
       vom Zeltlager in eine richtige Kleinstadt verwandelt. In dem von den
       Vereinten Nationen verwalteten Lager Saatari in Jordanien leben 81.000
       Menschen. Dort sollen nun ein Wassernetz und eine Kanalisation gebaut
       werden, ein Solarkraftwerk für umgerechnet 18 Millionen Euro und
       Geldautomaten für die Auszahlung von Flüchtlingshilfe.
       
       Hinter den Plänen steht die bittere Erkenntnis, dass in dem Anfang 2011
       ausgebrochenen Konflikt in Syrien kein Ende abzusehen ist. Manche Bewohner
       versuchen, das Beste aus dem Leben im Exil zu machen. Nur wenige kehren in
       ihre Heimat zurück. Einige Dutzend riskieren jede Woche lieber ihr Leben,
       als in dem Lager zu vegetieren, in dem es kaum Arbeit gibt, ein Drittel der
       Kinder nicht zur Schule geht und Tausende junger Erwachsene keine
       Möglichkeit haben, einen Beruf zu erlernen.
       
       Saatari, am 28. Juli 2012 aus blanker Not errichtet, ist inzwischen die
       neuntgrößte Stadt in Jordanien. Von den mehr als vier Millionen syrischen
       Flüchtlingen in der Region hat das kleine Königreich rund 629.000
       aufgenommen, mehr als 100.000 leben in Lagern. Der Rest schlägt sich mit
       Hilfe von Geld und Nahrungsmitteln der UN in Städten durch. Internationale
       Hilfsorganisationen mussten ihre Unterstützung bereits wegen Geldmangels
       kürzen, weitere Einschnitte wurden am Freitag angekündigt.
       
       Der Wandel des Lagers Saatari von der Zeltstadt zur Kleinstadt symbolisiert
       das Versagen der Weltgemeinschaft, ein Ende des Kriegs in Syrien zu
       vermitteln. Einige glauben, dass die Umstellung von Nothilfe auf
       langfristige Lösungen – wie ein Wasserleitungsnetz statt teurer Belieferung
       durch Tankfahrzeuge – viel früher hätte kommen müssen. „Wir haben einfach
       zu viel Geld verschwendet, weil wir nicht langfristig gedacht haben“, sagt
       der frühere Lagerleiter Kilian Kleinschmidt.
       
       ## Wer bleibt, richtet sich ein
       
       Zur sparsameren Versorgung von Saatari soll auch das Solarkraftwerk
       beitragen, das aber erst Ende 2016 fertig sein wird. Bis zum vergangenen
       Jahr zahlten die UN dort monatlich eine Million Dollar für Strom. Die
       Bewohner zapfen von ihren Fertigunterkünften und Geschäften über Kabel
       Strom aus einem Elektrizitätsnetz, das eigentlich nur für die
       Straßenbeleuchtung gedacht ist. Der gegenwärtige Lagerleiter Hovig
       Etyemezian hat die Kosten reduziert, indem er den Strom bei Tageslicht
       abschalten lässt. Dies führte zu viel Unmut unter den Bewohnern.
       
       Täglich kehren etwa 30 Flüchtlinge nach Syrien zurück. Vor Ausbruch
       heftiger Kämpfe in der Provinz Deraa, aus der viele der Lagerbewohner
       kommen, waren es noch vier Mal so viele. Wer einmal gegangen ist, dem wird
       eine Rückkehr ins Lager nur selten gestattet. In der vergangenen Woche
       nahmen Emad Issaui, seine Frau Nihad und ihre drei kleinen Kinder den Bus
       zurück zur syrischen Grenze. Die 23-jährige Nihad sagt, sie habe sich nur
       zögerlich dem Wunsch ihres Mannes gefügt. „Ich habe Angst“, erklärt sie.
       
       Wer bleibt, richtet sich in Saatari ein. Dschumma al-Scheik pflanzte vor
       seine Unterkunft Mais, Tomaten und bunte Blumen. Das Gärtchen ist unter
       seinen Verwandten ein beliebter Treffpunkt geworden. Al-Scheik und seine
       Familie flohen vor zwei Jahren nach Angriffen der syrischen
       Regierungstruppen mit Chemiewaffen aus einem Vorort von Damaskus. Die
       Kämpfe zerstörten ihre Häuser. Zu Hause war Al-Scheik Gemüsebauer. Der
       Garten im Lager „macht alles ein bisschen besser“, sagt er.
       
       Andere bauen ihr Leben systematisch neu auf. Abdel Mutalleb Hariri schickte
       seine sechs Kinder sofort nach ihrer Ankunft im Januar 2013 in
       Lagerschulen. Er selbst kann derzeit in seinem Beruf als Tierarzt nicht
       arbeiten, statt dessen verkauft er Kleidung. Seine Frau Fatmeh unterrichtet
       Englisch in einer Grundschule.
       
       ## Kinderheiraten nehmen zu
       
       Ihre Älteste, die 19-jährige Alaa, erhielt ein Stipendium und hat ihr
       erstes Jahr an der nahen Al-al-Bait-Universität hinter sich. „Bildung ist
       der richtige Weg, besonders, wenn man in einem Lager lebt“, sagt Alaa, eine
       von wenigen in ihrer Altersgruppe, die die Oberschule abgeschlossen hat.
       Die meisten brechen die Schule ab, einige, weil sie sich den
       Universitätsbesuch nicht leisten können.
       
       Für manche hat das Lager neue Möglichkeiten eröffnet. Hunderte Mädchen
       haben in Saatari Gelegenheit, Fußball zu spielen. Kürzlich trainierten etwa
       zwei Dutzend Mädchen in Kopftüchern unter den Augen von Trainerin Nur
       al-Dhaher auf einem eingezäunten staubigen Platz. Al-Dhaher, eine Mutter
       von drei Kindern und erneut schwanger, nahm ursprünglich an einem
       Übungsleiterkurs teil, um ihre Familie zu unterstützen. Heute freut sich
       die Frau mit schwarzem Gesichtsschleier daran zu sehen, wie ihre einst
       schüchternen Spielerinnen immer selbstbewusster werden.
       
       Für andere schließen sich dagegen Türen. Die Zahl von Kinderheiraten habe
       zugenommen, sagen Bewohner und Lagermitarbeiter. Einige Familien
       verheiraten ihre halbwüchsigen Töchter, häufig, um sich finanziell zu
       entlasten. „Hier muss man früh heiraten, weil die Lage schwierig ist“, sagt
       Sabrine al-Massaad, die ein Brautmodengeschäft führt. Eine ihrer Kundinnen
       war gerade einmal 14 Jahre alt.
       
       4 Aug 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karin Laub
       
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